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»Klartext« im ZDF: Bei Kanzlers und Nichtkanzlers
Mit dem »nd« durch die TV-Duelle (3): Zu viert doppelt Danke sagen
Heutzutage wirkt es mitunter, als wäre selbst der helle Wahnsinn bestell- und lieferbar. Pünktlich zur ZDF-Wahlarena am Donnerstagabend, in der sich erstmals die Spitzenkräfte vier großer deutscher Parteien Fragen eines ausgewählten Saalpublikums stellen, hatte ein Mann ferner Herkunft das nächste Auto in Unschuldige gesteuert. Dieses Attentat auf eine Gewerkschaftsdemonstration hätte als Steilvorlage für populistischen »Klartext« getaugt, wie das Gipfeltreffen genannt wurde.
Nach der Anmoderation von Bettina Schausten und Daniel Sievert allerdings spielt der Anschlag von München nur die Nebenrolle eines bemerkenswerten Schauspiels in vier Akten. »Tragen Sie nicht moralische Mitschuld an jedem einzelnen Mord?«, will eine Solinger Hausfrau zu Beginn vom ersten Stargast noch wissen, der wie eine Schaufensterpuppe auftritt und sich linkisch verbeugt. Davon abgesehen, dass Olaf Scholz statt einer Antwort den Dreiklang »Immer-Wieder-Täter« lieferte, war’s das fast mit dem Dauerbrenner Ausländerkriminalität. Stattdessen: Ukraine, Mieten und Klimaschutz. Drei Themen, die in den TV-Duellen bis -quadrellen zuvor im Schatten der Abschiebepolitik standen. Was sollen wir lernen? Marschflugkörper will Scholz weiterhin nicht liefern, dafür die angepeilten 400 000 Wohnungen jährlich bauen und zudem »Straßen, Flughäfen, Autobahnen, Fabriken«, was der jungen Fragestellerin zwar kaum die Angst vor Erderwärmung nehmen dürfte, aber ähnlich dynamisch wirkt wie Robert Habeck, als der Grüne den Bundeskanzler nach 30 Minuten schwungvoll abklatscht.
Der Bundeskanzler wirkt mit Betonmimik wie ein Zinnsoldat.
Die linke Faust lässig in der Hosentasche, hoppelt der Wirtschaftsminister wie auf einer Flasche Doppelherz durchs Hauptstadtstudio, dass es selbst Moderator Sievert verblüfft. Und auch einen Fleischhändler aus Unna, dem der rotgelbgrüne Subventionsstopp die Elektrifizierung seiner Autoflotte verhagelt habe, wie er meint. Als Habeck zugibt, er habe die »fatale Wirkung auch psychologisch unterschätzt«, zollt ihm der Unternehmer Respekt, Fehler einräumen zu können. Überhaupt zeigt sich der Grüne devot.
Auf die Erkundigungen einer vierfach überfallenen Schneiderin nach Vorsorgekonzepten (Antwort: »Sicherheitsoffensive«) und eines schwäbischen Stammwählers zur Friedenspolitik (Antwort: »Ordnung«), dankt er jeweils »doppelt für die Frage« – und unterscheidet sich damit klar von seiner Nachfolgerin im Ring.
Denn Alice Weidel betritt das schlichte Halbrund nicht nur mit ihrer üblichen Panzerung aus Sneakers und Überlegenheitsgrinsen. Sie betreibt auch erstaunliche Publikumsbeschimpfung. Als ein Pflegeunternehmer am Beispiel seiner georgischen Mitarbeiterin, die nach abgelehntem Asylantrag nur geduldet sei, für Weidel also sofort ausreisepflichtig ist, »mehr Migration, nicht Remigration« fordert, wirft ihm Weidel vor, diesen Satz »nur auswendig gelernt« zu haben und findet Duldung plötzlich akzeptabel, weil – tja … Als einige im Saal lachen, lacht sie zurück (»Lustig hier«), verweigert oft die Aussage (»Lesen sie unser Programm!«), rechnet beim Strompreis kreativ (17 Cent für regenerativen Strom sind mehr als 30 Cent für fossilen), ist also derart auf Krawall gebürstet, dass man sich den Faktencheck nicht erst nach der Sendung wünscht – und fast erleichtert ist, wer jetzt kommt: Als Friedrich Merz braungebrannt und bestens gelaunt reinfedert, hellt sich die Stimmung auf.
Fröhlich attestiert er einem türkischstämmigen Stahlgießer in dritter Generation, ohne ihn »wäre die Erfolgsgeschichte des Ruhrgebiets nicht geschrieben worden«. Mit einem Wärmepumpenhändler streitet er energisch, aber sittsam über Verbotsdefinitionen. Und der Bankkaufrau versucht er die Furcht vorm Krieg mit dem fast christdemokratischen Satz »Wenn wir aus lauter Angst zurückschrecken, haben wir uns schon aufgegeben« zu nehmen. So geht der zweieinhalbstündige Abend beinahe versöhnlich zu Ende – wofür noch am wenigsten der verkrampfte Handschlag zwischen Robert Habeck und Alice Weidel steht. Eher schon eine Dragqueen, die lustigerweise gern dann im Bild war, wenn die AfD-Chefin sprach, und das Geschlechterverhältnis von 17 Fragestellern zu fünf Fragestellerinnen nonbinär abfedern half.
Welche Typologie da über einen Schneesturm hinaus, in den alle vier Gäste vor dem Studio gerieten, als sie aus ihren Autos stiegen, erinnerlich bleibt? Scholz: Zinnsoldat mit Betonmimik. Wichtigster Satz: »Das will ich ausdrücklich sagen.« Habeck: Obama-Kopie mit Fehlereinsicht. Wichtigster Satz: »Doppelt danke für die Frage, auch im Namen der Polizei.« Weidel: Rollkragen-Domina mit 3 minus in Mathe. Wichtigster Satz: »Wer arbeitet und sich benimmt, hat nichts zu befürchten.« Merz: Urlaubsrückkehrer mit Schuldenbremsfimmel. Wichtigster Satz: »Wir müssen den Brand hinter der Mauer bekämpfen.«
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