»Dann werden die Maschinen abgestellt – und fertig«
Die Kumpel der Steinkohlezeche Walsum haben sich mit der Schließung abgefunden
Bereits die Unterhose ist ein Abenteuer. Fast knielanger weißer Feinripp mit großzügigem Eingriff. So etwas trug Mann in den Fünfzigern. Aber Christof Beike versichert, dass dieses Monstrum zur vorschriftsmäßigen Bekleidung eines Bergmannes gehöre und deshalb auch von Besuchern der Zeche Walsum im Norden von Duisburg anzuziehen sei. »Untertage darf nur reine Baumwolle getragen werden!«, sagt der Mann, der für die Unternehmenskommunikation bei der RAG Deutsche Steinkohle zuständig ist. Herkömmliche Unterwäsche mit dem Aufdruck »100 % Baumwolle« reicht nicht. »Selbst ein ganz kleines bisschen Synthetik kann Funken machen.«
In 720 Metern Tiefe
Perfekt ausstaffiert mit einem Hemd aus blauweißem Drillich, weißer Hose, weißer Jacke, schweren Arbeitsschuhen, Schutzbrille, Handschuhen, Notbeatmungsgerät, Lampe und einem roten Helm geht es in den Korb. »Unsere Geschwindigkeit entspricht der der Aufzüge vom World Trade Center. Nur dass wir doppelt so lange unterwegs sind.« Der Korb fährt abwärts, 720 Meter tief. Und er wackelt mehr als der Fahrstuhl eines Hochhauses. Gut, dass Haltegriffe von oben herabbaumeln. Unten riecht es nach feuchtem Kohlenkeller. In einem Wartehäuschen, das aussieht, als stünde es an den Gleisen eines Vorortbahnhofs, sitzen ein paar dunkle Gestalten. Als sie vor sieben Stunden einfuhren, waren sie noch so weiß wie die Besucher. Aber warum gibt es eine Baracke, wo es doch vermutlich nie regnet? »Im Winter mischt sich hier die Luft. Über 20 Grad von Untertage, unter minus zehn Grad von Übertage. Da holt man sich leicht was weg«, erklärt Beike.
»Wir nehmen die Dieselkatze«, schwärmt der Pressevertreter. Der kleine Grubenzug fährt auf einer Schiene, die an der Decke des Stollens befestigt ist. »Durch den Druck quillt der Boden von unten hoch. Der ist zu uneben, um Schienen zu verlegen.« Viel Platz bleibt nicht. In dem verbeulten, grau lackierten Blechgefährt liegt der Fahrgast wie in einem Sportwagen. Tuckernd poltert das Bähnchen durch den engen Stollen. Alle zwanzig Meter hängt eine Laterne, die die Szenerie in fahles Zwielicht taucht. Von oben baumeln manchmal schwere Ketten herab. An anderen Stellen hängen dünne graue Fäden von der Decke, mineralisiertes Tropfwasser. Neben den Waggons saust ein Förderband. Von dort ist des öfteren ein Knallen zu hören. Es kommt näher, wird unerträglich laut, entfernt sich wieder. »Die Gummimatten der Förderbänder sind mit einem Verschluss aus Stahl zusammengefügt. Wenn der auf die Rollen darunter kommt, knallt es«, erklärt Beike. Auf den Kohlen liegen vereinzelt Bergleute, die zum Schacht wollen. Nicht jeder darf die Katze nehmen. »Besser schlecht fahren als scheiße laufen«, erklärt später ein Kumpel. Immer wieder muss der kleine Zug anhalten. Schwere Eisentore werden geöffnet, andere geschlossen. Wettertüren. Damit werden die Luftströme in die richtigen Stollen geleitet.
Nach Verlassen der Katze sagt Beike: »Die Maschinen werden im zehn Kilometer entfernten Walsum gesteuert. Per Mausklick.« Anerkennend tippt er auf ein Bündel Rohre und Kabel, die im Stollen verlegt sind. Hier unten gibt es nicht viele Menschen. In den drei Stunden der Betriebsbesichtigung begegnet die Besuchergruppe einem knappen Dutzend Bergleute.
Zu Fuß geht es weiter. Detailliert werden die Ausbauten des Strebs gezeigt. »Eine spezielle Verschraubung sorgt dafür, dass die Konstruktion etwas nachgibt, wenn der Druck von oben zu groß wird«, beruhigt Christof Beike. Dann zeigt er auf große Wasserkübel, die in regelmäßigem Abstand aufgehängt sind. »Bei einer Explosion werden sie von der Druckwelle umgekippt und löschen so die Feuerwalze – nach vielleicht hundert, zweihundert Metern.« Dann sind die Besucher »vor Ort« angelangt. Hier wird die Kohle aus dem Berg gefräst. »Die Walze ist der Flaschenhals der Produktion«, schreit Beike. Ein Ungetüm mit vier mühlsteingroßen Rädern reißt mit stählernen Zähnen die Kohle aus der Wand, die krachend auf das Förderband fällt. »Hier ist es am gefährlichsten«, raunt Beike, nachdem die Walze zum Stillstand gekommen ist. Aber jeder Polizist oder Kraftfahrer trage ein höheres Berufsrisiko. »Untertage verstaucht man sich höchstens mal einen Fuß.«
Keine Erdbebengefahr
Übertage kommt die Sprache auf das Erdbeben im Saarland. Die Ereignisse könne man wegen der geologischen Beschaffenheit nicht auf das Ruhrgebiet übertragen, sagt der RAG-Mann. Im Saarland überwiegen harte Gesteinsschichten, bis zu 70 Prozent Sandstein. »Er bricht wie Knäckebrot, so können entsprechende Erschütterungen entstehen«, sagt Beike. Im Ruhrgebiet sei das Material weicher. Aber natürlich reagiere die Öffentlichkeit an Rhein und Ruhr sensibel auf die Meldungen von der Saar.
Aber auch hier ist die Steinkohleförderung ein Auslaufmodell. »Leider«, betont Beike. Man mache sich von Importen abhängig. Wenn die Energiepreise weiter so rasant steigen, könne es natürlich möglich sein, dass die vereinbarte Revisionsklausel 2012 greift. Für das seit 1939 betriebene Bergwerk Walsum ist dies aber definitiv zu spät. Die Förderung wird am 1. Juli eingestellt. Im vergangenen Jahr förderten hier 2500 Mitarbeiter noch 2,5 Millionen Tonnen Kohle.
Und was wird aus den Kumpeln? Zwei Bergmänner sitzen schweigsam in dem kleinen Aufenthaltsraum vor der Waschkaue. »Na, dann werden die Maschinen abgestellt und fertig«, sagt Werner Overlöper. Der Elektroaufsichtshauer, so die genaue Berufsbezeichnung, ist 43 Jahre alt und arbeitet seit Ende der Schulzeit im Bergbau. Früher auf einer anderen Zeche, nachdem die dicht gemacht wurde, hier auf Walsum. Christof Beike sagt: »Wenn hier zugemacht wird, wird das der traurigste Tag.« Dem stimmt Overlöper zu. »An das Ende denkt man noch gar nicht.« Und dann fügt er etwas trotzig hinzu: »Wir könnten hier noch 70 Jahre Kohle schicken.«
Widerstand ist nicht mehr zu erwarten. Zwar leuchten auch Overlöpers Augen, als er von dem »Band der Solidarität« erzählt. Vor elf Jahren bildeten 220 000 Demonstranten quer durch das Ruhrgebiet eine fast 100 Kilometer lange Menschenkette, um gegen den Kohleausstieg zu protestieren. Inzwischen hat man sich mit dem Schicksal abgefunden. Overlöper wird ab Juli im 30 Kilometer entfernten Kamp-Lintfort, auf dem Bergwerk West, wieder einfahren. Und wenn auch dort dicht wird, hat er beruflich keine großen Sorgen. Hochqualifiziertes Personal wird selbst in Krisenregionen gesucht.
Zukunft Windenergie
Auch die Bundes- und die nordrhein-westfälische Landesregierung brauchen sich wohl keine Sorgen zu machen. Die Ruhr wird nicht brennen, wenn die letzten Zechen sterben. Früher stand die Zeche für den Stadtteil, der Förderturm war eine Art Kirchturm. Das hat sich geändert. Die Kumpels kennen sich untereinander kaum. Jeder fährt nach Schichtende mit seinem Auto in eine andere Stadt.
Am Ausgang des Zechengebäudes hängt ein Plakat der RAG. In einer Sanddüne drehen sich ein paar bunte Windrädchen. Darunter ist zu lesen: »Sie brauchen Zeit, um groß zu werden. Wir geben sie ihnen.« Draußen, ein paar hundert Meter hinter dem Mitarbeiterparkplatz, dreht sich tatsächlich ein Windrad. Vom Zechengelände aus erscheint es recht klein, der Förderturm hingegen riesig groß. Aber vom Standort des Windkraftwerks aus betrachtet, mag der Eindruck ein ganz anderer sein.
Kohle-AusstiegDie RAG-Tochter Deutsche Steinkohle AG betreibt acht Zechen: je eine in Ibbenbüren und Saarlouis, die anderen im Ruhrgebiet. Bis 2018 soll der Abbau der heimischen Steinkohle subventioniert werden. Dann werden wohl alle Zechen geschlossen sein. Im Jahr 2012 wird der Ausstiegsbeschluss unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und der Sicherung der Energieversorgung überprüft. LD
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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