USA: Neue Eugenik

Sozialdarwinismus auf dem Vormarsch: Die Unterscheidung von lebenswertem und -unwertem Leben ist zentraler Bestandteil der MAGA-Ideologie.

Die Rechte in den USA ist »pro life« – außer, es handelt sich um das Leben der Armen.
Die Rechte in den USA ist »pro life« – außer, es handelt sich um das Leben der Armen.

Ein bekanntes Phänomen im New Yorker Alltagsleben ist es, dass eine U-Bahn-Reise durch den starken Körpergeruch eines wohnungslosen Menschen gestört wird. Als Großstädter*innen mit hoher Exzentrik-Toleranz begegnen die New Yorker*innen diesen Gerüchen zumeist mit professioneller Gelassenheit: Man setzt sich weg oder hält sich diskret die Nase zu. Immer häufiger kommt es jedoch auch zu aggressiveren Reaktionen: Wohnungslose werden beleidigt, angegriffen oder sogar getötet.

Daniel Loick

Daniel Loick ist Abolitionist und Associate Professor für Politische Philosophie an der Universität Amsterdam. Im Rahmen eines Auslandsaufenthalts schreibt er in seiner Kolumne »Aus dem faschistischen Amerika« alle zwei Wochen über den autoritären Alltag in den USA und Argentinien.

Die Psychoanalytikerin Julia Kristeva bezeichnet das Phänomen des Ekels vor menschlichen Überresten als »Abjektion«. Der Grund dafür, dass wir uns vor Schmutz, Schweiß, Scheiße oder Eiter ekeln, liegt darin, dass sie uns mit unserer eigenen Körperlichkeit und damit unserer Sterblichkeit konfrontieren. Auf einen Kontakt mit einem Abjekt reagieren wir daher mit Ritualen der (tatsächlichen oder symbolischen) Reinigung. Faschismus ist für Kristeva nun die Extremform des Versuchs, sich vom bedrohlichen Abjekt zu befreien – dasjenige zu eliminieren, was uns an unsere Abhängigkeit und Endlichkeit erinnert.

Viele der in den ersten Monaten der Trump-Regierung umgesetzten Maßnahmen folgen einer solchen Logik. Bei einer Konferenz im Februar hatte der argentinische Präsident Milei dem Trump-Berater Elon Musk eine Kettensäge geschenkt, als Symbol des von ihm geplanten »Bürokratie-Abbaus«. Musks Kettensägen-Massaker trifft vor allem arme Menschen. Nach Berechnungen der New York Times wird allein die Abschaffung der Entwicklungshilfe-Behörde U.S.A.I.D. weltweit rund 3,3 Millionen Menschenleben pro Jahr kosten. Darüber hinaus wird der Kahlschlag bei der Katastrophenschutz-Agentur FEMA, dem Gesundheitsprogramm Medicaid, der Gesundheitsinfrastruktur für Frauen und trans Menschen und Umweltschutz-Initiativen nicht nur viel mehr Menschen der Wohnungslosigkeit und Krankheit aussetzen, sondern auch dem Tod.

Gleichzeitig rühmen sich die Republikaner damit, die radikalste »pro life«-Regierung aller Zeiten zu stellen. Damit ist nicht nur gemeint, dass Abtreibungen kriminalisiert und Empfängnisverhütung erschwert wird, sondern es beinhaltet auch die Förderung von In-Vitro-Befruchtung und viele konservative Familienpolitiken. Musk, selbst Vater von 14 Kindern, hat fallende Geburtenraten gar zur größten Gefahr für die Zivilisation erklärt. Kettensäge auf der einen Seite, Geburtenförderung auf der anderen Seite: Die Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben ist ein zentraler Bestandteil der MAGA-Ideologie.

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Bei einem Besuch des Natural History Museums erzählt mir meine Freundin Saskia, die zum Zusammenhang von Rassismus, Antisemitismus und Eugenik forscht, dass 1921 genau hier der zweite Internationale Kongress für Eugenik stattgefunden hat. Der Starredner des Kongresses war Leonard Darwin, Sohn von Charles Darwin, der für eine »Beseitigung der Untauglichen« durch politische Maßnahmen plädierte, die »sozial Inadäquate« von der Fortpflanzung abhalten sollten.

Eugenik war lange Zeit fester Bestandteile der öffentlichen Debatten und Politiken in den USA. Noch bis Ende der 1970er Jahre wurden Zehntausende Menschen zwangssterilisiert, insbesondere behinderte Menschen sowie arme und rassifizierte Bevölkerungsgruppen. Heute haben die USA wieder eine Regierung, die eine sozial-darwinistische Mission verfolgt. In der U-Bahn kann man verstehen, warum Eugenik gerade unter Silicon Valley Tech Bros so beliebt geworden ist: Sie dient als Verdrängung der Ahnung, dass auch sie im Handumdrehen überflüssig, arm oder pflegebedürftig werden könnten. Die Anwesenheit der »Inadäquaten« in unserer Mitte ist eine ekelhafte Erinnerung daran.

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