Kritik an Berliner Barmherzigkeit
Bundestag greift Schelte des Bundesrechnungshofes an Hartz-IV-Wohnkosten auf
Im Dezember legte der Bundesrechnungshof einen Bericht vor, in dem die Berliner Ausgabenpraxis bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende kritisiert wird. Berlin wird darin als Beispiel jener Schwarzen Schafe aufgeführt, die die Bundesmittel, welche 2006 rund vier Milliarden Euro und im Jahr darauf bereits 4,3 Milliarden Euro betrugen, unnötig aufblähen. Das Bundesland verfahre »zu großzügig« bei der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, lautet der Verwurf.
Hartz-IV-Betroffene erhalten neben den Regelleistungen in Höhe von 347 Euro die »Leistungen für Unterkunft«, also Miete, sowie das Geld für die Heizung. Der Zusatz »soweit diese angemessen sind« sorgt für den berühmten Haken an der Festlegung. Er führt vielfach dazu, dass Betroffene wegen zu hoher Mietkosten, etwa für eine »zu große« Wohnung, umziehen müssen, um die Ausgaben für den Staat zu senken. Die Hilfebedürftigen werden allerdings eine Weile geschont, so lange nämlich, wie ihnen nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen (selbst) zu senken. In der Regel nach längstens sechs Monaten jedoch fällt die Schonfrist. Wenn es dem Mieter bis dahin nicht gelungen ist, die Kosten zu senken (wie, ist ihm überlassen), kommt der Zwangsumzug.
Berlin trifft nun der Vorwurf, den der Bundesrechnungshof strikt neutral in eine juristische Verkleidung hüllt, indem er eine »uneinheitliche und zum Teil rechtswidrige Gesetzesanwendung« sowie »wesentliche Ungleichbehandlungen der Hilfeempfänger« beklagt. Denn in Berlin gilt nicht die bundesgesetzliche Sechs-Monatefrist, sondern die Betroffenen sollen erst nach zwölf Monaten aufgefordert werden, die Kosten zu senken.
Am Mittwoch folgte nun der Sozialausschuss des Bundestages dem Beschluss, den der Haushaltsausschuss in der letzten Woche bereits gefällt hatte und in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Mehrausgaben abzuschätzen, die Bund und Kommunen durch solche wie die Berliner Praxis entstehen. Dass die Bundestagsausschüsse gegen allein das Votum der LINKEN entschieden, lässt die SPD in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Schließlich stellt sie den zweiten und überdies größeren Teil der Landesregierung.
Der Bericht des Bundesrechnungshofes enthält unter anderem weiter den Vorwurf, dass in vier von zehn geprüften Fällen höhere Aufwendungen anerkannt wurden, als »die von der jeweiligen Grundsicherungsstelle festgesetzte Angemessenheitsgrenze« zuließ. Zugleich ist auch in Berlin nicht alles rosarot, weil rot-rot regiert. So stellt der Bundesrechnungshof – freilich nicht aus sozialen Gründen, sondern um das »Fallmanagement« zu kritisieren – fest, dass die Leistungen für Unterkunft schließlich gekürzt wurden, »ohne zuvor geprüft zu haben, wie die Hilfebedürftigen den von der Grundsicherungsleistung nicht mehr erfassten Betrag deckten. Teilweise überschritten die vom Hilfeempfänger selbst zu zahlenden Beträge sogar die ausgezahlte Regelleistung«.
Gleichwohl wettern die Sozialpolitiker der LINKEN auch in der Bundestagsfraktion gegen den Versuch, die »soziale Berliner Landesregelung zu kippen«, die die erzwungenen Umzüge von Hartz-IV-Beziehern weitestgehend verhindert. So formuliert es eine Erklärung von Katja Kipping und Katrin Kunert, die dafür plädieren, Berlin zum Vorbild zu nehmen, statt es an den Pranger zu stellen.
Die von den Regelungen – so oder so – Betroffenen werden den Streit mit besonderer Unruhe betrachten. Er könnte Folgen nicht nur für die Berliner haben, sondern auch für die Hessen, wo die vom Gesetz geforderte Pauschalierung der Wohnkosten nicht umgesetzt wurde, wie der Bundesrechnungshof moniert – also jene Summe, die die »Angemessenheit« der Mietkosten definiert. Einen leisen Hoffnungsschimmer hinterlassen Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung in den Parlamentsausschüssen. Diese zweifelten wegen des föderalen Systems und der Verantwortung der Bundesländer an einer juristischen Durchsetzbarkeit der Wünsche des Bundesrechnungshofes.
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