»Weniger Schwarz-Weiß, bitte«

Bezirksbürgermeisterin Emmrich (LINKE) über 100 Jaddhre Lichtenberg und das Image des Bezirkes

  • Lesedauer: 6 Min.
Christina Emmrich ist seit 2002 Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.
Christina Emmrich ist seit 2002 Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.

ND: Sie sind nun im sechsten Jahr Bürgermeisterin und damit auch ein Teil der hundertjährigen Geschichte Lichtenbergs. Konnten Sie Spuren hinterlassen?
Emmrich: Mit meinem Namen kann man vor allem Bürgerbeteiligung und Bürgerhaushalt verbinden. Außerdem das Gemeinwesenkonzept und, noch aus meiner Zeit als Kulturdezernentin, die Kulturentwicklungsplanung. Zudem haben wir innerhalb des Bezirksamtes einen kooperativen, Ressort übergreifenden Arbeitsstil etabliert.

Was waren die herbsten Niederlagen?
Vieles geht mir nicht schnell genug. Zum Beispiel, dass wir bei der Bekämpfung der Verschmutzungen des öffentlichen Raumes nicht vorankommen. Oder dass es uns nicht spürbar gelingt, die Außenwirkung des Bezirkes zu verbessern. Wir haben eine unglaubliche Diskrepanz zwischen der Sicht einiger von »Außen« und dem Empfinden derer, die im Bezirk leben. Viele Bürger fragen mich auch immer wieder, was wir denn alle gemeinsam für ein besseres Image des Bezirkes tun können.

Sie meinen gegen den Ruf des Stadtteils, eine rechte Hochburg zu sein?
Genau: »Neonazis«, »Platte«, »Grau« sind da die Stichworte. Da würde ich mir auch von vielen Journalisten weniger Schwarz-Weiß-Malerei wünschen.

Finden Sie nicht, dass dieser Focus auch teilweise Berechtigung hat?
Doch. Aber er lässt die andere, engagierte Seite unerwähnt. Natürlich haben wir Neonazis. Wir haben eine dreiköpfige NPD-Fraktion in der BVV. Wir haben den Bahnhof Lichtenberg, den kann ich ja nicht wegräumen. Wir haben den Weitlingkiez. Aber auf der anderen Seite haben wir höchst engagierte Menschen, die sich dem entgegenstemmen: Kirchenkreise und junge Antifaschisten. Oder Schulen wie das Herder-Gymnasium oder die Mildred-Hartnack-Schule, die sich intensiv mit Projekten gegen Rechts befassen. Und ich bin richtig ärgerlich, dass diese Gegenbewegungen in der Berichterstattung oft unter den Tisch fallen.

Apropos bürgerliches Engagement: 2006 fand in Lichtenberg der erste Bürgerentscheid in ganz Berlin statt.
Meine Partei hat das ermöglicht. Dann musste sie es auch aushalten, und wir haben auch noch verloren. Es ging um die Schließung des Coppi-Gymnasiums. Seitdem gab es zwei weitere Bürgerbegehren. Eines gegen eine Justizvollzugsanstalt. Und vor kurzem wurde eines für kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen auf den Weg gebracht. Ich bin aber froh, dass dieses Instrument nicht zu häufig angewandt wird. Das würde ja bedeuten, dass die Lichtenberger mit unserer Politik nicht einverstanden sind. Andere Formen des Engagements sind aber im Bezirk sehr gut entwickelt. Das haben wir gerade wieder an der regen Beteiligung der Bevölkerung am Bürgerhaushalt gesehen.

Gab es in den 100 Jahren Lichtenberg Sternstunden und schlechte Phasen?
Das wird jeder aus seiner Sicht beantworten. Zumal Lichtenberg nur von 1908 bis zur Eingemeindung 1920 das Stadtrecht hatte. In dieser kurzen Zeit wurden aber immerhin das Oskar-Ziethen-Krankenhaus, die jetzige Volkshochschule, die Schule am Rathaus und die Gebäude der jetzigen Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) gebaut. Das war also bestimmt eine gute Phase für Lichtenberg. In der DDR war Lichtenberg dann ein wichtiger Industriestandort.

Lichtenberg drohte nach der Wende zeitweilig zu entvölkern.
Das stimmt. Aber ich bin froh darüber, dass wir seit 2000 eine stabile Bevölkerungsentwicklung haben. Bis dahin hatte der Bezirk seit der Wende über 50 000 Einwohner durch Abwanderung verloren. Dass dies gestoppt werden konnte, ist auch ein Verdienst der Wohnungsbaugesellschaften. Sie haben unsere Großsiedlungen, und ich sage bewusst nicht »Plattenbauten«, einschließlich des Wohnumfeldes so saniert, dass wir hier inzwischen ein sehr ansprechendes Stadtbild haben. Andererseits wird die Bevölkerung aber älter. Zudem stagnieren die Geburten bei etwa 1500 pro Jahr. Diese lagen mal bei der doppelten Anzahl. Der Leerstand im Bezirk liegt unter sechs Prozent, teilweise melden Vermieter sogar Wartelisten.

Nach der Wende wurden die Lichtenberger Industrie-Betriebe ausnahmslos abgewickelt. Wie positioniert sich der Bezirk für die Zukunft?
Wir sind durch die vielen Kliniken im Bezirk ein guter Standort für Gesundheitsversorgung und Reha. Außerdem werden wir uns weiter als Hochschulstandort profilieren. Wir haben die FHTW und die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege. Außerdem befindet sich ein Teil der Schauspielschule im Theater an der Parkaue. In der kommenden Woche wird eine Hochschule für Gesundheit und Sport eröffnet. Kurz: Bildung, Gesundheit und Dienstleistungen werden die Trümpfe Lichtenbergs bleiben.

Investieren Sie, auch angesichts der Rechten im Bezirk, genug in die Jugendarbeit?
Jugendarbeit ist oft Freizeitgestaltung, und da stecken wir viel Geld rein. Wir müssen aber auch schon früher ansetzen. Vor allem in der Schule und den Elternhäusern. Da brauchen wir auch eine neue Offenheit. Außerdem gibt es zum Beispiel das Bundesprogramm »Jugend für Vielfalt und Toleranz«. Aus diesem Topf fließen jedes Jahr 100 000 Euro nur in Projekte rund um den Weitlingkiez. Aber wie gesagt: Die Konzentration nur auf die Jugendlichen wird nicht ausreichen.

Wie in einem Mikrokosmos prallen in Lichtenberg die Jugendkulturen aufeinander. Macht Ihnen das Engagement etwa der Antifa im Bezirk eher Hoffnung oder beunruhigt Sie die direkte Konfrontation?
So lange die Jugendlichen nicht militant sind, macht es mir Hoffnung. Aber dem Bürger ist es am Ende egal, ob der Rechte oder der Linke den Knüppel schwingt. Einen Linken sollte auszeichnen. dass er nicht menschenverachtend handelt. Das schließt für mich einen Gewaltverzicht ein. Aber ich finde toll, mit welcher Fantasie viele unserer linken Gruppen zu Werke gehen. Es ist der feste Wille fast aller Lichtenberger, sich von Nazis keine Räume wegnehmen zu lassen.

Es gibt einige marode Projekte im Bezirk: Die Seeterrassen am Fennpfuhl, die ehemaligen Kasernen in Karlshorst oder die Bauruine an der Storkower Straße...
Nach 15 Jahren haben wir für die Seeterrassen immer noch keinen Investor. Deshalb haben wir entschieden, dass jetzt abgerissen wird. Wenn dann dort niemand bauen möchte, wird das Gelände in den Fennpfuhlpark integriert. Die Gebäude in Karlshorst sind Bundeseigentum. Wir würden dort am liebsten Wohnhäuser sehen. Bei der Bauruine an der Storkower Straße/Ecke Landsberger Allee tut sich aber endlich etwas. Investoren aus Österreich bauen dort ein Hotel- und Kongresszentrum. Am Ortsausgang, ebenfalls an der Landsberger Allee, wird IKEA eine Filiale eröffnen.

Wie werden Sie das Jubiläum feiern?
Heute findet ein Empfang für Bürger mit Ehrenmedaille statt. Dort werden auch weitere Lichtenberger geehrt. Außerdem haben wir 100-Jährige eingeladen und Ehepaare, die seit unglaublichen 70 Jahren verheiratet sind und ihre »Gnadenhochzeit« feiern. Zudem gibt es eine Vielzahl kleinerer Veranstaltungen.

Ein kleiner Ausblick?
Wir bringen gerade eine »Bürgerstiftung Lichtenberg« und eine Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Außenwirkung auf den Weg. Ganz wichtig ist mir auch die öffentliche Ratssitzung im Juni. Da werden wir uns mit Bürgervereinen und Kiezbeiräten verständigen, ob wir unserem Leitziel näher gekommen sind: »Lichtenberg wird Bürgerkommune«.

Gespräch: Tobias Riegel

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