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  • Schlacht auf den Seelower Höhen

Ein blutiger, opferreicher Sieg

Nach der Schlacht um die Seelower Höhen eröffnete die Rote Armee den Kampf um die Reichshauptstadt

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Schon seit November 1945 erinnert die von den Künstlern Lew Kerbel und Wladimir Zigal geschaffene Skulptur eines Rotarmisten auf dem Seelower Höhenrücken an die sowjetischen Opfer.
Schon seit November 1945 erinnert die von den Künstlern Lew Kerbel und Wladimir Zigal geschaffene Skulptur eines Rotarmisten auf dem Seelower Höhenrücken an die sowjetischen Opfer.

Ende März 1945 erreichten die Führung der Sowjetunion glaubhafte Informationen, dass die westlichen Alliierten keineswegs die Absicht hatten, wie in Jalta wenige Wochen zuvor vereinbart, bei ihrem Vormarsch in Richtung Osten am westlichen Ufer der Elbe haltzumachen. Vor allem der britische Premierminister Winston Churchill, so die Berichte der sowjetischen Geheimdienste, wolle Berlin vor der Roten Armee erreichen und die Sowjetunion so um ihren größten Triumph im Großen Vaterländischen Krieg zu bringen. Sollten die Bodentruppen nicht schnell genug vorankommen, würden die Briten Berlin mit Fallschirmjägern besetzen.

Die ursprünglichen Pläne der Stawka, des Hauptquartiers des Obersten Befehlshabers der Roten Armee, die bereits in Vorbereitung befindliche Berliner Operation in der zweiten Maihälfte zum Abschluss zu bringen, waren damit hinfällig. Anfang April rief Josef Stalin deshalb die ranghöchsten Militärs, unter ihnen Marschall Georgi Schukow, der Befehlshaber der 1. Belorussischen Front, zu einer dringenden Besprechung nach Moskau. Im Ergebnis wurde beschlossen, die Berliner Operation bereits am 16. April zu beginnen. Drei Fronten, die 1. und 2. Belorussische und die 1. Ukrainische Front, mit 2,5 Millionen Soldaten, 6250 Panzern, 42 000 Geschützen und Granatwerfern und 7500 Flugzeugen sollten zum Sturm auf die deutsche Hauptstadt antreten.

Der 1. Belorussischen Front fiel dabei die Aufgabe zu, den Hauptstoß in westlicher Richtung zu führen, während die 1. Ukrainische Front von Süden und Südwesten und die 2. Belorussische Front – mit einigen Tagen Verzögerung – von Norden und Nordwesten angreifen sollten, um Berlin von allen Seiten einzuschließen. Die deutsche Seite verfügte zu diesem Zeitpunkt noch über rund eine Million Soldaten, 1500 Panzer und 3300 Flugzeuge, jedoch mangelte es zunehmend an Munition und Treibstoff.

Ausgangspunkt der Berliner Operation der 1. Belorussischen Front war ein Brückenkopf in der Gegend von Küstrin (heute Kostrzyn nad Odrą), der Anfang Februar im Zuge der Weichsel-Oder-Operation erobert und seither trotz heftiger deutscher Angriffe verteidigt und sogar ausgebaut worden war. Gleichzeitig waren entlang der Oder zahlreiche Fähren und Dutzende Behelfsbrücken vorbereitet worden, um mit Beginn der Berliner Operation Truppen und Ausrüstung in ausreichender Zahl an das Westufer des Flusses zu bringen.

Trotz der großen Überlegenheit der sowjetischen Truppen an Menschen und Material entwickelte sich der Vorstoß der 1. Belorussischen Front nicht wie geplant. Der Angriff begann in den frühen Morgenstunden des 16. April. Um genau 3 Uhr deutscher Zeit, in Moskau war es bereits 5 Uhr, eröffneten Tausende großkalibrige Geschütze das Feuer. Innerhalb von zwei Stunden gingen 1,2 Millionen Granaten – mehr als 98 000 Tonnen Stahl – auf die deutschen Stellungen nieder.

Doch die kampfstarken deutschen Truppen waren von der ersten Verteidigungslinie zurückgenommen worden, sodass dort, wo der Schwerpunkt der sowjetischen Artillerievorbereitung lag, nur unerfahrene Kräfte – oftmals kaum bewaffnete Angehörige des Volkssturmes und der Hitlerjugend – die Stellung halten sollten. Die deutschen Verluste waren daher deutlich niedriger als von den sowjetischen Militärs kalkuliert.

Auch die Idee, das Gefechtsfeld mit 120 Flakscheinwerfern zu beleuchten, erwies sich als kontraproduktiv. Zwar wurde der Gegner, wie erwartet, geblendet und dadurch in seinen Handlungen behindert, doch auch die angreifenden sowjetischen Truppen waren von dem unerwarteten grellen Licht verwirrt.

Vor allem jedoch hatten Schukow und seine Mitarbeiter den geografischen Faktor unterschätzt – die Seelower Höhen, die sich über mehrere Kilometer von Nord nach Süd erstrecken, bildeten mit einer Höhe von bis zu 60 Metern einen natürlichen Verteidigungswall. Die Steilhänge und die Höhe erlaubten es den deutschen Truppen in ihren gut ausgebauten Stellungen, die anrückenden sowjetischen Einheiten, die ohne jede Deckung das ebene und vor allem morastige Gelände des Oderbruchs überwinden mussten, wirksam zu bekämpfen. Zwangsläufig kam der Angriff der sowjetischen Truppen noch im Verlauf des 16. April zum Stehen.

Stalin, der über den Fortgang der Kämpfe regelmäßig und ausführlich informiert wurde, forderte von Schukow, den Vormarsch so schnell wie möglich fortzusetzen. Und der Marschall war gewillt, diese Weisung des Obersten Befehlshabers buchstäblich um jeden Preis zu erfüllen: Bei den Kämpfen um die Seelower Höhen verloren noch einmal Tausende sowjetische Soldaten ihr Leben, die bei einer anderen Führung der Kämpfe möglicherweise auch die letzten Tage des Krieges überlebt hätten.

Schukow selbst räumte in seinen 1974 veröffentlichten »Erinnerungen und Gedanken« ein, dass es möglich und sinnvoll gewesen wäre, die Berliner Operation anders zu planen und durchzuführen. Die Trennungslinie zwischen der 1. Belorussischen und der 1. Ukrainischen Front, so Schukow fast drei Jahrzehnte nach den Ereignissen, hätte von Frankfurt an der Oder und Fürstenberg bis zum Berliner Stadtzentrum verlaufen müssen. Die Seelower Höhen und die folgenreichen Fehler, die dort unter seiner Verantwortung begangen wurden, erwähnte Schukow nicht.

Tatsache bleibt: Die Schlacht um die Seelower Höhen endete in den frühen Morgenstunden des 18. April mit einem Sieg der Roten Armee. Der Weg nach Berlin war nun frei. Bereits am 20. April erreichten sowjetische Truppen die unmittelbaren Vororte von Berlin. Pünktlich zu Hitlers letztem Geburtstag begann die Beschießung des Regierungsviertels, dem letzten Zufluchtsort des endgültig gescheiterten »Führers«, mit gewöhnlicher Feldartillerie. Weittragende Geschütze waren nun nicht mehr erforderlich. Am Tag darauf, am 21. April, durchbrach die von Generaloberst Nikolai Bersarin geführte 5. Stoßarmee bei Marzahn die Stadtgrenze von Berlin. Am 2. Mai 1945 kapitulierten die letzten deutschen Truppen in der zerstörten Reichshauptstadt. Über dem Reichstag wehte die rote Fahne.

Unser Autor ist Historiker und MItglied des Sprecherrates der Historischen Kommission der Partei Die Linke.

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