Die Argonauten, Berija und Georg

Abchasien – Ein kleines kaukasisches Volk greift in die Weltgeschichte ein

  • Klaus Hemmo
  • Lesedauer: 7 Min.

Schon Anfang der 90er Jahre tobte ein Krieg um Abchasien. Die Autonome Republik hatte sich von Georgien losgesagt, zu einem unabhängigen Staat erklärt. Drei Jahre währten die erbitterten Auseinandersetzungen, die mit Georgiens Niederlage endeten. Waffenruhe wurde vereinbart, zu einem Friedensschluss kam es nicht. Um Religion (bei anderen ethnischen Konflikten oft Ursache oder Auslöser) ging es bei der einst bei Russen und Touristen aus osteuropäischen Ländern beliebten Ferienregion am Schwarzen Meer nicht. Misstrauen und Feindseligkeit waren weltlichen Ursprungs.

Ein kommunistisches Florida – mit Tee
Wegen des zum Teil subtropischen Klimas war in den 30er Jahren die Stalinsche Losung ausgegeben worden, Abchasien zu einem »kommunistischen Florida« zu machen. Das klappte zwar nicht ganz, aber der südliche Teil des kleinen »Sonnenstaates« (2200 Sonnenstunden im Jahr) lieferte fortan nicht nur die Grünpflanzen für die Schreibtische sowjetischer Bürokraten, sondern auch die bald in der ganzen Sowjetunion begehrten Mandarinen, eine aus ihnen hergestellte Konfitüre und andere wohlschmeckende Früchte sowie einen Teil des Tees, der unter dem Label grusinischer (georgischer) weltmarktfähig wurde. Den Georgiern, deren Geschäftstüchtigkeit zu Sowjetzeiten gerühmt bzw. beklagt wurde, gelang es, die Abchasen weitgehend aus dem blühenden Wirtschaftszweig zu verdrängen. Bald dominierten sie auch die schnell wachsende Touristikbranche, deren Einnahmen – wie die der staatlichen Sanatorien und Kurorte – nur zu einem geringen Teil in Abchasien blieben. Den Löwenanteil kassierte die georgische Regierung in Tbilissi. Das nährte Zwietracht zwischen den Völkern.

Eine zweite, gewichtigere Ursache ergab sich aus der lokalen Variante der stalinistischen Innenpolitik, georgischem Chauvinismus und Machtkämpfen innerhalb der KP. Doch dies stand am Ende einer Entwicklung, in der das abchasische Volk zwischen den Machtansprüchen Georgiens, Russlands und des Osmanischen Reiches schon fast zerrieben worden war.

Abchasien gehörte einst zum klassischen Kolchis, dem Teil der Schwarzmeerküste, in dem – der griechischen Sage nach – die Argonauten das »Goldene Vlies« suchten. Bis 978 war es ein selbstständiges Königreich; die georgische Geschichtsschreibung freilich spricht von einem »westgeorgischen Staat« – obwohl es erst von Bagrat III., der sich ab 1008 »König der Könige« nannte, Georgien einverleibt worden war. So ist es nicht verwunderlich, dass die Georgier bis heute die Abchasen »Westgeorgier« nennen (ähnlich wie die Türken die Kurden »Bergtürken«), obwohl sie nicht mit ihnen, sondern mit den Tscherkessen verwandt sind und eine andere Sprache sprechen. Deshalb kam es auch immer wieder zu Spannungen zwischen beiden Völkern, die jedoch zu keinen bewaffneten Auseinandersetzungen führten.

Zu einem Aufstand der Abchasen kam es erst im 19. Jahrhundert, als ihre Heimat wie das bisher von den Osmanen und Persern bedrängte Georgien in den Machtbereich der russischen Zaren geriet. Nachdem Abchasien – zunächst nur Protektorat – 1864 von Russland annektiert worden war, erhoben sich 1866 die »Apsua« (so nennen sich die Abchasen selbst) gegen die Fremdherrschaft. Die Revolte wurde niedergeschlagen.

Der einstige Pate wurde zum Rivalen
Nach der Oktoberrevolution übernahmen in Suchumi, der abchasischen Hauptstadt, zunächst die Menschewiki die Macht. 1921 wurden sie von den Bolschewiki gestürzt. Die von jenen ausgerufene Abchasische Sowjetrepublik wurde noch im selben Jahr von georgischen Kommunisten in ihre Republik eingegliedert, mit der Begründung, Abchasien habe über 9000 Jahre – mit nur 250-jähriger Unterbrechung zur Zeit der Osmanenherrschaft – zu Georgien gehört. Der Anschluss löste in Abchasien keine Begeisterung aus, aber zunächst auch keinen Widerstand.

Anfang der 20er Jahre nahm der Georgier Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, der damals noch um die Nachfolge Lenins stritt, den Führer der Kommunisten Abchasiens, Nestor Lakoba, in den Kreis seiner Günstlinge auf. Lawrenti Berija, der spätere »Henker Stalins«, hatte seinen Aufstieg in den Parteiapparat Transkaukasiens Lakoba zu verdanken. Karrierebesessen wurde er jedoch nun neidisch auf seinen »Paten«. Immer wieder versuchte er den populären Lakoba, der für die Eigenständigkeit Abchasiens eintrat, bei Stalin anzuschwärzen. Von Geburt her selbst ein Abchase, stellte Berrija seine Karriere über seine nationale Identität und betrieb – mittlerweile Erster Sekretär des ZK in Tbilissi und wie Lakoba Mitglied des Moskauer ZK – die Georgisierung Abchasiens. Er glaubte damit den Intentionen des Georgiers Stalin zu entsprechen. Er ließ abchasische Parteifunktionäre ablösen und durch Georgier ersetzen und inszenierte gar, um die Unfähigkeit des abchasischen Ministerpräsidenten Lakoba zu »entlarven«, zwei Anschläge auf Stalin. Schließlich griff er zum Äußersten und schmiedete ein Mordkomplott gegen seinen Rivalen. Lakoba starb 43-jährig in der Nacht zum 29. Dezember 1936 an einem »Herzanfall«, wie es in der offiziellen Mitteilung hieß. Wenige Wochen später verbannte Berija alle Fotos von Lakoba aus dem öffentlichen Raum und ließ das Gerücht verbreiten, er sei ein »Volksfeind« gewesen.

Danach arbeitete Berija weiter an der Georgisierung Abchasiens, ließ u. a. die abchasische Sprache verbieten, für die 1928 erst auf Initiative abchasischer Kommunisten ein lateinisches Alphabet eingeführt worden war. Hunderte von Abchasen landeten in den Straflagern Sibiriens und des Hohen Nordens. Erst nach Stalins Tod und Berijas Hinrichtung 1953 durfte wieder Abchasisch gesprochen und gelehrt werden. Der Schulunterricht in der Landessprache wurde jedoch nur zögerlich aufgenommen. Auch blieben die meisten von Berija inthronisierten georgischen Funktionäre auf ihren Posten. Sie sorgten dafür, dass die abchasische Sprache ein georgisches Alphabet bekam.

Seit 1978 protestierten abchasische Intellektuelle immer wieder gegen die georgische Bevormundung. Die Regierung in Tbilissi, wo inzwischen Eduard Schewardnadse, der bisherige KGB-Chef, als erster KP-Sekretär residierte, sah sich gezwungen, Abchasisch als dritte Staatssprache – neben Georgisch und Russisch – zuzulassen und den Abchasen in Suchumi eine eigene Hochschule zuzubilligen. Die Spannungen blieben. Anfang 1989 wurde der abchasische KP-Chef Adlejba gezwungen zurüchkzutreten, weil er eine Petition gegen die Georgisierung unterstützt hatte, die von 23 000 der damals noch im Lande lebenden 80 000 Abchasen unterzeichnet worden war. Am 15. Juli desselben Jahres kam es zu schweren Ausschreitungen gegen Georgier, als die Universität Tbilissi in Suchumi Aufnahmeprüfungen durchführte. Die Unruhen forderten 18 Todesopfer. Abchasiens Ministerpräsident Sugbaja wurde abgelöst. Sein Amt übernahm ein Georgier. Aus Zwietracht wurde Hass.

Ein Jahr später, am 25. August 1990 – der Zerfallsprozess der UdSSR hatte begonnen –, erklärte das abchasische Parlament die Autonome Republik zur »Sozialistischen Sowjetrepublik«. Realistischer hieß es in der Erklärung, die von der KP-Mehrheit durchgesetzt worden war: Nicht das abchasische Volk, sondern das »multinationale Volk Abchasiens« sollte Träger der nationalen Souveränität sein. Da die abchasischen Kommunisten im Gegensatz zu den georgischen für ein Weiterbestehen der UdSSR eintraten, verkündeten sie außerdem die Absicht, auch einen »Unionsvertrag« abschließen zu wollen.

Der getaufte KGB-Chef
Tbilissi verhängte den Ausnahmezustand über Abchasien. Suchumi bat Moskau und die kaukasischen Nachbarvölker um Hilfe. Der Kreml war noch damit beschäftigt, einen Putsch abzuwehren, die nordkaukasischen Nachbarn aber versprachen Unterstützung – nicht nur aus »Liebe« zu ihren abchasischen Brüdern. In Tbilissi war Swiad Gamsachurdia, ein großgeorgischer Chauvinist reinsten Wassers, zunächst zum Parlamentsvorsitzenden und dann zum Präsidenten des nun nicht mehr sowjetischen Georgien gewählt worden. Er sprach nicht nur den Abchasen, sondern auch den Südosseten, für deren Siedlungsgebiet Tbilissi kurz zuvor den Autonomiestatus aufgehoben hatte, jedes Recht auf eigene nationale Identität ab. Für 16 kleine Kaukasusvölker war das der Anlass, einen schon länger geplanten Schritt zu wagen:

Im November 1991 gründeten sie die »Konföderation kaukasischer Bergvölker«, keine staatliche, sondern eine politische Organisation. Sie mobilisierte Freiwillige für die Verteidigung der abchasischen Unabhängigkeit. In Tbilissi kam es währenddessen zu Streitereien um die Macht, die in bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen eskalierten. Gamsachurdia wurde gestürzt. Sein Amt übernahm der einstige Außenminister der zerfallenen UdSSR, Schewardnadse, den man in Tbilissi als einstigen KGB-Chef nicht in bester Erinnerung hatte. Doch er galt mittlerweile als international angesehener Politiker. Und das gab wohl den Ausschlag. Für sein neues Amt ließ sich der ehemalige Kommunist taufen – auf den Vornamen Georg. Doch dies rettete weder ihn noch Georgien, konnte letztlich die Niederlage im Krieg um das von Russland unterstützte Abchasien nicht abwenden.

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