Die Rechtsextremen sind nicht mehr wegzudenken

Deutschlands rigide und unsolidarische Finanzpolitik hat den Nationalismus gestärkt

  • Marco Bascetta
  • Lesedauer: 4 Min.
Die wiedergewählten Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, äußern sich nach der konstituierenden Sitzung der AfD-Fraktion im Bundestag.
Die wiedergewählten Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, äußern sich nach der konstituierenden Sitzung der AfD-Fraktion im Bundestag.

Die Bundestagswahl in Deutschland zeigt die Unfähigkeit der gemäßigten und konservativen Kräfte, sich dem Rechtsruck in Europa entgegenzustellen. Oder, schlimmer noch: dass sie der Versuchung erliegen, aus einem zweideutigen Spiel mit der extremen Rechten Nutzen zu ziehen.

Die extreme Rechte wird halb als gefürchteter Konkurrent behandelt, halb als Buhmann, der dazu dient, die Forderungen nach sozialer Umverteilung durch unbequeme, mehr oder weniger linksorientierte Koalitionspartner abzuwehren. Dies ist der Fall in Frankreich, Österreich, Holland und Skandinavien, ganz zu schweigen von den Ländern, in denen die extreme Rechte bereits ungehindert an der Regierung ist.

Zwei Millionen Menschen auf der Straße gegen die AfD

In Deutschland macht sie freilich mehr Eindruck, und zwar nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch wegen des enormen Gewichts der Bundesrepublik in Europa. So viel Eindruck, dass sie in den letzten Wochen zwei Millionen Menschen gegen die AfD und gegen jede Regierungsbeteiligung dieser Partei auf die Straße gebracht und zu dem unerwartet guten Ergebnis der Linken, vor allem bei jungen Menschen, geführt hat.

Il Manifesto

Der Text wurde »nd« zur Verfügung gestellt von der linken italienischen Tageszeitung »Il Manifesto«, mit der wir kooperieren.

Die Ultrarechte von Alice Weidel mit ihren 20 Prozent, errungen ohne jede bürgerliche Schminke, hat noch nicht die Erpressungsmacht, die das Rassemblement National in Frankreich erreicht hat. Aber sie ist eine lästige Tatsache, die man nicht ignorieren kann, weil sie die aggressiven Ziele von Trumps Amerika im Rücken hat und die Sympathien Russlands, das Teil eines für Deutschland lebenswichtigen Wirtschaftsraums ist. Der von der AfD erzielte Erfolg ist auch groß genug, um den Vorwurf der Demokratieverweigerung zu rechtfertigen, der im Allgemeinen gegen jede Conventio ad excludendum (Vereinbarung zum Ausschluss) erhoben wird, wie sie gegen Weidels Partei erhoben wurde. Washington bewegt sich bereits deutlich in diese Richtung.

Merz folgte der extremen Rechten auf ihrem Terrain

Das Ergebnis von CDU/CSU war ein klarer Sieg, aber kein Triumph und weit entfernt von den Rekordwerten, die Angela Merkel in ihrer langen Kanzlerschaft erreicht hat. Friedrich Merz’ Wahlkampf, der die extreme Rechte in ihren Themen und auf ihrem Terrain folgte, hat seitens der AfD den Vorwurf des Plagiats ihres Programms nach sich gezogen, ohne dass es ihm gelungen wäre, dieser Partei Stimmen abzunehmen.

Die Litanei von der Zurückweisung von Migranten und der Einschränkung des Asylrechts ist inzwischen so weit verbreitet, so eindringlich und so stereotyp, dass dieses Thema für die Herausbildung eines unterscheidbaren politischen Profils nur noch wenig zählt, wie die Grünen und die SPD selbst erfahren mussten. Und auch als Instrument zur Bewältigung der Krise und Rezession, die die Bundesrepublik erfasst hat, ist sie immer weniger glaubwürdig.

Deutschlands Finanzpolitik gefährdet europäischen Zusammenhalt

Merz’ neuer Kurs, sich von den AfD-Positionen zu distanzieren, soll Europa von den USA unabhängig machen. Doch ist dieser eher durch das Trump’sche Erdbeben erzwungen als eine freie Entscheidung. Außerdem ist es ein schwieriger Weg für diejenigen, die die letzten 80 Jahre in einem sehr frommen und geschützten atlantischen Glauben gelebt haben. Ganz zu schweigen vom Krieg in der Ukraine, der die Tür zum Osten hermetisch verschlossen hat, zu dem Amerika nun Zugang hat, ohne beim Alten Kontinent anzuklopfen.

Das an sich proeuropäische Deutschland trägt jedoch mit seiner rigiden Finanzdoktrin, dem »Vorrang des nationalen Interesses«, seiner Diskriminierung von Schuldnerstaaten und seiner strikten Weigerung, gemeinsame Schulden zu machen, nicht wenig Verantwortung dafür, dass der Zusammenhalt der Europäischen Union und ihre Fähigkeit, in Krisensituationen einheitliche und solidarische Antworten zu geben, behindert wurden.

Rückschlag für Sahra Wagenknecht

Dies hat zu dem Euroskeptizismus geführt, von dem sich die radikale Rechte ernährt hat, und zum Wiederaufblühen des Nationalismus. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass das deutsche Establishment gewillt ist, sich dieses doktrinären Ballasts ganz zu entledigen – auch wenn das Verschwinden der FDP aus dem Bundestag diese abgehobenen Finanzdogmen, die von der Arroganz der vergangenen wirtschaftlichen Solidität Deutschlands inspiriert sind, radikal infrage stellt.

Auch die aus einer Abspaltung von der Linken hervorgegangene neue Partei Sahra Wagenknechts hat trotz ihres fulminanten Starts bei Landtagswahlen in Ostdeutschland die Fünf-Prozent-Hürde nicht genommen. Die AfD hat in allen Wahlkreisen zugeschlagen und damit bewiesen, dass ihr die Themen Zurückweisung und Abschiebung unerwünschter Ausländer quasi von Rechts wegen gehören. Wer besessen ist von diesen Schreckgespenstern, neigt naturgemäß nach rechts zu autoritären Lösungen.

Die Idee, nationalistische, konservative und identitätsbasierte Positionen mit den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und den egalitären Bestrebungen der Linken in Einklang zu bringen, hat sich als abstraktes und erfolgloses Unterfangen erwiesen – ohne institutionelle politische Anknüpfungspunkte und ohne die Fähigkeit, soziale Bewegungen zu aktivieren.

Der Text ist bei unserem Kooperationspartner »Il Manifesto« erschienen.
Originaltext auf Italienisch

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -