Gazastreifen: Zwang zur »freiwilligen Ausreise«

Israel treibt Trumps Vision vom Gazastreifen mit neuer Behörde voran

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Vertriebene palästinensische Kinder spielen Fußball in einem behelfsmäßigen Zeltlager in Deir al-Balah, Gazastreifen.
Vertriebene palästinensische Kinder spielen Fußball in einem behelfsmäßigen Zeltlager in Deir al-Balah, Gazastreifen.

Wen immer man auch fragt im Nahen Osten – die Antwort ist immer dieselbe: Fassungslosigkeit, Ablehnung und, viel zu oft, auch der Hinweis, dass die Geduld am Ende ist. Das ist aus den Pressebüros aller Regierungen der arabischen Welt zu hören.

Israels Regierung gibt sich davon allerdings unbeeindruckt: Einige Wochen, nachdem Verteidigungsminister Israel Katz erstmals die Idee geäußert hatte, hat nun das Sicherheitskabinett die Schaffung einer »Behörde für freiwillige Migration« beschlossen. Sie soll die freiwillige Ausreise von Palästinensern aus dem Gazastreifen vorbereiten, natürlich im Einklang mit dem Völkerrecht, betont die Regierung, und auch: »Wir setzen die Vision des US-Präsidenten um und ermöglichen es jedem Bewohner von Gaza, der freiwillig ausreisen möchte, dies zu tun«, heißt es in einer Presseerklärung.

Israels Rechte jubiliert. Denn in der Siedlerbewegung träumen viele immer noch von einem Wiederaufbau der israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Im Sommer 2005 hatte die Regierung von Ariel Scharon alle Siedlungen im Gazastreifen und einige im Norden des Westjordanlands räumen lassen. Mit dieser Entscheidung hat sich Israels Rechte nie abgefunden; zuletzt fand eine Vielzahl von Konferenzen statt, auf denen die erneute Einrichtung von Siedlungen gefordert wurde.

Siedlerbewegung will nach Gaza zurück

Die einfache Rechnung der Siedlerbewegung: Die damalige Räumung habe erst dazu geführt, dass die Hamas zwei Jahre später von der palästinensischen Autonomiebehörde die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen konnte und es zu den Kriegen der vergangenen 15 Jahre kam, heißt es bei den Treffen immer wieder. Doch die Realität sieht anders aus: Die Siedlungen mussten durch massiven Militäreinsatz geschützt werden. Vier Millionen US-Dollar kostete das zuletzt 2004. Denn die Hamas war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer Bedrohung für Israel herangewachsen. Die Hoffnung war, dass eine gestärkte Autonomiebehörde die Lage unter Kontrolle bringen würde.

Dass jemals wieder Siedlungen im Gazastreifen gebaut werden, ist unwahrscheinlich: Im Herbst 2026 wird in Israel gewählt, und nichts deutet darauf hin, dass die ultrarechte Koalition aus Likud, ultraorthodoxen Parteien und dem rechtsextremen Bündnis »Religiöser Zionismus« dann erneut eine Mehrheit haben wird. Die öffentliche Ablehnung ist zudem enorm: Immer wieder gehen Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße.

Die »freiwillige Ausreise« indes scheitert bereits an der Unterstützung der Nachbarländer – und am Willen der Bevölkerung. Zwischen 300 und 400 Menschen reisten derzeit monatlich nach Ägypten aus, berichtete der Fernsehsender N12; 35 000 seien es seit Kriegsbeginn insgesamt gewesen. Möglich ist das in Begleitung eines schwer erkrankten Angehörigen, wobei Israels Regierung bei der Zahl der Angehörigen schon seit Längerem keine Obergrenze mehr setzt. Anders als die ägyptische Regierung, die verhindern will, dass Palästinenser in großer Zahl den Gazastreifen verlassen. Denn die Führung in Kairo bekämpft die vor allem in ländlichen Gebieten stark vertretene Muslimbruderschaft, die enge Beziehungen zur Hamas unterhält. Die Befürchtung ist, dass ein Massenexodus auch Funktionäre und Kämpfer der Organisation ins Land bringen könnte.

Ablehnung in den arabischen Staaten

Und auch in Jordanien, wo bereits ein sehr großer Teil der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, ist die Ablehnung groß: Eine Unterstützung für den israelischen Ausreise-Plan hätte mit Sicherheit Massenproteste gegen die dortige Regierung zur Folge; schon jetzt wird in Öffentlichkeit und Politik immer wieder ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen gefordert.

Rund um die neue »Ausreisebehörde« sind allerdings viele Fragen offen: Zum Beispiel, ob die Ausreisenden zurückkehren können. Israels Regierung könnte das nur dauerhaft verhindern, wenn sie den Grenzübergang Rafah nach Ägypten dauerhaft kontrolliert.

Regierungschef Benjamin Netanjahu fordert genau dies. Doch gleichzeitig ist es eine der roten Linien der Hamas in den Verhandlungen über Waffenstillstände und die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. Insgesamt 58 Menschen, die am 7. Oktober 2023 verschleppt wurden, befinden sich noch dort. 35 davon sollen noch am Leben sein, so Israels Militär.

Am Montag hat Ägyptens Regierung nun einen neuen Vorschlag für eine sofortige Waffenruhe vorgelegt: Schritt für Schritt sollen Geiseln ausgetauscht und israelische Truppen abgezogen werden.

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