- Politik
- Sachsen
Asylurteile am Fließband
Sachsen will Verfahren bei Verwaltungsgerichten beschleunigen
Ein Jahr und vier Monate: So lange müssen Asylbewerber, die in Sachsen gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Migration (BAMF) vor Gericht ziehen, im Schnitt auf ein Urteil warten. Die Frist liegt weit über der Zielvorgabe von maximal sechs Monaten, die von den Ministerpräsidenten der Länder im Herbst 2023 aufgestellt worden war. Die lange Bearbeitungsdauer sorgt dafür, dass die Kläger übermäßig lange im Ungewissen gelassen werden.
Sie ist freilich auch aus Sicht der Justiz problematisch. Dort stapeln sich immer mehr unerledigte Fälle. Vor allem für die sächsischen Verwaltungsgerichte (VG) stelle das eine »erhebliche Belastung« dar, sagt Constanze Geiert (CDU), die seit Dezember das Justizressort in der neu gebildeten Minderheitsregierung von CDU und SPD führt. Nach Angaben des Ministeriums wurden im zurückliegenden Jahr 8309 neue Verfahren eröffnet, fast anderthalbmal so viele wie im Jahr 2023. In diesem Jahr werde sich die Tendenz voraussichtlich fortsetzen.
Ideen dazu, wie sie schneller abgearbeitet werden können, sollten auf einem »Asylgipfel« entwickelt werden, zu dem die Ministerin an diesem Montag Vertreter der sächsischen Verwaltungsgerichte und der Anwaltschaft eingeladen hatte. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die Asylbewerber in den langen Verfahren beraten und unterstützen, waren nicht eingeladen, was der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) vorab bedauert hatte.
Zu den Maßnahmen, die Geiert im Anschluss vorstellte, gehört eine Spezialisierung innerhalb der Gerichte. Dort sollen sogenannte Asylkammern gebildet werden, die sich ausschließlich mit derlei Fällen beschäftigen. Am VG Dresden sei bereits Anfang 2025 eine entsprechende Kammer gebildet worden, zwei weitere sollen in Chemnitz folgen. In Leipzig gebe es bereits zwei spezialisierte Kammern. Eine weitere Verstärkung scheitert dort an Platzmangel und kann erst nach dem Umzug in ein neues Dienstgebäude erfolgen.
Auch personell soll der Bereich verstärkt werden. Die Rede ist von 17 Richterstellen, darunter drei, die bisher im Ministerium angesiedelt sind. Daneben sollen neuartige »Richterassistenten« für Beschleunigung sorgen, also Rechtsreferendare, die im Nebenjob die Berufsrichter bei Recherchen unterstützen. Ein entsprechendes Pilotprojekt soll in Chemnitz gestartet werden. Beim Bund will Sachsen darauf hinwirken, dass Proberichter nicht erst nach sechs Monaten, sondern bereits ab dem ersten Arbeitstag Asylverfahren bearbeiten dürfen.
Für eine effizientere Abarbeitung der Fälle soll weiterhin die Nutzung zentraler Datenbanken sorgen, die Erkenntnisse zu verschiedenen Herkunftsländern bündeln und von denen kürzlich eine in Baden-Württemberg eingerichtet wurde. Selbst die Nutzung von Künstlicher Intelligenz sei denkbar, erklärte Geiert, die freilich betonte, es gehe um die Automatisierung von Arbeitsabläufen; die Entscheidung träfen weiterhin Richterinnen und Richter.
Neben strukturellen und personellen Veränderungen drängt Sachsens neue Justizministerin auch auf Maßnahmen, mit denen die Zahl der möglichen Kläger reduziert würde. So soll gemeinsam mit dem Innenministerium geprüft werden, ob Sachsen im Bundesrat die weitere Reduzierung sicherer Herkunftsländer beantragt. Eine Beschneidung der Klagemöglichkeiten brachte die Ministerin indes nicht erneut ins Spiel. In einem früheren Interview der »Sächsischen Zeitung« hatte sie über eine »Verkürzung des Rechtswegs in Sachen Asyl« sinniert. Diese forderte derweil die AfD-Fraktion nach dem Gipfel, den sie als »Flop« bezeichnete. Der Abgeordnete Volker Dringenberg erklärte, abgelehnte Asylbewerber könnten »bis zu acht Mal« Einspruch gegen negative Bescheide einlegen. Eine »Straffung« sei notwendig, um »schneller abschieben zu können«.
»Es geht nur um die Entlastung der Behörden, nicht aber um die Betroffenen. Zu diesen finden wir keinen einzigen Satz.«
Osman Oğuz Sächsischer Flüchtlingsrat
Übermäßig aussichtsreich sind derlei Verfahren schon jetzt nicht. Nach Zahlen der Nachrichtenagentur dpa blieben die Klagen in 71 Prozent der Hauptsacheverfahren erfolglos, nur zwölf Prozent waren vollständig erfolgreich. In Eilverfahren lag die Erfolgsquote bei 30 Prozent. Berufungen zum Oberverwaltungsgericht blieben zu 94 Prozent ohne Erfolg.
Der Sächsische Flüchtlingsrat bedauerte nach dem Gipfel, dass es in entsprechenden Erklärungen nur um die Entlastung der Behörden gehe, nicht aber um die Betroffenen: »Zu diesen finden wir keinen einzigen Satz«, sagte SFR-Sprecher Osman Oğuz dem »nd«. Er warnte auch davor, dass Schnelligkeit zu fehlerhaften Entscheidungen der Gerichte führe: »Deren Zahl nimmt schon jetzt zu.« Auch die geplante Einbeziehung von Assistenten und KI-Technologien wecke Sorgen vor möglichen Fehlern, die oft zu lebensbedrohliche Abschiebungen führten.
Grundsätzlich weist der SFR darauf hin, dass die aktuell hohe Zahl an Klagen vor allem in ablehnenden Pauschalentscheidungen des BAMF mit Blick auf Länder wie Afghanistan, Venezuela oder Georgien begründet sei. »Die halten wir für falsch«, sagt Oğuz. In vielen dieser Länder herrschten unsägliche Zustände, die Menschen zur Flucht zwingen: »Diesen Menschen Asyl zu gewähren und sich darauf zu konzentrieren, sie so schnell wie möglich in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wäre gesamtgesellschaftlich ein viel effektiverer Weg.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.