Das Weltende naht. Ist das schlimm?

Ein Asteroid könnte bald alles relevante Leben auf der Erde vernichten. Eine Meditation aus gegebenem Anlass

  • Martin Rolshausen
  • Lesedauer: 6 Min.
Asteroid – Das Weltende naht. Ist das schlimm?

Die alte Dame prüft den Tomahawk sehr genau. Sie wiegt ihn in ihrer Hand hin und her. Will sie das Kriegsbeil ihrem Enkel schenken? Hühner jagen? Oder ihren Mann erschlagen? Ihr Gesichtsausdruck lässt keine klare Antwort zu. Sie legt den Tomahawk zurück auf den Tisch mit dem anderen Spielzeug auf dem Gehweg vor dem Second-Hand-Laden. Ist das Teil zu gefährlich für den Enkel oder zu ungefährlich für Hühner oder Mann? Sie nimmt die Antwort auf die Frage mit – ja, wohin? Sie ist weg. Einen Moment nicht aufgepasst und die alte Dame ist verschwunden. Ganz so, als habe sie sich entmaterialisiert!

War das womöglich gar nicht der Blick einer liebenden Großmutter, einer Hühnerjägerin oder einer mörderischen Ehefrau? War das der Blick einer Forscherin, einer Kundschafterin aus einer anderen Welt? Der ungläubige Blick auf ein Artefakt, mit dem sie hier nicht gerechnet hat: ein Tomahawk vor einem Second-Hand-Laden auf der Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf.

Aber wie soll die Kundschafterin auf die Straßen dieser Stadt gekommen sein? Hat sich die zierliche alte Frau aus Sternenstaub materialisiert? Jedes Jahr rieseln 40 000 Tonnen kosmischer Staub auf die Erde, habe ich neulich im Museum für Naturkunde gelesen. Das macht ein Kilo pro Woche für Berlin, hat ein Forscher ausgerechnet. Kommen die interplanetarischen Reisenden auf diesem Weg ganz unauffällig auf die Erde? Also nicht mit wuchtigen Raumschiffen voller Technik und wie wir uns das sonst so vorstellen, wenn die Klingonen landen?

Im Naturkundemuseum finde ich dazu keine Antwort. Vielleicht, weil mich etwas ablenkt. Nein, der Tyrannosaurus Rex kann mir nicht zugezwinkert haben – dem sind schon vor 66 Millionen Jahren die Augen ausgefallen. Aber es ist klar: Der Bursche, den sie hier Tristan Otto nennen, will mir etwas sagen. Es klingt nach: »Nimm dich nicht so wichtig! Nehmt euch alle nicht so wichtig!« Ein Flüstern nur.

Tristan Otto ist ein Gerippe. Im Dezember 2015 kam er als erstes originales Tyrannosaurus-Rex-Skelett nach Europa, ins Museum für Naturkunde in Berlin. Er ist zwölf Meter lang und vier Meter hoch. Seine Knochen sind schwarz. Dieser Abglanz der Finsternis sei »charakteristisch für Fossilien aus der sogenannten Hell-Creek-Formation«, erklärt das Museum. Die Hell-Creek-Formation ist eine fossilienreiche Gesteinsschicht im US-Bundesstaat Montana, wo dieser T-Rex 2010 gefunden wurde.

Dinosaurier, erklären die Tafeln im Museum, waren »eine unglaublich erfolgreiche Tiergruppe«. Sie bevölkerten die Erde mehr als 150 Millionen Jahre lang. »Ihre Herrschaft umfasst drei Erdzeitalter: Trias, Jura und Kreide. Sie überstanden eines der fünf großen Massenaussterben und passten sich an verändernde Umweltbedingungen an. Das Ende ihrer Herrschaft kam plötzlich und vollzog sich vor 66 Millionen Jahren.«

An einem Tag im Frühling war dann Schluss. Ein gewaltiger Meteorit schlug im Norden der mexikanischen Halbinsel Yucatán ein. Heftige Druckwellen breiteten sich über den ganzen Planeten aus. Dann verdunkelte der aufgewirbelte Staub die Erde und die Dinosaurier starben.

Nach rund 150 Millionen Jahren auf diesem Planeten einfach weggewischt. Gestern noch die Herren der Welt, und dann: Wumms! 66 Millionen Jahre später findet dann eine Spezies, die gerade mal angefangen hat, den Planeten zu bevölkern, ein paar Überreste und stellt sie ins Museum, nicht weit von der Zeittafel, auf der gezeigt wird: Würde man die bisherige Geschichte der Erde als 24-Stunden-Tag darstellen, dann würde der Mensch erst kurz vor Mitternacht auftauchen.

Aber man geht niemals ganz. Hat das der T-Rex jetzt gesagt? Nein, das entnehme ich einem Schild neben einem kleinen ausgestopften Vogel. Die Vögel, steht da, sind die Nachfahren der Dinosaurier. Ich drehe mich um und schaue den T-Rex an. Ich war sicher, dass er gelacht hat. Nein, Gerippe können keinen Humor haben. Und dieses Skelett kann auch keine Nachrichten lesen. Es kann nicht wissen, dass es vielleicht bald wieder »Wumms« macht.

Jedenfalls hält die European Space Agency (ESA), also die Weltraumbehörde, das für möglich. Sie sieht »eine der höchsten Wahrscheinlichkeiten für einen Einschlag eines Gesteinsbrockens von bedeutender Größe, die es je gab«. Es geht um den Asteroiden YR4. Höchste Wahrscheinlichkeit, das heißt für die ESA: Zu zwei Prozent bestehe die Möglichkeit, dass YR4 die Erde trifft. Was das Datum angeht, legt sich die ESA sehr genau fest: 22. Dezember 2032.

Sollte er wirklich auf die Erde prallen, werde im Umkreis von einigen Kilometern rund um den Einschlagskrater alles zerstört werden. Aber es gebe keinen Grund zu Panik, sagt die ESA. Denn Asteroiden halten sich nicht an das, was die menschlichen Expertinnen und Experten berechnen. Ein ähnliches Szenario habe es nämlich schon 2004 gegeben: Damals wurde die Wahrscheinlichkeit, dass der Asteroid Apophis 2029 auf die Erde trifft, mit 2,7 Prozent prognostiziert. Inzwischen sei eine Kollision ausgeschlossen.

Und wenn sich die ESA mal in die falsche Richtung verrechnen sollte? Also wenn die Treffer-Wahrscheinlichkeit höher ist als vorhergesagt? Wenn wir in einem amerikanischen Actionfilm wären, würde Bruce Willis sich um die Sache kümmern. Der ist 1998 in »Armageddon« einfach zum gefährlichen Gesteinsbrocken ins All geflogen, hat ein Loch reingebohrt, es mit einer Sprengladung gefüllt, und der große »Wumms« fand in sicherer Entfernung statt.

Bruce Willis ist raus – aus gesundheitlichen Gründen. Aber wir haben doch in Berlin eine »Himmelskanone«. Können wir damit YR4 nicht einfach wegpusten? Das Ding, das in der Archenhold-Sternwarte in Treptow steht, wird von Berlinerinnen und Berlinern zwar wirklich so genannt. Aber das Ding ist nur zum Schauen da. Das Riesenfernrohr, das 1896 gebaut wurde, ist dennoch beeindruckend. Mit 21 Metern Brennweite ist es das längste voll bewegliche Linsenfernrohr der Erde. Es hat 680 Millimeter Objektivdurchmesser und gehört damit zu den zehn leistungsstärksten Linsenfernrohren der Welt. Das Ding wiegt 130 Tonnen und ist voll funktionsfähig.

Und weil wir Berlinerinnen und Berliner ja die Superlative lieben: Die Archenhold-Sternwarte ist die älteste und größte Volkssternwarte Deutschlands. Seit 1896 kann man hier – mitten im Treptower Park – den Himmel beobachten. Wie das Museum für Naturkunde will die Sternwarte »ein Ort der Vermittlung wissenschaftlicher und astronomischer Erkenntnisse für die breite Bevölkerung« sein. Und im großen Hörsaal der Sternwarte, in dem es auch heutzutage noch Vorträge gibt, hielt Albert Einstein 1915 seinen ersten öffentlichen Vortrag über die Allgemeine Relativitätstheorie.

Eine Bewegung reißt mich aus meinen galaktischen Gedanken. Eben noch im Naturkundemuseum, materialisiere ich mich auf der Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf mitten auf dem Bürgersteig, mitten im Weg. Und zwar dem der alten Dame, die sich eben den Tomahawk angeschaut hat. Sie ist aus dem Second-Hand-Laden gekommen und hat eine Kinderlampe in der Hand. Da sind Sterne drauf – und es sieht so aus, als würden sie im Dunkeln leuchten.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.