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  • Nachruf auf Dieter Süverkrüp

Der Süverkryptokommunist

Zum Tod des rheinländischen Liedermachers Dieter Süverkrüp

  • Ingar Solty
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Grenze zwischen oben und unten: Süverkrüp in der Düsseldorfer City 1965
Die Grenze zwischen oben und unten: Süverkrüp in der Düsseldorfer City 1965

Es gibt den Witz, dass Rheinländer und Westfalen den Nahost-Konflikt lösen könnten, weil sie doch schon seit Jahrzehnten zeigen, dass eine Einstaatenlösung, dank der man friedlich koexistiert, funktioniert. Aber die deutsche Kleinstaaterei macht auch vor dem Rheinland nicht Halt. Auch am Niederrhein gibt es weiter viele Rivalitäten. Der Glaubenskrieg über Kölsch und Alt tobt und wo zwei sich streiten freut sich ohnehin der Dritte. Während man in Köln über das Dorf an der Düssel lacht, lacht am Ende ohnehin nur die Borussia, unangefochtene Nr. 1 aus Mönchengladbach.

Ganz andere Feindschaften pflegte der am vergangenen Sonntag zwar in Köln verstorbene, aber seiner Heimatstadt Düsseldorf stark verbundene Graphiker und Liedermacher Dieter Süverkrüp. Dies hatte mit seiner Überzeugung zu tun, dass – auch wenn ihm Spitzen gegen das Sauerland immer leicht von der Feder gingen – die Grenzen nicht zwischen den Völkern von Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach verlaufen, sondern zwischen Oben und Unten. Gelernt hat dies der junge Süverkrüp, der das Kriegsende mit zehn Jahren erlebte, im Umfeld der illegalisierten KPD und der Bewegung »Kampf dem Atomtod!«, der er seine ersten Lieder als Teil einer »operativen Kunst« (Ulla Hahn) widmete.

Süverkrüp war ein preisgekrönter Musiker, 1957 zu Deutschlands bestem Jazzgitarristen gekürt, bevor er »agitpropper« in »Unterwanderstiefeln« zu Ostern für Frieden demonstrieren ging. Schon 1961 hatte er zusammen mit Gerd Semmer, Arno Klönne und dem jungen Wolfgang Abendroth-Schüler Frank Werckmeister in Dortmund – soweit ins Westfälische hinein ging die Völkerverständigung – den »Pläne Verlag« gegründet. Hier erschienen, rund um die Kubakrise 1962, als der Atomkrieg wieder nahe war, die ersten Aufnahmen, denn: »Wir wollen dazu was sagen.«

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Süverkrüp, der über die »Rheinische Spätavantgarde« sang, war in Wahrheit Frühavantgarde, denn als Teil einer »neuartigen kritischen Öffentlichkeit« (Hans-Ulrich Wehler) gehörte er zu den 1958ern, die 1968 politisch und auf den ab 1964 stattfindenden Burg-Waldeck-Festivals im Hunsrück auch kulturell vorwegnahmen. Dort versammelte man sich, um vom Faschismus verschüttetes Liedgut zu bergen und ein vom Faschismus nichtkontaminiertes deutsches Chanson-Genre zu begründen. Es war Süverkrüps lebenslanger Freund Franz Josef Degenhardt, der in der kurzlebigen Zeitschrift »Lied« stellvertretend für alle Waldecker diese Suchbewegung zu Papier brachte und der später einmal, als in Frankreich wieder einmal der gallische Hahn zur Revolution blies, während Deutschland noch im Tiefschlaf lag, davon träumte: »Nehm’ wir mal an, Frankreich läge östlich vom Rhein, Frankreich würde Deutschland sein.«

Wie für Degenhardt und den großen Düsseldorfer Heinrich Heine, den Süverkrüp »plump und vertraulich«, aber dialektisch als seinen »Genossen« grüßte, war auch für Süverkrüp das Land des sogenannten Erbfeinds der Sehnsuchtsort, in dem er Zuflucht suchte, wenn ihm die »deutschen Zustände« an die Nieren gingen. Praktisch veranlagt, ließ er den Träumen aber auch Taten folgen. Für einen rechtsrheinischen Düsseldorfer nur konsequent strebte er an, das Land westlich vom Rhein einfach ins Land östlich vom Rhein zu importieren. Die Melodien, die er den deutschen Zuständen und seiner »verbiesterten« Stadt vorspielen wollte, um sie noch drückender zu machen, waren für ihn nun die Lieder der Französischen Revolution, die er auf leisen Sohlen über den Rhein ins Bewusstsein des postfaschistischen, nach wie vor ungebrochen antikommunistischen Westdeutschlands schmuggelte. Auch entdeckte er die Lieder der 1848er-Revolution wieder und machte sie zugänglich, dabei in der Liedauswahl auch kennzeichnend, dass hier erstmalig das Proletariat als unabhängiger geschichtlicher Akteur auf die Bühne der deutschen Geschichte trat.

Aber nachdem er in den frühen 60er Jahren Texte und Nachdichtungen des in seiner historischen Bedeutung für alle deutschsprachigen Kompositionen von Süverkrüp bis Tocotronic und Sido völlig unterbewerteten Gerd Semmer vertont hatte, setzte er sein einzigartiges Sprachtalent und seinen süffisanten, subversiven Humor ein, um in erschröcklichen Moritaten das System zu Fall zu bringen. Die Mauern von Jericho zum Einsturz zu bringen, bedurfte es noch des Blechblasterrors einer ganzen Armee; Süverkrüp hingegen brauchte weder Armee noch Dezibel. Er orientierte sich an Heiner Müller, in dessen »Lanzelot« es heißt: »Drei falsche Kommata pro Seite untergraben die Autorität der stabilsten Regierung. Ihre Interpunktion ist Hochverrat.«

Denn Süverkrüps ritterlicher Kampf war keine Don Quichotterie. Es heißt, dass die Niederlage des US-Imperialismus in Vietnam allein durch seinen »Vietnam-Zyklus« befördert wurde, den der Süverkryptokommunist, gemeinsam mit der Band Floh de Cologne – remember: die Grenzen verlaufen nicht zwischen Köln und Düsseldorf, sondern zwischen oben und unten – auf die Bühne brachte. Es heißt, dass Süverkrüps »Die Kunst, Andersmeinende für den Sozialismus zu gewinnen« ein für allemal alle kleinbürgerlichen Sozialismuskonzeptionen vom Erdball gefegt hat. Und es heißt, dass sein Kinderlied vom »Baggerführer Willibald«, das auch heutzutage Vierjährige mit Begeisterung vor sich hinsingen, ganz allein dazu geführt hat, dass sich noch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung im entfernten Berlin, kurz vor Sibirien, 59,1 Prozent der Bevölkerung für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne ausgesprochen haben!

In Düsseldorf war Süverkrüp im Übrigen gut aufgehoben beziehungsweise das »düsslige Dorf« wurde durch Süverkrüp erst zur Metropole. So war sie Hauptstadt des deutschen Parteikommunismus. Von hier, von den Rheinwiesen aus strahlten das »UZ«-Pressefest, die »Deutsche Volkszeitung«, später auch die dissidente »Düsseldorfer Debatte« aus, mit der Süverkrüp zum Bedauern der Parteiführung zeitweilig zu tun hatte. Und hier gab es ein sehr aktives Parteileben, in dem Süverkrüp aktiv mitmischte.

Natürlich hatte auch der Düsseldorfer Kommunismus mit seinem »Rhythmus, wo jeder mit muss«, seine Grenzen: Die Toten Hosen mit ihrem Hofnarren Campino konnte letztlich auch Süverkrüp nicht verhindern. Das ist sein historisches Versagen, das auch in einem Nachruf nicht unerwähnt bleiben sollte. Darob klagte Süverkrüp auch einmal über die »Schwierigkeiten, in Düsseldorf eine Kunstausstellung zu eröffnen«. Umso ehrenvoller war es, dass das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut, mit dem Süverkrüp immer wieder kollaborierte, seine grafischen Arbeiten, denen er sich zu seinem Lebensende wieder stark zuwandte, in zwei großen Ausstellungen der Öffentlichkeit honorierte. Zu verdanken ist dies auch der Zusammenarbeit mit dem Heine-Institut-Mitarbeiter und Schriftsteller Enno Stahl, der sich um Süverkrüps Werk, wie um so vieles andere, bemüht hat und der auch den Glaubenskrieg zwischen den Kölsch- und den Alt-Fanatikern mit einem salomonischen Urteil für ewig und drei Tage beendet hat: Die Lösung ist Weißbier.

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