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Aonishiki: Vom Geflüchteten aus der Ukraine zum Yokozuna in Japan
Danylo Jawhusyshyn floh vor dem Krieg, inzwischen sorgt er als Sumoringer für Aufsehen
Der Mann mit den ungewöhnlich hellen Haaren, traditionell zusammengebunden in der Form einer Gingkopflanze, hat keine Angst vor großen Träumen: »Ich will ein Top-Sumoringer werden«, sagt er verschmitzt lächelnd. Das sei sein allergrößter Wunsch. Und hier in Japan fühle er sich schon auf dem richtigen Weg. »Ich will meinen ganz eigenen Stil als Ringer entwickeln und eines Tages ein Yokozuna sein. Dafür kämpfe ich!«
Yokozuna ist der höchste Rang im jahrtausendealten japanischen Ringkampfsport Sumo. Und der Mann, der diesen großen Traum äußert, ist seit Kurzem als Aonishiki bekannt. Nun könnte man sagen, es ist nichts Besonderes, dass ein ambitionierter Ringer in Gedanken schwelt, irgendwann der Allerbeste zu werden. Doch im Fall von Aonishiki, der dieses Statement Ende vergangenen Jahres in einem TV-Interview abgab, wird seit Kurzem niemand in Japan mehr den Kopf schütteln. Einige Kenner jubeln sogar schon.
Als Aonishiki Ende März bei einem der jährlich sechs großen Turniere im Sumo seinen Einstand gab, hätte er mit elf Siegen und vier Niederlagen beinahe den Gesamtsieg davongetragen. »Der junge Aonishiki gab ein beeindruckendes Debüt in der Elite-Makuuchi-Division«, schrieb die Nachrichtenagentur Kyodo. »Aonishiki, der während des Turniers 21 Jahre alt wurde, kam dem Erfolg von Takerufuji nahe, der im März 2024 als erster Ringer seit 110 Jahren bei seinem Debüt in der höchsten Liga einen Meistertitel gewann.« Unglaublich also.
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Das Material für eine Sportlegende
Gewinnen konnte Aonishiki sein erstes Turnier zwar nicht. Aber sein Wunsch, eines Tages zum Yokozuna ernannt zu werden, sieht nun nicht mehr nach Träumerei aus. Dabei ist die Geschichte hinter dem bis vor Kurzem noch unbekannten Namen Aonishiki der Stoff, aus dem in der Sportwelt Legenden gestrickt werden. Sein bürgerlicher Name lautet Danylo Jawhusyschyn. Seine ukrainische Heimat verließ er Anfang 2022, nach dem russischen Überfall.
Zunächst zog es den jungen Mann nach Deutschland. Doch der wuchtige Typ – 1,82 Meter groß, 136 Kilo schwer – wollte eigentlich nach Japan. Als Junge hatte Danylo Jawhusyschyn die Techniken des Judo und Sumo geübt, auf einem internationalen Jugendturnier einen Japaner kennengelernt. Als er inmitten des Angriffs Russlands seinen Jugendfreund in Ostasien kontaktierte, schlug der vor, Jawhusyschyn solle doch nach Japan kommen.
Der Ukrainer war sofort begeistert von der Idee, machte sich von Deutschland nach Ostasien auf und stellte sich bei Sumoställen in Tokio vor. Der Rest ist mittlerweile in ganz Japan bekannt. Der Sumostall, der ihn aufnahm, taufte Jawhusyschyn auf Aonishiki. Die Schriftzeichen sind Verweise auf die ukrainische Flagge, Ruhe und seinen Stall, in dem er nun lebt und trainiert. Dabei scheint das Schriftzeichen für Ruhe besonders wichtig. Denn der Ringer beherrscht eine in Japan sehr geschätzte Eigenschaft zur Perfektion: Zurückhaltung.
Ein Sumo-Talent als Aushängeschild
»Bis hierher ist alles natürlich sehr schnell gegangen«, sagte Jawhusyschyn kürzlich in einem Interview, von denen er nun, gepaart mit Autogrammwünschen, häufig welche geben muss. »Aber ich sehe es eher so, dass es gerade erst losgeht. Ich bin noch nicht da, wo ich gern wäre. Mir mangelt es noch an so vielen Dingen.« Er müsse noch kräftiger werden. »Aber mental bin ich schon viel stärker geworden. Und das ist ja schon mal wichtig.«
Was in Japan zudem für Begeisterung sorgt: Aonishiki spricht schon fließend Japanisch. So schnell gelingt das nicht vielen Ringern aus dem Ausland – obwohl sich diese traditionellste aller japanischen Sportarten seit zwei Jahrzehnten stark internationalisiert hat. Viele der besten Ringer kommen inzwischen aus der Mongolei. Auch einen Ägypter gab es schon, ebenso wie einige Europäer. Mit Serhij Sokolowskyj – Ringname Shishi – gibt es seit 2020 auch schon einen Ukrainer im Ring.
Gerade auf Sokolowskyj und Jawhusyschyn ist man nicht nur in deren osteuropäischer Heimat stolz, sondern auch im aufnehmenden Land – sogar von Staats wegen. Anfang des Jahres publizierte die japanische Regierung auf ihrer Website einen Artikel in englischer Sprache mit dem Titel »Ukrainischer Sumoringer in Aktion: Die Stärke zweier Familien in der Ukraine und in Japan«. Die Botschaft: Japan ist eine Gesellschaft, die Fremde aufnimmt und integriert. Das ostasiatische Land, das über Jahrzehnte praktisch keine Geflüchteten aufnahm, will sein Image verändern. Als Reaktion auf Russlands Angriff wurden tausende Menschen aus der Ukraine auf unbürokratische Weise aufgenommen. So auch Aonishiki.
Japans Imagekampagne und die Wirklichkeit
Koichi Nakano, Politikprofessor an der Sophia-Universität in Tokio, findet aber nicht, dass Aonishiki schon als Sinnbild für eine generelle Öffnung Japans stehen kann: »Die Internationalisierung im Sumo ist schon länger ein Trend. Denn es gibt nicht mehr genügend Japaner, die Sumoringer werden wollen.« Inmitten fallender Geburtenraten sowie zunehmender Beliebtheit von Baseball und Fußball mangelt es schon seit Jahren an Sumo-Nachwuchs. »Daher ist man für Talente aus dem Ausland heute offener.« Und der Hintergrund Aonishikis? Nakano winkt ab: »Das liegt daran, dass er aus der Ukraine ist. Käme er aus Syrien, Gaza oder Südostasien, hätte er hier als Geflüchteter keine Chance erhalten. Insgesamt ist Japan weiterhin verschlossen gegenüber Geflüchteten.« Die unbürokratische Aufnahme von Menschen aus der Ukraine sei eher als eine Art sicherheitspolitische Kooperation mit westlichen Staaten zu verstehen.
Für die Sumowelt sei Aonishiki natürlich ein Glücksgriff, der sich erst durch den Krieg in der Ukraine ergab, erklärt Nakano. »Aber für seine Entwicklung wird sich der Sport weiter internationalisieren müssen.« Sollte Aonishiki eines Tages durch Turniersiege tatsächlich zum Yokozuna ernannt werden, könnte er eine tragende Rolle dabei spielen, den Sport – und damit auch das Land – weiter zu öffnen. Der erste ausländische Yokozuna wäre er zwar nicht mehr. Wohl aber der erste aus Europa.
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