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»Der soziale Zusammenhalt ist wichtig«
Der deutsche Arzt Jochen Timmermann setzt sich für den Ausbau der Psychosomatik in Kuba ein
Wie kam es dazu, dass Sie sich für eine Zusammenarbeit von kubanischen und deutschen Mediziner*innen im Bereich der Psychosomatik einsetzen?
Angefangen hat es 2017 auf einer Terrasse bei der Professorin Matilde Oliver Real in Santiago de Cuba, wo ich damals zu Besuch war. Sie lud einen Kollegen dazu – Jesus Quintero, einen Kinderarzt und Professor der Universität Santiago – und wir kamen ins Reden über unsere beruflichen Sorgen. Ich erzählte, dass in Deutschland die psychosomatische Grundversorgung für Allgemeinärzte schon systematisch erfolgt. Die beiden fragten dann, ob man das nicht auch in Kuba machen könnte. Für das darauffolgende Jahr haben sie einen Kongress in Santiago organisiert, mit ungefähr 150 Teilnehmer*innen. So ging es los – mit sehr viel Spontanität.
Es gab also großes Interesse?
Ja, die Idee hat die Leute von Anfang an begeistert. Wir haben nicht nur den Kongress organisiert, sondern auch Kurse abgehalten. Im Gegensatz zu einer fünfjährigen Facharztausbildung, wie ich sie zum Beispiel habe, ist die psychosomatische Grundausbildung mit 80 Stunden vergleichsweise kurz. Wir haben in den vergangenen Jahren in Santiago ungefähr 50 bis 60 kubanische Kolleg*innen ausgebildet. Damit haben wir einen gewissen Stand erreicht, wo man sagen kann, jetzt müssen die mal anfangen zu arbeiten. Aber das ist schwierig, weil die Probleme des Landes so groß sind. Die Kolleg*innen müssen sich mehr darum bemühen, das Essen auf den Tisch zu bekommen, als dass sie sich jetzt intensiv mit einem neuen Sachgebiet auseinandersetzen können.
Jochen Timmermann, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ist Präsident der Deutsch-Kubanischen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Rehabilitation (DKGPPR). Diese wurde im Februar 2020 in Santiago de Cuba gegründet und ist in Deutschland als Verein eingetragen. Die DKGPPR setzt sich für die deutsch-kubanische Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich ein.
Welche Rolle spielt das Thema Psychosomatik auf Kuba?
Auf der Internationalen Konferenz für Gesundheitspsychologie, Psicosalud, Ende November 2024 in Havanna, an der 250 bis 300 Teilnehmer*innen aus aller Welt teilnahmen, war das Thema Psychosomatik sehr präsent. Die Kubaner*innen haben erkannt, dass die Wechselwirkung zwischen Körper, Seele und Sozialem sehr relevant ist für die Verbesserung des Gesundheitssystems.
Können Sie den Gegenstand der Psychosomatik kurz skizzieren?
Die Psychosomatik identifiziert sich über den Körper. Mir hat noch niemand sagen können, wie die Seele aussieht oder wie sie sich anfühlt. Die Seele wird über den Körper wahrgenommen und auch so formuliert: »Es geht mir zu Herzen.« Oder: »Ich finde es zum Kotzen.« Das heißt, dass wir Fachärzte für Psychosomatik auch Körperärzte sind und das Psychosoziale dazulernen – im Gegensatz zum sogenannten Reduktionismus, bei dem jede Fachsparte nur ihr eigenes Ding macht. Die Psychologen machen Psychotherapie, die Ärzte machen – brutal gesagt – körperliche Ingenieursmedizin und schauen nicht so ohne Weiteres nach rechts und links. Und die Sozialarbeiter machen ihr Soziales und halten nicht so richtig den Kontakt zu den anderen Kolleg*innen. Dieser Kontakt aber ist das Allerwichtigste, sodass diese verschiedenen Bereiche alle auf eine Ebene kommen. Unser Fachgebiet macht aus, dass wir lernen zu kooperieren und den Menschen ganzheitlich zu sehen.
Kuba erlebt gerade in vielen Bereichen eine tiefgreifende Krise. Inwieweit spielt die Krisenerfahrung eine Rolle?
Zum einen ist Kuba durch die sanktionsbedingten Krisen ein Land mit einem sehr starken sozialen Zusammenhalt. Durch den permanenten Mangel ist es schon immer auf gesellschaftliche Beziehungen und die familiären Bindungen angekommen. Darüber wurde viel geregelt und es ist eine der größten Ressourcen der Kubaner*innen, die auch psychische Erkrankungen verhindert hat. Ein familiär und gesellschaftlich eingebundener Mensch wird statistisch gesehen viel weniger krank. Durch die aktuelle Krise kommt es aber nun zu einer vermehrten Abwanderung ins Ausland, was zur Folge hat, dass familiäre Bindungen aufgebrochen werden. Das gefährdet natürlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Zum anderen kann ich von den Erfahrungen meiner Kolleg*innen berichten, dass ihre eigene Kraft oftmals für die Sicherung der eigenen Lebensgrundlage aufgezehrt wird. Wenn ich mich als behandelnder Arzt sorgen muss, wie ich meine eigene Familie ernähre, geht das natürlich auch zulasten der Patient*innen, die nicht mehr die volle Aufmerksamkeit erhalten.
Mit der Krise wird das Gesundheitssystem immer prekärer. Viele Mediziner*innen gehen weg, es fehlt an Medikamenten oder an den Grundstoffen, um die Medikamente herzustellen. Die Ausstattung der Krankenhäuser wird immer schlechter. Wie gehen die Kolleg*innen damit um?
Viele kubanische Kolleg*innen blicken staunend auf die finanziellen Möglichkeiten des deutschen Gesundheitssystems. Ich habe dennoch die Erfahrung gemacht, dass die Kubaner*innen aus der Not eine Tugend machen. Die Leistungsfähigkeit eines Gesundheitssystems kann grob an der Lebenserwartung seiner Bürger*innen und der Säuglingssterblichkeit gemessen werden. Hier hat Kuba mit Deutschland vergleichbare Werte und das trotz Sanktionen und weniger Ressourcen. Die Kubaner*innen legen in ihrem Gesundheitssystem viel Wert auf Prävention, die bei uns viel zu kurz kommt. Außerdem haben sie aufgrund des Mangels an Medikamenten viel auf Naturheilkunde gesetzt und so den Mangel ausgeglichen. Anscheinend hat beides zu großen Erfolgen in der Gesundheitsversorgung geführt. Andererseits haben Sie natürlich recht, diverse Kolleg*innen, die ich in Kuba kennengelernt habe, sind aus verschiedensten Gründen weggegangen, oft in die USA. Andere sprechen darüber, dass sie gerne nach Deutschland möchten. Ich würde es sehr bedauern, wenn wir medizinisches Personal von hier nach Deutschland abziehen würden und damit letztlich Kuba Schaden zufügen.
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Was könnte die kubanischen Kolleg*innen motivieren im Land zu bleiben?
Wir haben zum Beispiel die Idee entwickelt, in Santiago eine Klinik so zu organisieren, um dort vor Ort die Facharztausbildung zu ermöglichen. Solange das Ganze ins Ausland verlagert ist, werden die Leute in gewisser Weise »verwöhnt«. Sich nach ihrer Rückkehr wieder darauf einzustellen, in Kuba mit 40 Euro im Monat klarzukommen, ist schwer. Man könnte, wenn man fünf Jahre in Deutschland war und dann zurückkommt, auch sagen: Jetzt möchte ich meinem Land etwas zurückgeben. Aber ich fürchte, dass das so nicht funktionieren wird. Insofern wäre es eine Chance, wenn wir es schaffen würden, eine ambulante Klinik oder eine stationäre Einrichtung speziell für Psychosomatik aufzubauen.
Wie ist der Stand dieser Idee?
Der Prozess ist angestoßen; mögliche institutionelle Hindernisse kann ich nicht einschätzen. Die Entscheidung liegt letztlich bei den Kubaner*innen. Es geht ja nicht um mich, sondern um Kuba. Und ich bin eigentlich nur jemand, der sein Wissen zur Verfügung stellt und versucht, die Verbindung herzustellen. Alles andere muss von Kuba kommen, ausgehend von deren Möglichkeiten.
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