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Schwarzfahren in Berlin: Endstation Bund

Die Entkriminalisierung von ticketlosem Fahren in der Hauptstadt hängt von der kommenden Bundesregierung ab

  • Rafael Schumacher
  • Lesedauer: 3 Min.
Berliner*innen, die sich ihr Ticket nicht leisten können, sind von harten Strafregelungen betroffen.
Berliner*innen, die sich ihr Ticket nicht leisten können, sind von harten Strafregelungen betroffen.

In Brandenburgs Hauptstadt Potsdam wird das Fahren ohne Ticket seit Mitte 2024 nicht mehr strafrechtlich verfolgt. In Berlin hingegen wurde vom schwarz-roten Senat bisher kein Versuch unternommen, dies zu ändern – und das wird wohl erst einmal so bleiben. In Sachen Entkriminalisierung setzt die Große Koalition auf Veränderungen auf Bundesebene. »Mit dem Ende der Ampel-Koalition scheint auch eine Lösung im Bund zunächst nicht mehr in Sicht«, teilt Tino Schopf (SPD), verkehrspolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus, »nd« mit.

Mit einer Anfrage an den Senat hat sich Schopf einen Überblick über die aktuellen Zahlen verschafft. Fast 16,5 Millionen Fahrgäste wurden 2024 im öffentlichen Berliner Nahverkehr kontrolliert. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) kontrollierten demnach auf 0,4 Prozent ihrer Fahrten, während Fahrgäste der S-Bahn Berlin bei 2,3 Prozent aller Fahrten ihre Tickets vorzeigen mussten.

Insgesamt registrierte die BVG 270 000 Fahrten ohne Fahrschein. Bei rund doppelt so vielen Kontrollen kommt die Berliner S-Bahn mit 275 000 gemeldeten Schwarzfahrten auf einen nur leicht höheren Wert.

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Obwohl die Anzahl der eingeleiteten Strafverfahren 2024 (9147) gegenüber 2023 (8250) sogar angestiegen ist, hat sich die Anzahl von angeordneten Ersatzfreiheitsstrafen von 627 auf 132 reduziert. Schopf sieht hierin eine positive Entwicklung: Offenbar sei die Ersatzfreiheitsstrafe häufiger als im Vorjahr durch eine Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes abgewendet worden. »Ein drohender Haftantritt scheint also tatsächlich Wirkung zu zeigen.«

Bei der Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung, wie sie etwa Linke und Grüne fordern, scheint es derweil nicht voranzugehen. Beide Oppositionsfraktionen hatten 2024 in einem gemeinsamen Antrag darauf gedrängt, das Fahren ohne Fahrschein zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Schwarz-Rot wies den Antrag mit Verweis auf den Bund zurück. Nur er sei in der Lage, den Straftatbestand des Schwarzfahrens voll und ganz abzuschaffen.

Das Verschieben der Strafbarkeit in den Bereich einer Ordnungswidrigkeit sei nicht die Lösung des Problems, teilt Schopf mit. »Denn auch am Ende der Vollstreckung von Forderungen aus Ordnungswidrigkeiten kann eine Ersatzfreiheitsstrafe stehen.« Laut Schopf sei die Position der SPD schon seit Längerem, dass das bis zur Ersatzfreiheitsstrafe vollzogene Verfolgen von Schwarzfahren nicht menschenwürdig und zeitgemäß ist. »Eine zufriedenstellende Lösung wäre nur die zivilrechtliche Verfolgung des Schwarzfahrens.«

Das Abschaffen der Ersatzfreiheitsstrafe nach dem Fahren ohne Ticket steht schon länger in der Diskussion. Neben Potsdam entschieden sich bereits Städte wie Köln und Dresden für die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit. Laut einer Umfrage sind mehr als 69 Prozent der Bevölkerung für das Abschaffen von Gefängnisstrafen aufgrund fehlender Tickets. Eine Initiative namens Freiheitsfonds sammelt seit 2021 Geld, um Personen zu befreien, die aufgrund fehlender Tickets im Gefängnis landen. Der Freiheitsfonds hatte zuletzt den Bund dazu aufgefordert, die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens noch vor der Neuwahl zu verabschieden.

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