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Ex-Innenminister Gerhart Baum gestorben
Vorkämpfer für Bürgerrechte wird fehlen
Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum ist tot. Er starb in der Nacht zu Samstag in Dresden, wie seine Kanzlei der Nachrichtenagentur AFP bestätigte. Der FDP-Politiker und Anwalt wurde 92 Jahre alt. Er war von 1978 bis 1982 Innenminister unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD), zudem mehr als zwei Jahrzehnte lang – von 1972 bis 1994 – Bundestagsabgeordneter. Baums Verdienste für Demokratie und Bürgerrechte wurden parteiübergreifend gewürdigt.
Seine Amtszeit als Innenminister und zuvor parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium fiel in die Zeit von Anschlägen der Rote Armee Fraktion (RAF). Baum führte als Minister nicht nur den Dialog mit Opfern und Angehörigen, sondern auch mit Inhaftierten und Verurteilten. So suchte er zum Beispiel das Gespräch mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Horst Mahler, das 1980 mit dem Titel »Der Minister und der Terrorist« auch als Buch veröffentlicht wurde.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag arbeitete Baum mehrere Jahre als Leiter der deutschen Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission. Später nahm er seine Anwaltstätigkeit wieder auf. Bekannt wurde Baum dabei vor allem als Mitinitiator von erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen Gesetzespakete wie den sogenannten Großen Lauschangriff oder die Vorratsdatenspeicherung. Zudem vertrat er frühere NS-Zwangsarbeiter aus Osteuropa oder Angehörige von Opfern des 2015 durch einen Pilotensuizid verursachten Absturzes einer Germanwings-Flugzeugs.
Auch im hohen Alter besuchte der Vorkämpfer für Bürgerrechte fleißig Talkshows und gab Interviews. Als Anwalt war er ebenfalls weiterhin tätig, erst 2022 vertrat er mit seiner Kanzlei Baum, Reiter & Kollegen die Angehörigen der israelischen Opfer des Anschlags bei den Olympischen Spielen in München 1972. Für sie verhandelte der Jurist erfolgreich mit der Bundesregierung über eine Entschädigung.
Baum wurde 1932 in Dresden geboren. Seine Mutter flüchtete mit ihm und seinen zwei Geschwistern im Zweiten Weltkrieg in den Westen, der Vater starb als Soldat. Ab 1950 lebte die Familie in Köln, wo Baum später auch Jura studierte.
Zahlreiche Politikerinnen und Politiker würdigten den Verstorbenen. Baum habe sich »um unser Land, um unsere Demokratie in herausragender Weise verdient gemacht«, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. »Wir werden seine Debattenbeiträge, seinen immer klaren Kompass, seine Haltung vermissen.«
»Mit Gerhart Baum verliert unser Land einen großen Liberalen und engagierten Demokraten, der keine Auseinandersetzung scheute«, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Onlinedienst X. »Bis zuletzt hat er sich klug zu Wort gemeldet und sich um Deutschland verdient gemacht.«
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nannte Baum einen »herausragenden Politiker«. Sein Vermächtnis und Auftrag an Deutschland sei: »Schützt die liberale Demokratie, schützt Freiheit und Rechtsstaat.« Baum habe zudem schon früh versucht, Liberalismus und Ökologie zu verbinden.
FDP-Chef Christian Lindner nannte Baum »eine der kräftigsten Stimmen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie«. Er habe darauf geachtet, »dass Bürgerrechte auch in heiklen Lagen Gehör fanden«. Baum habe zudem über Jahrzehnte die FDP geprägt – unter anderem von 1982 bis 1991 als Vize-Parteichef. Die FDP sei ihm deshalb »zu großem Dank verpflichtet«.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) würdigte Baums Kampf »für Bürgerrechte, gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus«. Zudem hob sie seinen »großen Einsatz für die Rolle von Kunst und Kultur in diesem Land« hervor.
Mit Baum sei »ein aufrechter Liberaldemokrat« gestorben, erklärte Linke-Urgestein Gregor Gysi. Nicht selten habe dieser vor dem Bundesverfassungsgericht Korrekturen von Gesetzen erreicht, »die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern über Gebühr einschränkten«. Menschen wie er fehlten der FDP heute.
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