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Kurden haben das Nachsehen
Dialogkonferenz in Damaskus schließt Teile der Bevölkerung von der Mitgestaltung der Zukunft Syriens aus
Die neuen syrischen Machthaber entfalten eine beachtenswerte diplomatische Aktivität, um das Land nach dem Sturz von Langzeitpräsident Baschar Al-Assad am 8. Dezember auf einen neuen Pfad zu bringen. Wohin dieser führen soll, wird aber noch immer nicht ganz klar. Am Mittwoch traf der selbsternannte syrische Übergangspräsident Ahmad Al-Scharaa in der jordanischen Hauptstadt Amman mit König Abdullah II. zusammen.
Das Nachbarland Jordanien ist ein wichtiger Partner für Syrien, nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) bietet das Land zum Stichtag 31. Januar fast 600 000 registrierten syrischen Geflüchteten Schutz. Die beiden Staatschefs hätten im königlichen Palast ihre ersten Gespräche seit Al-Scharaas Machtübernahme geführt, erklärte der jordanische Königshof am Mittwoch. Wie wichtig die neue Regierung in Damaskus die Beziehungen zu Jordanien einschätzt, sieht man auch daran, dass der Besuch in Amman erst Al-Scharaas dritte Auslandsreise war, nach Besuchen in Saudi-Arabien und der Türkei.
Keine kurdischen Vertreter eingeladen
Innenpolitisch will die Übergangsregierung den Worten nach einen inklusiven Übergangsprozess anschieben, an dem alle ethnischen und religiösen Gruppen des Landes beteiligt sind. So wurde am Dienstag, zum Abschluss einer zweitägigen Konferenz mit dem vielversprechenden Namen »Nationaler Dialog« ein »Zukunftsplan« in Damaskus vorgestellt: 18 Punkte als Grundlage für den künftigen Staatsaufbau, Wirtschaft, Militär und Rechte der Bevölkerung, eine vorübergehende Verfassung und ein vorübergehender Legislativrat. Beteiligt an der Ausarbeitung waren Vertreter der Übergangsregierung und weiterer gesellschaftlicher Gruppen.
Kurdische Vertreter waren nach Angaben der Organisatoren jedoch nicht eingeladen worden. Dabei machen die Kurden, die vor allem im Norden Syriens wohnen, geschätzt zwischen zehn und 15 Prozent der Bevölkerung aus. Die Übergangsregierung rechtfertigte die Abwesenheit kurdischer Gruppen damit, dass bewaffnete Gruppen grundsätzlich ausgeschlossen werden sollten.
Übergangsregierung will Gewaltmonopol durchsetzen
Die Abschlusserklärung hebt speziell das Gewaltmonopol des Staates hervor, eine Formulierung, die als Anspielung auf die bewaffneten, kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) im Nordosten zu verstehen ist. Jegliche »bewaffneten Verbände außerhalb der offiziellen Institutionen« sollten verboten werden, hieß es in der Erklärung. Doch die Kurden sind fast täglich Angriffen der türkischen Armee oder der mit ihr verbündeten Miliz Syrische Nationale Armee (SNA) ausgesetzt, müssen sich also selbst verteidigen können.
Dementsprechend wies die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien die Gespräche »in Form und Inhalt« zurück und erklärte, die Konferenz repräsentiere das syrische Volk nicht. Der Ansatz der Übergangsregierung zum Dialog sei enttäuschend. Auch Vertreter der Nationalkoalition, die 2012 als Dachorganisation der Opposition im Bürgerkrieg gegründet wurde, waren laut oppositionellen Kreisen nicht vertreten. »Wir wurden alle marginalisiert«, sagte ein Vertreter der Deutschen Presse-Agentur.
Keine Einheit des syrischen Volkes
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden im Ausland lebende Vertreter der Opposition erst 24 bis 48 Stunden vor Beginn der Konferenz eingeladen, sodass sie nicht teilnehmen konnten.
Von der »Einheit des syrischen Volkes«, die Übergangspräsident Ahmad Al-Scharaa regelmäßig in seinen Reden und auch am Dienstag vor den Konferenzteilnehmern bemüht, kann also keine Rede sein. Die Selbstverwaltung hatte bereits bei der Vorbereitung der Konferenz des »Nationalen Dialogs« kritisiert, dass jene nicht repräsentativ sei. »Nur wenn der Wille der etwa fünf Millionen Syrerinnen und Syrer in den Gebieten der Selbstverwaltung einbezogen wird, ist es möglich, einen inklusiven Staat in Syrien zu schaffen«, heißt es in einer Pressemitteilung. Mit Agenturen
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