Bündnis »Wir stehen zusammen«: Grenzen des Tarifkampfs

Ableger der ÖPNV-Klimaschutz-Kampagne »Wir fahren zusammen« fordert Berlins Kürzungspolitik heraus

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Gemeinsam stärker? Verdi und Klimaaktivist*innen im Bündnis »Wir fahren zusammen«
Gemeinsam stärker? Verdi und Klimaaktivist*innen im Bündnis »Wir fahren zusammen«

»Am liebsten bin ich mit der M1 unterwegs«, gerät Manuel von Stubenrauch ins Schwärmen. »Jedes Mal, wenn du um die Ecke biegst, passiert etwas anderes.« Der 43-Jährige ist seit 2015 als Straßenbahnfahrer für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im Einsatz, bedient vor allem die Linien des Betriebshofes Lichtenberg, darunter die M10 von Moabit bis zur Warschauer Straße.

Während der aktuellen Tarifrunde bei der BVG ist er jedoch häufig außerhalb der Straßenbahn anzutreffen: am Streikposten, als Mitglied der Tarifkommission oder – wie am Mittwochabend in der linken Kiezkneipe »Baiz« – auf politischen Veranstaltungen. Eingeladen hatte die Basisorganisation »Merkste Selba« des linken Bezirksverbands Pankow, um über Geschichte, Gegenwart und Chancen des politischen Streiks zu sprechen.

Gemeinsam mit Kolleg*innen aus dem Bereich Pflege, Stadtreinigung, Post und Erziehung ist Stubi, wie der Straßenbahnfahrer nur genannt wird, im Bündnis »Berlin steht zusammen« aktiv, welches seit Dezember 2024 besteht. Durch die Vernetzung von Beschäftigten der öffentlichen Daseinsvorsorge will das Bündnis deren Tarifrunden mit politischen Forderungen flankieren. Die Kürzungspolitik des schwarz-roten Senats schaffe den Nährboden für rechte Parteien, heißt es in einem Brandbrief von »Berlin steht zusammen«. Es bedürfe massiver öffentlicher Investitionen, ansonsten drohten lebenswichtige Bereiche der städtischen Infrastruktur zu kollabieren.

Neben gegenseitiger Unterstützung streikender Kolleg*innen steht das aktive Aufsuchen politischer Entscheidungsträger*innen im Fokus des Bündnisses, gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlkampfes. »Wir sind zum Beispiel Tabellenletzter beim Entgelt im Bundesländervergleich«, sagt der Straßenbahnfahrer. »Von den Parteien wusste das niemand, jetzt wissen sie es.« Ein schlechter Abschluss bedeute, dass Beschäftigte gingen. »Dann fährt irgendwann jede zweite Bahn nicht.« Schon jetzt würden viele der jährlich 230 ausgebildeten Straßenbahnfahrer*innen nicht durchhalten.

Da schlechte Arbeitsbedingungen nicht nur die BVG beträfen, habe man sich umbenannt. Entwickelt hat sich das Bündnis aus der Kampagne »Wir fahren zusammen«. Die Gewerkschaft Verdi und die Klimabewegung Fridays for Future hatten in den zwei vergangenen Manteltarifrunden im öffentlichen Nahverkehr zu gemeinsamen Aktionen aufgerufen. Die Idee dahinter: Ein personell gut ausgestatteter ÖPNV ist attraktiv und sorgt für Klimaschutz.

»Wir sind zum Beispiel Tabellenletzter beim Entgelt im Bundesländervergleich.«

Stubi Berliner Straßenbahnfahrer

Auch Tramfahrer von Stubenrauch war beteiligt, sprach auf dem Klimastreik 2024 erstmals vor vielen Menschen. »Die Älteren musste man erst noch überzeugen«, berichtet er von der anfänglichen Skepsis der Belegschaft gegenüber der Zusammenarbeit mit der Klimabewegung. Er selbst sei vor allem von der Solidarität der Klimaaktivist*innen beeindruckt gewesen, die ohne eigenen Vorteil nachts um drei am Streikposten gestanden hätten, um sich für gute Arbeitsbedingungen beim ÖPNV einzusetzen.

Dass das Verbinden verschiedener Kämpfe auch abseits der persönlichen Ebene Schwierigkeiten bergen kann, wissen die beiden Arbeitsrechtler*innen Theresa Tschenker und Daniel Weidmann zu berichten. Die Leipziger Verkehrsbetriebe hatten 2024 Anstrengungen unternommen, gerichtlich gegen den Streik im Nahverkehr vorzugehen. »Der Arbeitgeber hatte versucht zu argumentieren, in Wirklichkeit hätten sie einen politischen Streik für Klimaschutzfragen führen wollen«, sagt Weidmann. Da sich in den Tarifforderungen aber nichts finden ließ, sei es glimpflich ausgegangen.

Gestreikt werden darf in Deutschland nur, sofern eine Gewerkschaft dazu aufruft und tariffähige Ziele formuliert werden. Das liege auch an der Besetzung der Gerichte mit konservativen bis rechten Juristen in der Nachkriegszeit, erklärt Theresa Tschenker. »Streikrecht ist Richterrecht und die ersten Urteile sind verhältnismäßig restriktiv ausgefallen.« Anders als in vielen anderen Mitgliedsstaaten der europäischen Menschenrechtskonvention seien daher bis heute etwa verbandsunabhängige »wilde« Streiks verboten sowie solche, die sich an andere Adressat*innen als die Arbeitgeber*innen richteten.

Diese Restriktionen stellen Beschäftigte der öffentlichen Daseinsvorsorge vor besondere Herausforderungen, sind kommunale oder staatliche Stellen etwa in Fragen der Finanzierung unmittelbarer für ihre Arbeitsbedingungen verantwortlich als in anderen Branchen. Dass die Trennung von Tarifpolitik und Politik eben eine politische ist, hatte unter anderem 2015 die Berliner Krankenhausbewegung gezeigt. Damals wurde erstmals gerichtlich bestätigt, dass Personalbemessungsschlüssel zur Entlassung tariffähige Forderungen sein können. »Wir haben alle den Atem angehalten, als die Verdi das zum ersten Mal gemacht hat«, erinnert sich Arbeitsrechtler Daniel Weidemann.

»Ein Gericht entscheidet nicht im luftleeren Raum«, sagt Theresa Tschenker. Auch Gerichte könnten die Notwendigkeit sehen, »dass sich die Rechtsprechung wandelt, weil gesellschaftliche Verhältnisse sich gewandelt haben«. Damit dies geschieht, brauche es allerdings neben dem Rechtsstreit eine starke Streikbewegung mit einer Kampagne, welche »das Verbot herausfordert und in Kauf nimmt, dass man am Ende Schadenersatz leisten muss oder Leute sogar gekündigt werden«.

Inwieweit sich »Berlin steht zusammen« als eine solche Streikbewegung versteht und welche Eskalationsstufen das Bündnis in den diesjährigen Tarifauseinandersetzungen zu gehen bereit ist, bleibt am Mittwoch offen. Dass man weiterwachsen wolle, daran lässt Tramfahrer Manuel von Stubenrauch keinen Zweifel. Auch seien für die kommenden Wochen weitere Aktionen geplant.

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