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Brandenburgs Grüne – schlecht regiert und abgewählt
Landesverband wählt bei Parteitag in Potsdam neuen Vorstand
Annalena Baerbock und Michael Kellner bleiben auch nach der Wahl vom 23. Februar die beiden Bundestagsabgeordneten der Grünen aus Brandenburg. Außenministerin und Wirtschaftsstaatssekretär sind sie aber nur noch auf Abruf – bis Friedrich Merz (CDU) der neue Bundeskanzler ist und seine Minister ernennt. Mit 6,6 Prozent der Stimmen sind die Grünen in Brandenburg unter ihren Erwartungen und 2,4 Prozentpunkte hinter ihrem Ergebnis von 2021 zurückgeblieben. Auch bei der Kommunalwahl und bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr büßten die Grünen ein – bei der Landtagswahl im September so viel, dass sie nicht nur aus der Landesregierung, sondern auch aus dem Parlament geflogen sind. Von 10,8 auf 4,1 Prozent waren sie abgerutscht.
Die Erkenntnis, dass die Ökopartei abgewählt wurde, weil sie in Landes- und Bundesregierung versagt hat, fällt den Grünen allerdings schwer. Beim Landesparteitag am Samstag in der Potsdamer Schinkelhalle lobt sich Staatssekretär Keller doch tatsächlich: »Wir sind raus aus russischem Öl in Schwedt. Das bringt fünf Milliarden Euro weniger für Putins Kriegskasse. Darauf bin ich stolz.«
Das klingt wie Hohn, nachdem Danny Ruthenburg, Betriebsratschef der PCK Raffinerie GmbH, gerade erst gewarnt hat, wenn es so bleibe, wie es sei, könnten 300 bis 400 der 1200 Arbeitsplätze in seinem Betrieb wegfallen. Seit Januar 2023 gilt wegen des Krieges in der Ukraine ein Einfuhrverbot für russisches Erdöl. Es gehörte zu Kellners Aufgaben, sich um den Standort zu kümmern. Die Raffinerie in Schwedt ist aber aktuell nur noch zu 80 Prozent ausgelastet. Zu Benzin und Diesel verarbeitet sie statt des gewohnten hochwertigen sibirischen Rohöls nun bis zu 30 verschiedene Sorten Öl von oft minderer Qualität. Das sorgt für mannigfaltige Probleme und wie Ruthenberg dem Sender RBB am Donnerstag sagte, macht die Raffinerie »Verluste in Millionenhöhe«. Die Geschäftsführung hat sich zu den Zahlen nicht geäußert, aber die Darstellung des Betriebsrats deckt sich mit nd-Informationen.
Es ist eine bedrohliche Situation, die in Schwedt große Ängste auslöst. Dennoch echauffieren sich die Grünen, dass Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) diese Sorgen ernst nimmt und neulich sagte: »Ich würde mich natürlich freuen, wenn wir auch wieder in normale wirtschaftliche Beziehungen zu Russland eintreten könnten.« Dabei hatte Woidke sogar noch hinzugefügt: Ein Zurückfahren der Sanktionen sei aber erst nach einem Friedensschluss möglich.
»Wir sind raus aus russischem Öl in Schwedt. Das bringt fünf Milliarden Euro weniger für Putins Kriegskasse. Darauf bin ich stolz.«
Michael Kellner Grünen-Politiker
Fehler der eigenen Partei zu sehen, dass schafft in der Schinkelhalle fast nur Landelin Winter von der Grünen Jugend. Er hat eine schlüssige Erklärung dafür, warum die Grünen am 23. Februar junge Wähler an die Linke verloren haben: »Weil Grüne im Wahlkampf immer weiter in die Mitte gerückt sind und am Ende selbst von irregulärer Migration gesprochen haben.«
Trotz dieses Einschwenkens auch der Grünen auf den rechten Zeitgeist versucht die scheidende Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) nun zu belehren: »Geflüchtete sind weder kriminell noch ein Unsicherheitsfaktor.« Große Holtrup wirft der Ministerin vor: »Frau Lange, was Sie da verbreiten, das ist rassistisch.«
Tatsächlich hatte die Innenministerin am 10. März bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik beinahe zwanghaft auf die Herkunft von Tätern hingewiesen und sich über einen angeblich überproportionalen Anteil von nicht deutschen und zugewanderten Tatverdächtigen erregt. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass die Statistik bei der Tatverdächtigenbelastungszahl nicht den aktuellen Anforderungen entspricht. Tatverdächtige, die gar nicht in Brandenburg gemeldet sind, hätten nach einer neuen Formel eingerechnet werden müssen. Das Innenministerium zog die Statistik zur Bearbeitung zurück, beteuerte dabei jedoch, alle bei der Pressekonferenz am 10. März »verwendeten Daten sind korrekt, alle Einschätzungen bleiben gültig«.
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Dennoch bemerkte die Grünen-Landesvorsitzende Alexandra Pichl: »Erst wird mit großem Pathos eine Statistik präsentiert, die eine verzerrte Darstellung der Ausländerkriminalität liefert und dabei rechtspopulistische Narrative bedient – und dann stellt sich heraus, dass die Zahlen schlicht falsch sind.«
Am Samstag wählt der Parteitag in Potsdam einen komplett neuen Landesvorstand. Auf die alte Doppelspitze aus Alexandra Pichl und Hanna Große Holtrup folgt eine neue aus Andrea Lübcke und Clemens Rostock. Andrea Lübcke setzt sich mit 81 von 134 Stimmen gegen zwei Mitbewerberinnen durch, Clemens Rostock schlägt mit 117 von 133 Stimmen einen Konkurrenten aus dem Feld. Der Ex-Landtagsabgeordnete Rostock versucht, Mut zu machen. »Wir können etwas erreichen, egal in welcher Position«, zeigt sich der 41-Jährige optimistisch. »Die Bedingungen waren schon mal noch schwieriger. Wir schaffen das.«
Seit der Niederlage bei der Landtagswahl im September haben Brandenburgs Grüne immerhin rund 800 Neumitglieder gewonnen. 3804 Mitglieder zählt der Landesverband jetzt. Die Linke, die bei der Landtagswahl mit knapp drei Prozent ebenfalls den Wiedereinzug ins Parlament verpasste, erholte sich aber weit besser von diesem Schock. Sie konnte allein seit Jahresbeginn mittlerweile 1200 Mitglieder hinzugewinnen, zählt jetzt über 5300 Genossen und schnitt bei der Bundestagswahl in Brandenburg mit 10,7 Prozent sehr viel besser ab als die Grünen.
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