»Somalia braucht tragfähige Strukturen«

Franziska Ulm-Düsterhöft über den schwierigen Transformationsprozess im anhaltenden Bürgerkrieg

  • Interview: Sabrina Proske
  • Lesedauer: 3 Min.
Prekäre Versorgungslage: eine somalische Frau auf einem Markt in Mogadischu
Prekäre Versorgungslage: eine somalische Frau auf einem Markt in Mogadischu

Amnesty International dokumentiert bereits seit Jahren Drohnenangriffe in Somalia. Gilt für Somalia nicht ein Waffenembargo?

Stimmt, aber es passiert trotzdem. Vergangenes Jahr haben wir Drohnenangriffe mit zivilen Todesopfern durch türkische Drohnen dokumentiert. Jahrelang beobachteten wir Angriffe, die durch die USA ausgeführt wurden und zu vielen zivilen Todesopfern führten. Vergangenes Jahr blieb unklar, ob die somalischen Sicherheitskräfte die türkischen Drohnen genutzt haben oder ob die Türkei selbst die Drohnen geflogen hat, dann würden sie das Embargo nämlich nicht verletzen. Diese Drohnenangriffe passieren mit der Vorgabe, dass sie Ziele der islamistischen Terrororganisation Al-Shabaab bombardieren sollen. Genauere Nachforschungen von Amnesty International ergaben dann aber, dass die Informationen über Aufenthaltsorte teilweise falsch waren. Wir weisen das dann über Verifizierung von Satellitenbildern und Videos nach.

Welchen Einfluss hat der Präsident Hassan Sheikh Mohamud in Somalia, wo vielerorts entweder Clans oder Al-Shabaab das Sagen haben?

Präsident Hassan Sheikh Mohamuds Einfluss ist begrenzt, da Al-Shabaab große Teile des Landes kontrolliert. Er hat jedoch Zugriff auf die somalischen Sicherheitskräfte, die durchaus auch Menschenrechtsverletzungen begehen. Außerdem könnte er Gesetze einbringen, um sexualisierte Gewalt zu bekämpfen, die bislang von nationalen Gesetzen legitimiert ist.

Interview

Franziska Ulm-Düsterhöft ist Diplom-Politologin und seit 2008 bei Amnesty International in Deutschland tätig. Dort ist sie Fachreferentin für Afrika und unter anderem als Sachverständige zu Menschenrechtsthemen in der Region Afrika im Bundestag tätig.

Was bedeutet das für somalische Frauen?

Mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit erleben sie in sehr jungen Jahren eine Genitalverstümmelung. Häufig kommt sexualisierte Gewalt vor, darunter Zwangsverheiratung, Verheiratung als Minderjährige und Vergewaltigungen, die nach einer Genitalverstümmelung besonders schwerwiegende Folgen haben. Diese Gewalt gegenüber Frauen ist nach dem allgemeinen somalischen Gesetzbuch in ganz Somalia erlaubt.

Gegen sexualisierte Gewalt blieb Präsident Mohamud bisher untätig, wie steht es um politische Reformen?

Vergangenes Jahr stellte der Präsident die Abschaffung des seit 1969 geltenden indirekten Wahlsystems in Aussicht. Im Rahmen dieses Systems hatten bislang mächtige Clans eine zentrale Rolle bei der Vergabe politischer Posten gespielt. Regionalparlamente und Delegierte der Clans wählten die Mitglieder des nationalen Parlaments aus, das wiederum den Staatspräsidenten wählte. Nun schlägt er ein direktes, demokratisches Wahlsystem vor. Mir ist aber völlig schleierhaft, wie die Wahlen vor allem in den Al-Shabaab-Gebieten stattfinden sollen und wie aussagekräftig die Ergebnisse dann sein können.

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Deutschland hat sich teilweise aus den EU-Missionen in Somalia zurückgezogen. Von 2010 bis 2018 war die Bundeswehr Teil der EU-Ausbildungsmission für die somalische Nationalarmee. Wie ist denn die aktuelle Lage in Somalia?

Nach wie vor sehr schlecht. Bürgerkrieg, Kämpfe zwischen Al-Shabaab, der somalischen Armee und den Friedenstruppen der afrikanisch geführten ATMIS-Mission dominieren das Leben der Menschen. In Somalia herrscht auch eine extreme Ernährungsunsicherheit, verursacht durch die zerstörte Infrastruktur und Dürreperioden. 70 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen spricht von rund 177 Millionen US-Dollar, die allein im Jahr 2024 benötigt wurden, um die Flüchtlinge zu unterstützen.

Wie sieht die Zukunftsperspektive in Somalia aus?

Präsident Hassan Sheikh Mohamud möchte die ausländischen Truppen und militärischen Missionen im Land transformieren. Sie sollen verstärkt im Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen eingesetzt und reduziert werden.
Doch ich bin skeptisch. Al-Shabaab ist zwar schwächer als noch vor zehn Jahren, aber trotzdem immer noch stark. Wenn jetzt Soldaten der Mission der Afrikanischen Union wegfallen, befürchte ich, dass es zu neuen Sicherheitslücken kommen könnte. Andererseits: Wenn es gelingt einen Transformationsprozess in Gang zu bringen und nennenswerte Strukturen aufzubauen, dann wäre es natürlich eine gute Perspektive für Somalia.

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