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Machtpoker der Großmächte
Vor 55 Jahren: Friedenskonferenz in Paris
Der Abschluss von Friedensverträgen mit den einstigen Vasallen Nazideutschlands - Italien, Finnland, Rumänien, Ungarn und Bulgarien - am 10. Februar 1947 gehört zu den bemerkenswerten gemeinsamen Nachkriegsaktionen der USA, der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs. Der Weg zu diesem größeren Kompromiss der Hauptmächte der Antihitlerkoalition zeigte zugleich deren Interessenkonflikte und Anzeichen des einsetzenden Kalten Krieges. Bereits unmittelbar nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki offenbarte Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman, die USA seien nun »zum mächtigsten Land der Welt, ja zweifellos zum mächtigsten Land in der gesamten Menschheitsgeschichte« geworden. Das jedoch widersprach den politischen Realitäten. Immerhin befanden sich die sowjetischen Truppen nach ihrem Befreiungsfeldzug bereits an der Elbe, und Moskau war nicht bereit, die ihr zugestandene und schon besetzte osteuropäische Interessensphäre aufzugeben. Stalin reagierte daher auf ein solches Weltherrschaftsgebaren harsch: Ein »neuer militärischer Feldzug gegen das östliche Europa« bekäme den Angreifern schlecht, sie würden genauso geschlagen, »wie sie in der Vergangenheit geschlagen worden sind«. Mit der Atombombe wolle man nur Angst einjagen und das Monopol auf sie werde nicht von langer Dauer sein.
Da es nicht möglich war, den Einfluss der UdSSR auf deren Vorkriegsgrenzen zurückzudrängen, einigten sich führende Kreise um Präsident Truman schließlich auf die von George Kennan in seinem »langen Telegramm« am 22. Februar 1946 formulierte Strategie der »Eindämmung« des Kommunismus. Sie akzeptierte die sichtbar werdende bipolare Welt genauso wie die harte Auseinandersetzung zwischen beiden Supermächten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum der Abschluss von Friedensverträgen mit den Satelliten Nazideutschlands trotz aller Konfrontationen schließlich gelang.
Auf der Potsdamer Konferenz war auf Vorschlag der USA ein Rat der Außenminister der »großen Drei« beauftragt worden, die Friedensverträge mit den besiegten Feindstaaten vorzubereiten. Die erste Beratung im September 1945, zu der auch China und Frankreich eingeladen waren, stand ganz im Zeichen der Atombombendiplomatie. Die USA lehnten die neuen prosowjetischen Regierungen Rumäniens und Bulgariens als Verhandlungspartner ab. Stalins Außenminister Molotow entgegnete unverblümt: »In einem besiegten Land, besonders in einem Nachbarland, muss die Sowjetunion ein Mindestmaß an Einfluss haben.« Seinem US-Partner, den Südstaatenpolitiker James Byrnes, warf er vor, mit zweierlei Maß zu messen: Er mische sich in die Länder im sowjetischen Machtbereich, aber kritisiere nicht die britische Unterdrückungspolitik in Griechenland. Vollends sprachlos war Byrnes, als Molotow vorschlug, die UdSSR könne ja auch (ähnlich wie die Briten) die Treuhandschaft über das Italien abgesprochene Kolonialgebiet Libyen übernehmen. Zufrieden resümierte Molotow, dass die erste Konferenz zur Friedensregelung gescheitert sei, weil »gewisse britische und amerikanische Kreise zum ersten Mal seit Kriegsende eine diplomatische Attacke auf die außenpolitischen Gewinne der Sowjetunion während des Krieges lancierten«.
Erst auf der Moskauer Konferenz im Dezember 1945 wurde vereinbart, dass es allein dem Außenministerrat obliegt, die Entwürfe der Friedensverträge auszuarbeiten und die Verfahrensfragen festzulegen. Das erfolgte in kontroversen Debatten auf der Pariser Außenministerkonferenz zwischen April und Juni 1946. Auf der eigentlichen Friedenskonferenz vom 29. Juli bis 15. Oktober 1946 nahmen 33 Staaten teil, von denen 21 stimmberechtigt waren. Im Unterschied zur Friedenskonferenz 1919, die weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfand, sorgten über 2000 Pressevertreter für Öffentlichkeit.
Die sowjetische Seite forderte, in keinem der ehemaligen Satelliten Nazideutschlands jemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen. Das wurde für Finnland, Rumänien, Ungarn und Bulgarien festgeschrieben. Im Friedensvertrag mit Italien, dem Ursprungsland des Faschismus, setzte der angloamerikanische Block allerdings mit neun gegen acht Stimmen bei drei Enthaltungen durch, dass ein solcher Artikel, den Polen und die Ukraine einbrachten, gestrichen wurde. Italien musste zwar auf seine Kolonien verzichten, Molotow aber konnte jugoslawische Ansprüche auf die Julische Krain nicht durchsetzen. Triest blieb vorerst Freistaat unter angloamerikanischer Besatzung, kam aber 1948 zu Italien. Gestritten wurde vor allem um die Reparationen. Vorschläge der australischen Delegation, Italien, Finnland, Ungarn und Rumänien zu schonen, kamen nicht durch. Alle vier Länder mussten jeweils 300 Millionen Dollar Reparationen an die UdSSR bzw. Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Griechenland zahlen.
Um den sowjetischen Einfluss in Osteuropa zurückzudrängen und dort selbst Fuß zu fassen, verlangten die USA u.a. die »Freiheit der Donauschifffahrt«, d.h. eine Rückkehr zur Donaukonvention von 1921. Molotow argumentierte dagegen: Warum seien denn die »Verfechter der gleichen Möglichkeiten« nicht bereit, dieses Prinzip auf den Suez- oder Panamakanal anzuwenden? Die Debatte endete vorerst in einem Kompromiss: 14 der 21 Staaten entschieden, das Problem auf einer Nachfolgekonferenz zu klären. 1948 kamen die Balkan-Anrainer in Belgrad überein, dass die Donauschifffahrt ihre eigene Angelegenheit ist. Die USA stimmten dagegen, Großbritannien und Frankreich enthielten sich der Stimme.
Molotow erwies sich als geschickter und hartnäckiger Unterhändler sowjetischer Sicherheitsinteressen, die nach seinem Worte darin bestanden, dass zu »konsolidieren, was erobert worden war«. Rückblickend auf seine Tätigkeit bekannte er später, »dass es nicht einfach war, uns übers Ohr zu hauen.« Das schloss aber auch Kompromisse ein: Die UdSSR stellte zum Leidwesen Titos die Unterstützung des griechischen Freiheitskampfes gegen die Briten ein und billigte, dass die USA neue »Schutzmacht« Griechenlands wurden. Moskau zog seine Truppen aus dem Nordiran ab und ließ die dortige aserbaidschanische Autonomiebewegung fallen. Stalin versuchte dahingegen, Einfluss auf die Türkei zu nehmen und testete 1946, »wie weit der Westen gehen würde, um diesen Teil der Welt zu verteidigen«. Als Truman mit militärischen Gegenschlägen drohte, stellte Stalin keine weiteren Forderungen nach einem Stützpunkt auf den Dardanellen. Molotow, der viel besser die Grenzen sowjetischer Macht kannte, erklärte: »Es ist gut, dass wir uns rechtzeitig zurückgezogen haben, sonst hätte die Situation zu einem gemeinsamen Angriff gegen uns geführt.« Die Erklärung des US- Präsidenten vom 12. März 1947, die als Trumandoktrin in die Geschichte einging, stellte klar, dass die USA keine Veränderung des bestehenden europäischen Status quo zulassen werden, die Türkei und Griechenland unveräußerlicher Teil ihrer Interessensphäre bilden.
Damit waren für über ein halbes Jahrhund...
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