Das weiße Gold vom Jadar-Tal

Der umstrittene Lithium-Abbau in Serbien ist mit dramatischen ökologischen und sozialen Folgen verbunden

  • Krunoslav Stojaković
  • Lesedauer: 8 Min.
Protest in Novi Sad mit Tröte und Regenschirm: Die »blutigen Hände« sollen an die Opfer des Einsturzes eines Bahnhofsdachs in der serbischen Stadt erinnern. Die Demonstrierenden geben der Staatsführung wegen vermuteter Korruption eine Mitschuld an dem Unglück.
Protest in Novi Sad mit Tröte und Regenschirm: Die »blutigen Hände« sollen an die Opfer des Einsturzes eines Bahnhofsdachs in der serbischen Stadt erinnern. Die Demonstrierenden geben der Staatsführung wegen vermuteter Korruption eine Mitschuld an dem Unglück.

Es hatte Symbolcharakter, als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić im Dezember 2024 in die Silberstadt Freiberg einlud. All die Kritik am geplanten Lithium-Abbau im westserbischen Jadar-Tal sollte, so das Kalkül des Kanzlers und seines Gastes, kraft des traditionsreichen sächsischen Oberbergamts und des klangvollen Namens der Freiberger Bergakademie zum Verstummen gebracht werden. Deutsche Ingenieurskunst als Beruhigungsmittel für aufgebrachte Umweltschützer.

Zweitrangig blieben für den sozialdemokratischen Bundeskanzler hingegen die sozialen Kosten für die serbische Bevölkerung. Denn zu den umweltpolitischen Kritikpunkten am Lithiumabbau gesellte sich von Anfang an eine soziale Dimension.

Regierung und Konzern: Hand in Hand

Das Jadar-Tal ist eine agrarisch geprägte Region, die größte Stadt Loznica hat gerade mal 19 000 Einwohner*innen. Die Landwirte bauen hier zumeist nicht für den Großmarkt oder den Export an, sondern für die regionalen und persönlichen Bedürfnisse.

Die ökonomisch prekäre Lage der Region erleichterte es der serbischen Regierungspartei SNS und dem multinationalen Bergbaukonzern Rio Tinto, die Menschen zum Verkauf ihrer Ländereien zu bewegen. Bereits im Jahr 2020 – und damit vier Jahre vor der im Juni 2024 veröffentlichten Studie zu den Risiken des Lithium-Abbaus im Jadar-Tal, deren Ergebnisse eigentlich für die Erteilung einer Lizenz maßgeblich sein sollten – begann Rio Tinto mit dem aggressiven Aufkauf von Flächen im potenziellen Abbaugebiet. Schätzungsweise 2000 Hektar Land benötigt der australisch-britische Montanriese, um sein Projekt zu verwirklichen.

Der lokalen Bevölkerung wurde dabei suggeriert, die Entscheidung zum Abbau sei ohnehin bereits gefallen. Die serbische Regierung hatte in einem beschleunigten parlamentarischen Beschlussverfahren das Gesetz über die Enteignung dahingehend geändert, dass diese bei Feststellung eines relevanten öffentlichen Interesses nunmehr innerhalb von nur fünf Tagen möglich ist. Kurz: Es wurden Fakten geschaffen. Angaben der lokalen Nichtregierungsorganisation (NGO) Marš sa Drine zufolge wurden inzwischen über 50 Höfe im zentralen Abbaugebiet an Rio Tinto verkauft.

Parallel zum Fortschreiten der Abbaupläne formierte sich indes auch eine Gegenbewegung. Selbst die notorisch rückschrittliche und mit den staatlichen Machtstrukturen verbandelte Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) bezog frühzeitig Stellung gegen das Projekt und verwies, neben ökologischen Kritikpunkten, auf die immensen sozialen Kosten und die unwiderrufliche Entvölkerung eines wichtigen landwirtschaftlichen Anbaugebiets.

Am Ende dieser ersten Phase formierten sich ab Dezember 2021 schließlich Massenproteste gegen die bestehenden Pläne. In Reaktion auf den für die serbischen Machthaber unüblichen Ungehorsam großer Bevölkerungsteile ließ Ministerpräsidentin Ana Brnabić öffentlichkeitswirksam verkünden, dass alle mit dem Projekt in Zusammenhang stehenden Gesetze, Initiativen und Pläne widerrufen würden. Damit sei, so Brnabić, »alles im Zusammenhang mit dem Projekt Jadar und Rio Tinto beendet.«

Die Legende von Wohlstand und Arbeitsplätzen

Tatsächlich berichteten indessen zahlreiche NGOs, dass Rio Tinto nicht nur weiterhin geologische Untersuchungen im Jadar-Tal durchführe, sondern auch kontinuierlich Druck auf die lokale Bevölkerung ausübe und die Menschen dazu dränge, ihre Höfe und Ländereien zu veräußern. Präsident Vučić ließ keine Gelegenheit aus, die Beendigung des Projektes als großen strategischen Fehler zu bezeichnen. Mehr noch: Ausländische Geheimdienste und ihre einheimischen Helfershelfer in der NGO-Szene hätten einen historischen Entwicklungsschub für Serbien zum Erliegen gebracht.

Dieser einfache Propagandatrick markierte den Startschuss für einen Diskurswechsel. Fortan wurde jede Gelegenheit genutzt, um auf den vermeintlich wichtigen wirtschaftlichen Beitrag des Projekts hinzuweisen. Dabei erscheint Vučić jede Übertreibung recht. So behauptete der serbische Staatspräsident im Dezember 2022, dass die Kooperation mit Rio Tinto in der Region bis zu 5 000 hoch bezahlte Arbeitsplätze mit einem Durchschnittslohn von über 1 000 Euro schaffen und zu einem regelrechten Bevölkerungsboom in der Region führen werde.

Der Konzern verspricht seinerseits Investitionen in Höhe von insgesamt 2,55 Milliarden Euro und die Schaffung von 1 300 Arbeitsplätzen. Seit die Protestwelle das Projekt in Gefahr zu bringen droht, betont das Unternehmen sein Image als Arbeitgeber, der verantwortungsvoller und nachhaltiger Produktion verpflichtet sei. Um die einheimische Bevölkerung für das Projekt zu gewinnen, schuf Rio Tinto zudem diverse Fördertöpfe.

Auf der serbischen Internetseite des Unternehmens werden die drei Kernwerte der Geschäftsphilosophie so vorgestellt: Fürsorge für die Menschen im Allgemeinen und für die Beschäftigten im Besonderen; Mut als Bereitschaft zur Innovation und zum Dialog mit Andersdenkenden sowie Neugierde, verstanden als Offenheit zur Zusammenarbeit und Lernwille.

Tauchen wir in die Praxis des Unternehmens ein, bleibt von der hehren Selbstbetrachtung nicht viel übrig. Denn in Wirklichkeit war Rio Tinto schon immer ein skrupelloser Konzern, der für den Profit alles zu tun bereit ist und die Rechte seiner Arbeiter*innen mit Füßen tritt. Als ursprünglich spanisches Unternehmen unterstützte Rio Tinto einst Francos Falangisten nicht zuletzt deshalb, weil die faschistische Diktatur so rigoros gegen Streikende vorging. Das britische Bergbauportal Mining Network hat einige der Geschäftspraktiken des Konzerns dargestellt – und das historische Gedächtnis zeigt uns ein Unternehmen, das sich auf Konfrontationskurs mit seinen selbsterklärten Werten befindet. Neben der Unterstützung Francos lieferte Rio Tinto beispielsweise auch Erz für das Aufrüstungsprogramm der Nazis und bezahlte seine afrikanischen Arbeiter*innen zur Zeit der Apartheid noch unter dem vom Regime festgesetzten Mindestlohn. Auch gegen internationale Umweltstandards hat der Konzern bis in die Gegenwart immer wieder verstoßen.

Ob ein solches Unternehmen in Serbien das Arbeitsrecht achten, gewerkschaftliche Organisierung tolerieren und Andersdenkende respektieren wird, erscheint deshalb überaus fraglich – zumal sich auch die den Lithium-Abbau befürwortende serbische Regierung in der Vergangenheit nicht gerade als Hüter der Rechte von Arbeiter*innen hervorgetan hat.

Money, Money, Money

Die Voraussagen über den wirtschaftlichen Nutzen des Projektes für Serbien und die lokale Bevölkerung gehen derweil diametral auseinander. Während Rio Tinto und die maßgeblichen politischen Funktionsträger*innen von einem nie dagewesenen Mehrwert für alle Beteiligten sprechen, sind unabhängige Finanz- und Wirtschaftsanalysen skeptischer.

Vučić stellte für die klamme serbische Staatskasse einen jährlichen Gewinn in Höhe von 700 Millionen Euro in Aussicht – und zwar allein durch die Lithium-Mine. Zudem prognostizierte er, das Projekt werde – zusammen mit der avisierten Kathodenfabrik zur Herstellung von Batterien und einem Werk für die Produktion von Elektroautos – einen Ertrag von 11,4 Milliarden Euro erwirtschaften. Das wären, Berechnungen des renommierten Belgrader Wochenmagazins NIN zufolge, fast 16,5 Prozent des serbischen Bruttoinlandsprodukts. Für ein weitgehend deindustrialisiertes Land wie Serbien würde dies einem ökonomischen Quantensprung gleichkommen.

Eine Gruppe von Analyst*innen um den Vorsitzenden der Wirtschaftsvereinigung Privrednik hingegen kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Ihren Berechnungen zufolge bleibt, nach Abzug aller Kosten, für den serbischen Staat lediglich ein Gewinn von 17,4 Millionen Euro pro Jahr. Ob sich dieses Projekt bei Abwägung aller Potenziale und Risiken für Serbien ökonomisch lohnen würde, ist also derzeit kaum seriös zu beantworten. Die immensen Investitionssummen, die Rio Tinto für das Projekt zu tätigen bereit ist, deuten allerdings darauf hin, dass zumindest der Konzern mit satten Gewinnen rechnet.

Eine Welle des Protests

Das Vorhaben, Lithium im Jadar-Tal abzubauen, war in der Bevölkerung von Beginn an sehr unbeliebt. In der Protestbewegung, die sich aus dieser Ablehnung heraus entwickelte, erkannte der serbische Präsident eine reale Gefahr für sein Regime, die er mit einem vorläufigen Projektstopp zu bannen versuchte.

Spätestens mit der Unterzeichnung des Abkommens über den Abbau von Lithium zwischen der EU und Serbien kam Mitte 2024 jedoch eine neue Dynamik in das Bergbauprojekt. Die Betreiber und ihre politischen Unterstützer*innen waren fest entschlossen, keine Verzögerungen mehr hinzunehmen.

Doch dann kam dem Regime am 1. November 2024 ein Unglück in die Quere, das die Inkompetenz und Korruptheit des Systems Vučić offenlegte: Das Vordach des Hauptbahnhofs in Novi Sad brach in sich zusammen, 15 Menschen kamen zu Tode. Die Empörung über dieses Unglück war groß.

Daraufhin begannen Studierende der Belgrader Universität zu protestieren. Jeden Tag legten sie für 15 Minuten – eine Minute für jeden Toten – den Verkehr an wichtigen Verkehrsknotenpunkten lahm. Bald schlossen sich ihnen immer mehr Studierende in anderen Orten Serbiens an. Inzwischen ist der Aufstand zur größten Studentenbewegung seit den berühmten »Achtundsechzigern« angewachsen; auch Arbeiter*innen, Landwirt*innen, Rentner*innen und andere haben sich ihm angeschlossen.

Präsident Vučić, dessen Partei SNS noch im Dezember 2023 einen von Unregelmäßigkeiten überschatteten Sieg bei der Wahl zur Nationalversammlung errang, hat seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren, seine Machtstellung scheint erschüttert. Dennoch wäre es zu früh, den seit 2017 Regierenden abzuschreiben.

Denn die von Studierenden geführte Bewegung hat zwar Mobilisierungserfolge vorzuweisen, und ihre Forderungen richten sich direkt gegen das weit verzweigte System der Korruption um den Staatspräsidenten. Auch haben die Proteste Ende Januar bereits zum Rücktritt von Ministerpräsident Miloš Vučević geführt. Die Bewegung verfügt jedoch bislang über keine eigenständige politische Organisation. Die Spontaneität und Unabhängigkeit, die momentan ihre Stärke ist, könnte sich deshalb noch als Schwäche erweisen.

Der Ausgang dieses Konflikts dürfte auch den Lithium-Abbau beeinflussen. Fest steht jedoch: Alleine kann Belgrad das Projekt nicht mehr aufhalten, da es sich seit dem Abkommen mit der EU auch um ein europäisches Projekt handelt. Hier zeigt sich erneut das Hauptproblem: Die Projektgegner*innen haben kaum politische Verbündete – sieht man von der linken Europaabgeordneten Carola Rackete ab, die sich öffentlich gegen das Projekt gestellt hat.

Krunoslav Stojaković ist Referent im Europareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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