Teilen und herrschen in Syrien

Israel versucht sich als Schutzmacht der Minderheiten gegen die neuen sunnitischen Machthaber

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 6 Min.
Proteste in der syrischen Stadt Suweida gegen Israels Forderungen der Entmilitarisierung
Proteste in der syrischen Stadt Suweida gegen Israels Forderungen der Entmilitarisierung

Das neue Syrien soll bald auch eine neue Verfassung erhalten: Der Interimspräsident (und vormalige Anführer der islamistischen HTS-Miliz) Ahmad Al-Scharaa hat die Bildung eines siebenköpfigen Komitees bekanntgegeben, das eine Verfassungserklärung für den Übergang des Landes nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad ausarbeiten soll. In einer am Sonntag veröffentlichten Mitteilung hieß es, der »Expertenausschuss«, dem auch zwei Frauen angehören, sei mit der Ausarbeitung einer »Verfassungserklärung zur Regelung der Übergangsphase« in Syrien beauftragt.

Die HTS-Miliz hatte das alte Parlament und die ehemalige Regierungspartei Baath aufgelöst und die Verfassung von 2012 vorerst außer Kraft gesetzt. Eine Übergangsregierung unter Al-Scharaa führt derzeit die Regierungsgeschäfte. Anschließend soll eine neue Regierung antreten, die die verschiedenen Volksgruppen und Religionen des Landes berücksichtigen soll.

Konflikte mit regimetreuen Milizen

Soll – denn in Syrien regt sich der Widerstand von Bevölkerungsgruppen gegen die neuen sunnitischen Machthaber. So hat die Regierung am Sonntagabend Soldaten nach Dscharamana geschickt, einem Vorort von Damaskus, um eine Miliz zu bekämpfen, die mit dem früheren Regime von Baschar Al-Assad verbunden gewesen sein soll und am Freitag zuvor bei einem Streit an einem Kontrollpunkt einen syrischen Sicherheitsbeamten getötet und einen weiteren verletzt hatte. Berichten zufolge haben sich die örtlichen Milizen geweigert, die an dem Vorfall vom Freitag beteiligten Verdächtigen auszuliefern.

»Unsere Streitkräfte haben mit dem Einsatz in Dscharamana begonnen, nachdem sich die an der Ermordung von Ahmed Al-Khatib, einem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, beteiligten Personen weigerten, sich zu stellen«, sagte Oberstleutnant Hussam Al-Tahan der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana. Al-Tahan zufolge wollen die Soldaten illegale Kontrollpunkte beseitigen. Diese würden von bewaffneten Gruppen betrieben, denen man Entführung, Mord und bewaffneten Raub vorwirft. Nach Verhandlungen kehrte allmählich Ruhe ein, berichtete der arabische Nachrichtenkanal Al-Jazeera.

Militärische Hilfe für die Drusen

In dem dicht besiedelten Vorort Dscharamana südlich von Damaskus leben über 100 000 Menschen, vor allem Drusen und Christen. Drusen leben auch im Libanon und in Israel, was die israelische Regierung für ihre regionalen Hegemoniebestrebungen auszunutzen versucht.

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Das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu teilte am Samstag mit, die Armee habe den Befehl erhalten, sich auf die Verteidigung der drusischen Bevölkerung von Dscharamana vorzubereiten. Israels Verteidigungsminister Israel Katz sagte, Dscharamana werde »von den Kräften des syrischen Regimes angegriffen« und Israel sei »unseren drusischen Brüdern in Israel verpflichtet, alles zu tun, um Schaden von ihren drusischen Brüdern in Syrien abzuwenden«.

Israel fordert Entmilitarisierung Südsyriens

Die israelische Regierung hat ihren Kurs gegen Syrien und die dort herrschenden neuen Machthaber noch einmal verschärft. Netanjahu verlangt, dass das Gebiet südlich der Hauptstadt Damaskus eine entmilitarisierte Zone wird, namentlich die Provinzen Quneitra, Daraa and Al-Suweida. Alle drei Provinzen grenzen an Syriens südlichen Nachbarn Jordanien, Quneitra auch an den Libanon und Nordisrael. Das Territorium ist mit rund 11 000 Quadratkilometern Fläche etwa halb so groß wie Hessen.

Bei einer Rede am 23. Februar verkündete Netanjahu, er werde dem Militär der neuen syrischen Machthaber nicht erlauben, »in das Gebiet südlich von Damaskus einzudringen«. Starke Worte gegen einen souveränen Nachbarn, der gerade versucht, das Land nach zwölf Jahren Krieg wieder aufzubauen. »Wir werden weder den HTS-Kräften noch der neuen syrischen Armee erlauben, in das Gebiet südlich von Damaskus einzudringen«, dekretierte Netanjahu.

Die Erklärung verärgerte viele in ganz Syrien, insbesondere aber im Süden des Landes, wo die Vorstöße der israelischen Armee und die Besetzung einer entmilitarisierten Zone nach dem Sturz Al-Assads noch gut im Gedächtnis sind.

Die israelische Armee hatte sich gleich nach der Machtübernahme der HTS-Milizen das Recht genommen, Syrien zu bombardieren und seine militärischen Einrichtungen zu zerstören. Schiffe, Flugzeuge und Panzer gingen in Flammen auf. Die lapidare Erklärung für den völkerrechtswidrigen Angriff auf ein Nachbarland, von dem keine Bedrohung ausging: Israel habe verhindern wollen, dass die Reste des syrischen Militärs in »die Hände der Dschihadisten fallen«, sagte Ministerpräsident Netanjahu im Dezember.

»Wir werden weder den HTS-Kräften noch der neuen syrischen Armee erlauben, in das Gebiet südlich von Damaskus einzudringen.«

Benjamin Netanjahu Regierungschef Israels

Bündnisse mit Minderheiten

Nun schneidert sich Israels Regierung eine neue Rolle, um Interventionen in Syrien zu legitimieren: Schutzmacht der dortigen Minderheiten. Mit der expliziten Erwähnung der Drusen wird Israels Politik deutlich: Bündnisse mit Minderheiten in der Region gegen die sunnitische Mehrheit, eine Politik des Teilens und Herrschens. Der politische Analyst Ali Bakir warnt in einem Beitrag auf der Webseite Middle East Eye, dass diese Strategie »Feindseligkeit, Misstrauen und Sektierertum« fördern könne. Minderheiten zu benutzen, um gewalttätige Reaktionen der Mehrheit zu provozieren, könnte in Syrien schnell wieder in einen Machtkampf umkippen.

»Israel hat diese Strategie bereits im Libanon angewandt und dabei mit den christlichen und schiitischen Gemeinschaften zusammengearbeitet«, schreibt Ali Bakir. Jetzt versuche die israelische Regierung das Gleiche mit den Drusen, Kurden und Alawiten in Syrien. »Dieser Ansatz ist jedoch destruktiv und kontraproduktiv.«

Syrischer Drusenführer verurteilt israelische Invasion

Der Führer der syrischen Drusen, Scheich Hikmat Al-Hidschri, hatte schon im Dezember die israelische Invasion in Syrien verurteilt und erklärt, sein Land müsse seine soziale und territoriale Einheit bewahren: »Die israelische Invasion macht mir Sorgen und ich lehne sie ab.«

Wie fragil die Lage in Syrien weiterhin ist, zeigte vergangenen Woche auch der von der Übergangsregierung initiierte zweitägige »Nationale Dialog« in Damaskus, von dem Minderheiten wie Kurden und Drusen weitgehend ausgeschlossen waren.

Syriens Zukunft darf nicht nur in Damaskus entschieden werden

Fast parallel, nur wenige Tage später, fand daher in der nordsyrischen Stadt Raqqa das sogenannte Syrische Forum für Nationalen Dialog statt, maßgeblich angestoßen von der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES).

Nach Angaben der Veranstalter diskutierten dort über 250 Menschen aus allen Regionen Syriens, wie das Land unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen wieder aufgebaut werden könnte. Besonders betont wurde, dass die Entscheidungen nicht allein in Damaskus getroffen werden könnten. Die Abschlusserklärung ruft daher dazu auf, »Foren und Dialogseminare in verschiedenen syrischen Regionen zu organisieren, um über unsere gemeinsame Zukunft zu diskutieren«.

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