- Berlin
- Elon Musk
Das Bauernhaus und die Tesla-Fabrik
Heidemarie Schroeder zerpflückt die Industrieansiedlung aus Sicht der Bürgerinitiative Grünheide
In Berlin lebend, nutzt die Familie von Heidemarie Schroeder seit den 70er Jahren ein altes Bauernhaus im brandenburgischen Spreeau als Datsche für den Sommer und die Wochenenden. Bis zur Wende hatten die Schroeders das Häuschen mit Plumpsklo und Handpumpe gemietet, danach samt Grundstück gekauft. Schließlich reift der Plan, ein Bad und einen Wohnraum anzubauen – ein nicht ganz einfaches Unterfangen dicht an einem Naturschutzgebiet. Das Bauamt der Gemeinde Grünheide und die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Oder-Spree sehen Probleme, dies zu genehmigen. Doch bei einem Ortstermin wird dann doch grünes Licht gegeben.
Das Häuschen soll durch den Anbau als Alterssitz hergerichtet werden. Die Schroeders suchen zunächst einen Architekten. »Als wir ihn hatten, kam Elon Musk«, schreibt Heidemarie Schroeder. »Es war uns, als die freudige Nachricht der Tesla-Ansiedlung durch alle Medien ging, nicht sofort klar, was es für uns bedeuten würde, wenn eine E-Autofabrik in Grünheide errichtet werden würde.« Der Wert ihrer Immobilie steigt, ein Makler zeigt Interesse. Doch die Familie will nicht verkaufen. Heidemarie Schroeder schließt sich der Bürgerinitiative Grünheide an und kämpft.
So schildert sie es in ihrem druckfrischen Buch »Eine Gigafabrik in Grünheide oder der Albtraum vom grünen Kapitalismus«. Unglaublich schnell räumen Bundesland, Landkreis und Gemeinde dem Tesla-Konzern sämtliche Hindernisse aus dem Weg und ermöglichen damit, die Fabrik so fix hochzuziehen, wie es vorher nicht für möglich gehalten wurde. Wie dabei Ermessensspielräume und Schlupflöcher trickreich genutzt werden, davon handelt das Buch. Eine große Rolle spielt das mit der Fabrik knapp gewordene Trinkwasser. Doch es geht auch darum, ob Tesla-Autos nicht ein gefährlicher Irrweg sind und es nicht besser mehr Bus- und Bahnverbindungen sowie Fuß- und Radwege geben müsste.
»Wahr aber bleibt, dass kaum jemand der reichste Mann der Welt werden kann, wenn er vorbildlich und achtsam mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt umgeht.«
Heidemarie Schroeder
Als Tesla-Boss Elon Musk 2019 seine Absichten kundtat, war noch nicht abzusehen, dass er einmal US-Präsident Donald Trump unterstützen und die AfD loben würde. Aber Heidemarie Schroeder notiert: »Während Elon Musk von fast allen Seiten nur größte Bewunderung entgegenschlug, die ihm die Bezeichnung eines Visionärs und eines Genies einbrachte, machte mich das, was man über seine Person schon damals in Erfahrung bringen konnte, wie auch das bloße Spektrum seiner Einflusssphären von Anfang an misstrauisch.«
Schroeder meint zwar, das alte Koordinatensystem von links und rechts habe viel von seiner früheren Klarheit verloren. »Wahr aber bleibt, dass kaum jemand der reichste Mann der Welt werden kann, wenn er vorbildlich und achtsam mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt umgeht. Und wahr bleibt auch, dass er Helfer und Helfershelfer braucht.«
Schroeder ist 1953 in Leipzig geboren. Sie studierte Zahnmedizin und war 17 Jahre lang als wissenschaftliche Assistentin an der Berliner Charité tätig. Zu spät geboren, um von einem echten Sozialismus auf deutschem Boden zu träumen, und zu früh, um noch an eine Reformierbarkeit der DDR zu glauben, wie sie berichtet, hat sie nach 1990 nicht ständig über Politik nachgedacht – bei Bundestagswahlen rot gewählt und auf Berliner Ebene grün, »weil ich auf bessere Radwege und eine grünere Stadt hoffte«.
Nach der Erfahrung mit Bau und Genehmigung der Tesla-Fabrik – es geschah bekanntlich in dieser vertauschten Reihenfolge – ist Schroeder von SPD und Grünen enttäuscht. Sich in Bürgerinitiativen zusammenzuschließen, hält sie nun für den richtigen Weg. »Wir haben keine andere Wahl, als uns zu informieren, aufzupassen und einzuschreiten, wenn wir nicht durch Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit selbstverschuldet bei immer größerer Umweltzerstörung global und vor unserer Haustür in immer autokratischeren Gesellschaftssystemen landen wollen.« Das sind ihre Schlussworte im Buch.
Selbst wer schon recht gut über die Vorgänge in Grünheide im Bilde ist, wird beim Lesen noch Aha-Momente erleben. Schroeder schildert selbst schwierige Sachverhalte in ihrem Buch so anschaulich, dass es niemals langweilig wird. Natürlich beschreibt die Autorin die Probleme aus Sicht einer Bürgerinitiative, die gewöhnlich alles sammelt, was gegen ein von ihr abgelehntes Projekt spricht. Da machen sich bedrohte Tiere wie Fledermäuse immer gut. Aber es ist zum Beispiel richtig beobachtet, dass die Bäume, die der Autofabrik weichen mussten, von interessierter Seite als wenig wertvoller Stangenwald und Kiefernmonokultur schlechtgeredet wurden. Dabei war ein Waldumbau mit Buchen und Eichen schon vor Jahren in Gang gesetzt.
Was tut es indessen zur Sache, dass Bürgermeister Arne Christiani (parteilos) Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gewesen sein soll? Dient es nicht lediglich dazu, einen Befürworter der Ansiedlung in ein schlechtes Licht zu rücken? Christiani hatte eine solche Spitzeltätigkeit bestritten. Doch Experte Helmut Müller-Enberg studierte Akten und schätzte 2023 ein, es könne »keine ernsthaften Zweifel« geben, dass der Bürgermeister doch IM gewesen sei. Einiges in dem Buch ist kontrovers. Doch es gibt viele Denkanstöße, und das ist das Beste daran.
Heidemarie Schroeder: Eine Gigafabrik in Grünheide oder der Albtraum vom grünen Kapitalismus. Büchner-Verlag, 202 S., 22 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.