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Der große Kampf um die kleinen Rathäuser
Parlamentarier von SPD, PDS , CDU, Grünen, FDP und STATT-Partei wählten in Berlin die Bezirksbürgermeister
Neben dem Regierenden Bürgermeister Berlins gibt es noch zwölf weitere Bürgermeister in der Hauptstadt- und die regieren die einzelnen Stadtbezirke. Zum 1. Januar 2001 wurde durch Fusionen die Zahl der Berliner Bezirke von 23 auf 12 reduziert. Seit den Neuwahlen am 21. Oktober kämpften die Parteien um die Macht in den Rathäusern. Gestern Abend stand in Pankow die Wahl der letzten Stadträte an.
Nach den Gesetzen des Landes Berlin werden die politischen Posten in den Rathäusern der Stadtbezirke fair nach Wahlergebnis verteilt. Die Fraktions-Größe in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) entscheidet darüber, ob und wie viele Bezirksamtsmitglieder eine Fraktion vorschlagen darf.Das Bezirksamt besteht aus einem Bürgermeister und fünf Stadträten. Sie teilen die Fachressorts unter sich auf und bilden die Regierung der Stadtregion. Das Vorschlagsrecht für den Bürgermeister steht zwar traditionell der größten Fraktion zu. Doch kann sie überflügelt werden, indem kleinere Fraktionen Zählgemeinschaften bilden.
SPD und CDU benutzten dieses Instrument nach 1990 wiederholt, um in Ostberlin der PDS Bürgermeister vorzuenthalten. Aktuell gibt es das noch in Treptow-Köpenick, wo sich SPD und CDU auf Klaus Ulbricht (SPD) einigten. Diese Allianz hielt, obwohl SPD-Stadtrat Dieter Schmitz vor seiner Wahl in den Verdacht geriet, in einen Bauskandal verwickelt zu sein. Allerdings stellte sich später auch heraus, dass sich der SPD-Politiker nicht bereichert hatte. Die PDS freute sich in Treptow-Köpenick zwar über Stimmenzuwächse, die ihr einen dritten Stadtrat eintrugen. Doch bei der Bürgermeisterwahl schaute sie wieder einmal in die Röhre.
Inzwischen bedient sich jedoch auch die PDS der Zählgemeinschaft. In Neukölln machte eine rot-rot-grüne Heinz Buschkowsky (SPD) zum neuen Bürgermeister. Die Beteiligung der PDS war zunächst ein einmaliger Vorgang in einem Westbezirk, nicht zuletzt, weil dafür auch noch ein förmlicher Koalitionsvertrag unterzeichnet wurde.
Das ließ sich einige Tage später nur durch das rot-rot-grüne Bündnis in Tempelhof-Schöneberg toppen. Die BVV tagt dort nämlich im Schöneberger Rathaus. Ausgerechnet hier hatte das Westberliner Abgeordnetenhaus in den Jahren der Teilung der Stadt getagt und seinen Antikommunismus gepflegt. Ausgerechnet hier einigte sich die SPD mit den beiden PDS-Vertretern: mit dem ehemaligen Betriebsrat Gert Julius, der sein Büro im Rathaus mit einem Bild Fidel Castros und einer Büste Ernst Thälmanns dekorierte, und mit der Kurdin Denise, die sich selbst den Familiennamen Marx wählte.
In Pankow konterte die PDS ein SPD-CDU-Bündnis durch eine Zählgemeinschaft mit den Grünen. Burkhard Kleinert, vorher PDS-Stadtrat für Kultur und Finanzen, darf nun als Bürgermeister auch repräsentieren. Aber darum geht es gar nicht. Wichtig ist, bei einem Abstimmungspatt im sechsköpfigen Bezirksamt entscheidet er. Drei PDS-Vertreter im Bezirksamt bedeuten also, die Partei kann hier theoretisch alle Beschlüsse allein fassen.
Ein Gefühl, das die Sozialisten in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg schon lange kennen. Auch die Bürgermeister Uwe Klett und Wolfram Friedersdorff (beide PDS) sind in ihrem Geschäft alte Hasen. Neu ist, dass sie jetzt sogar nur noch zwei Kollegen im Bezirksamt haben, die nicht von der eigenen Partei nominiert worden. Da ist kein Kompromiss vonnöten, die PDS regiert absolut.
Das kann sonst niemand in Berlin von sich sagen. Da, wo noch in der vergangenen Legislaturperiode CDU-Bezirksbürgermeister vollkommene Machtfülle genossen, mussten die Konservativen jetzt wegen Hilfe bei der FDP anklopfen. So geschehen im Falle der Bürgermeister Konrad Birkholz (Spandau) und Marlies Wanjura (Reinickendorf). Ungewöhnlich ist ein Bündnis im Regierungsbezirk Mitte. Hier unterstützte die PDS eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft zur Wahl von Bürgermeister Joachim Zeller (CDU). Dabei lag der PDS ein unterschriftsreifer Koalitionsvertrag mit der SPD schon vor, der sich nicht wesentlich von der Vereinbarung mit Schwarz-Grün unterschied. Noch kurisoser daran ist, dass der CDU-Landesvorsitzende Eberhard Diepgen sich um dieses Bündnis persönlich bemühte. Im Gegenzug versprach er, seine Parteifreunde würden in Pankow den PDS-Kandidaten wählen. Weil seine Gefolgsleute ihm nicht folgen wollten, erschien er selbst in Pankow, verirrte sich ins PDS-Büro und fragte dort: »Wo gehts denn hier zur CDU?« Diepgen erwies sich dann als so macht- wie orientierungslos. Die PDS musste das knappere, aber inhaltlich sinnvollere Bündnis mit den Grünen suchen.
Auch in Mitte ist CDU-Grüne-PDS sinnvoll, obwohl die Parteibücher der Beteiligten anderes vermuten lassen. Der CDU-Rathauschef ist kein kalter Krieger, sondern zum Beispiel ein warmherziger Kämpfer für die Würdigung der Revolutionäre von 1848.
Die größte Zustimmung in Berlin erhielt wohl Bärbel Grygier (für PDS) in Friedrichshain-Kreuzberg. Im Ost-West-Bezirk hätte sich die PDS den Partner aussuchen können. Doch weil das Dreierbündnis bisher funktioniert hatte, einigte man sich wieder mit beiden- SPD und Bündnisgrünen. Fraglich ist derzeit, ob das Bündnis hält, wenn die populäre Grygier für Gregor Gysi in den Bundestag aufrückt. Die PDS schickt die Sozialstadträtin Cornelia Reinauer ins Rennen. Als die Schwäbin noch Stadträtin in Marzahn war, schob ihr ein Journalist mal den Plan unter, ein kommunales Bordell einrichten zu wollen. Der einstige »Skandal« wird immer wieder fleißig zitiert. Reinauer kann inzwischen kräftig darüber lachen.
In Steglitz-Zehlendorf waren sich CDU und FDP relativ früh einig. Doch sie hatten es nicht eilig und feierten erstmal gründlich Weihnachten und Neujahr. Erst dann kürten sie den Bezirksbürgermeister Herbert Weber (CDU). Der alte ist zugleich der neue. In Charlottenburg-Wilmersdorf schaffte es dafür eine wirklich neue- Monika Thiemen (SPD)- mit Hilfe der Grünen. Allerdings arbeitete Thiemen bereits als Stadträtin im Bezirk. Überhaupt brachte die Wahl vom 21. Oktober 2001 keine neuen Gesichter bei den Bürgermeistern. Acht sind Amtsinhaber, der Rest war zumindest schon Stadtrat.
Anders sieht es bei den Stadträten aus. Hier musste die PDS ganz schön rudern, um alle Posten besetzen zu können. Wegen der guten Wahlergebnisse, aber auch, weil einige PDS-Stadträte »Tschüss« riefen. Aus persönlichen Gründen sagte in Pankow PDS-Baustadtrat Andreas Bossmann leise Servus. Der gelernte Theaterwissenschaftler wollte sich nach Jahren guter, aber manchmal auch aufreibender Arbeit wieder mehr seiner Familie und nicht zuletzt seinem kleinen Sohn Friedemann Johannes widmen.
Mehr oder weniger unzufrieden gingen Anita Engelmann in Treptow-Köpenick sowie Ellen Homfeld und Tim Berning-Cziskus in Lichtenberg. So standen die Sozialisten in Lichtenberg nur noch mit Bürgermeister Friedersdorff da.
Insgesamt sind 21 Stadträte neu in den Bezirksämtern. Die Ausgeschiedenen zu bezahlen, ist das Land Berlin verpflichtet. Weil eigentlich erst in diesem Jahr wieder gewählt werden sollte, stellte die Stadt Ernennungsurkunden bis zum 30. Juni 2004 aus. Bis dahin haben die nach den vorgezogenen Neuwahlen nicht im Amt bestätigten Bezirksamtsmitglieder ein Anrecht auf 75 Prozent ihrer Bezüge. Ein Bürgermeister erhält für seine Amtstätigkeit etwa 6770 Euro monatlich, ein Stadtrat etwa 6050 Euro.
Vergleichsweise billig ist da, was Pankows PDS bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters bezahlte. Weil die Mehrheit für den Kandidaten Kleinert äußerst knapp war, flog die Partei ein Fraktionsmitglied aus Übersee zu zwei Abstimmungen ein. Der Jugendpolitiker Sascha Kummer absolviert dort ein Praktikum beim Ministerium der kanadischen Provinz British Columbia, was seine Ausbildung zum Stadtinspektor beflügeln soll. Die Reise nach Berlin kostete ihn zweimal 30 Stunden und insgesamt 36000 Flugkilometer. Die Tickets zahlte die Partei. Eine Investition, die sich auszahlt, denn mit einem Bürgermeister hat die PDS bessere Möglichkeiten, die Politi...
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