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Neuwahlen sind in Österreich der Notausgang
Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen sieht noch mehrere Optionen für eine Regierungsbildung
In Wien waren am Tag nach dem Mittwoch nur zwei Dinge klar: dass Donnerstag ist und FPÖ-Chef Herbert Kickl zunächst einmal nicht Kanzler werden wird. Am Mittwoch waren die Gespräche der FPÖ mit der ÖVP gescheitert. Kickl hatte den Auftrag zur Regierungsbildung formell zurückgelegt. Nach Wochen der inhaltlichen Annäherung zwischen den Rechtsextremen und den Konservativen in Wirtschafts- und Asylfragen und Tagen der Zerwürfnisse in auch inhaltlichen Fragen sowie bei der Ressortverteilung war klar: Auch fast fünf Monate nach der Wahl wird es keine Koalitionsmehrheit im Nationalrat geben. Und demnach wartete am Donnerstag alles darauf, in welche Richtung es weitergehen sollte. Am Zug ist jedenfalls wieder Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Zu den Querelen zwischen den Parteien gesellen sich allerdings problematische Umstände: Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, das wiederum hat zum Teil externe, aber auch interne Ursachen und im Budget klafft ein gigantisches Loch. Einsparungsbedarf: 24 Milliarden Euro. Das entspricht rund zehn Prozent des Staatshaushaltes. Österreich droht ein EU-Defizitverfahren. Ein solches hatte im Januar noch abgewendet werden können. Der in Brüssel deponierte Budget-Reformentwurf basiert allerdings auf einer Einigung zwischen FPÖ und ÖVP. Das ist die fiskalpolitische Krisenkulisse.
Multiple Krisen prägen Österreich
So multipel die internationalen wie nationalen Krisen, so festgefahren erscheint der politische Prozess in Österreich. Und so wirkte Van der Bellen gewissermaßen wie ein sichtbar um Ruhe bemühter Kleinkindpädagoge inmitten einer Gruppe verhaltensaufälliger Vorschulkinder, als er am Mittwoch vor die Presse trat, um zu verkünden, welche vier Optionen er ab Donnerstag durcharbeiten werde. Die auf den ersten Blick naheliegendste Variante: dass der Nationalrat seine Auflösung und die Abhaltung von Neuwahlen beschließt. Allerdings ist diese Variante zeitaufwendig. Und Zeit hat Österreich in der aktuellen Lage nicht. Siehe: Budgetdefizit. Bis zu Wahlen würde laut Van der Bellen die derzeit amtierende Interimsregierung bestehen bleiben.
Neuwahlen hätten wohl nur aufschiebende Wirkung und würden dazu führen, dass sich die Parteien in einem Wahlkampf nur noch mehr in ihren Positionen verbarrikadieren. Diese Variante würde also die bereits bestehenden dramatischen Probleme bei der Kompromissfindung zwischen den Parteien nur vertagen und wohl auch weiter vertiefen. Sehr wahrscheinlich wäre zudem, dass die FPÖ weiter gestärkt aus solchen Wahlen hervorginge. Bei der Wahl im September hat sie 28,8 Prozent geholt. Zurzeit liegt sie in Umfragen bei etwa 35 Prozent. Die FPÖ favorisiert deshalb Neuwahlen.
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Wie den Worten Van der Bellens zu entnehmen ist, ist die Neuwahl allerdings eher die Notlösung, wenn alle anderen Möglichkeiten versagen. Möglich wäre es durchaus auch, eine Minderheitsregierung einzusetzen. Voraussetzung dafür: dass der Nationalrat, wie laut Verfassung vorgesehen, Kanzler und Minister bestellt. Das Problem daran: Eine solche Regierung müsste sich für jeden einzelnen Beschluss Mehrheiten im Nationalrat erkämpfen. Ausschlaggebend für diese Variante wäre also eine stille Koalition mit einer oder mehreren anderen Parteien entweder pauschal oder in Themenfeldern wie Wirtschaft, Klima oder Sicherheit.
Vorletzte Ausfahrt Expertenregierung
Statt einer Minderheitsregierung kommt auch eine Expertenregierung infrage. Dabei werden parteiübergreifend respektierte Persönlichkeiten für Ministerposten nominiert und vom Nationalrat bestellt. Nach dem Fall der ÖVP-FPÖ-Koalition im Zuge des Ibiza-Skandals 2019 hatte Österreich für kurze Zeit eine solche Regierung, die sich überraschend großer Beliebtheit erfreut hat. Die Variante einer »entpolitisierten« Regierung mag inmitten der aktuellen Polemiken vielleicht attraktiv klingen. Allerdings steht infrage, wie sehr ein solch »unpolitisches« Kabinett gestalterisch aktiv sein kann. Denn bereits bei Mammutaufgabe Nummer eins, der Budgetsanierung, ist so gut wie jeder Aspekt hochpolitisch. Etwa die Frage, ob ausgabenseitig oder einnahmenseitig reformiert werden soll.
Es bleibt die Variante vier: also, dass doch noch zwei oder drei Parteien eine Regierungsmehrheit bilden. Die Variante FPÖ-ÖVP scheidet aus. Die sozialdemokratische SPÖ, die liberalen Neos und Grüne haben eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen. Bleibt die Möglichkeit einer Koalition zwischen ÖVP und der SPÖ, die dann auch noch die Neos und/oder die Grünen hinzunehmen könnten. Die SPÖ hat Bereitschaft für Gespräche bekundet. Ebenso haben das die Neos und auch die Grünen. Wobei ÖVP und Grüne zurzeit wohl wenig Appetit auf eine Zusammenarbeit haben. Alexander Van der Bellen will in den kommenden Tagen Gespräche führen und dann entscheiden, welcher Weg eingeschlagen wird.
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