Genesung auf Händedruck

Osteopathen bringen den Körper mit manuellen Techniken in Balance

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Osteopathie will eine nahezu unüberwindliche Kluft überbrücken und die wissenschaftliche Schulmedizin mit dem ganzheitlichen Ansatz der Naturheilkunde vereinen. Das Verfahren basiert auf der Annahme, dass viele Beschwerden aus Problemen des Bewegungsapparates resultieren.

Die Schulmedizin ist für Martina Schulz* nicht unbedingt erste Wahl: »Viele Ärzte nehmen einen nicht ernst, wenn sie keine messbaren Beschwerden finden. Oder sie bekämpfen nur die Symptome.« Daher zögerte die Anwältin aus dem Taunus, als sie von Schmerzen im unteren Rücken geplagt wurde. »Ich konnte mich nicht mehr beugen und habe mir die Socken wie eine alte Frau angezogen«, erzählt die 44-Jährige. Als sie dann nach einigen Monaten Hilfe suchte, vertraute sie nicht auf die Orthopädie, sondern auf die Osteopathie.

Was klingt wie eine Knochenkrankheit, ist ein Diagnose- und Heilverfahren, dass vor über 130 Jahren in den USA entstand – eingeleitet durch eine persönliche Tragödie: In den 1860er Jahren musste der Arzt Andrew Taylor Still hilflos mitansehen, wie Krankheiten zunächst seine erste Frau und dann vier Kinder dahinrafften. Enttäuscht wandte er sich von der Schulmedizin ab und gelangte über Studien an Leichen zu dem Schluss, dass hinter vielen Erkrankungen anatomische Störungen stecken. 1874 begründete Still die Osteopathie, die in den USA schnell populär wurde.

In Deutschland fasste das Verfahren dagegen nur mühsam Fuß. Zulauf fand die Methode, die nur von Ärzten und Heilpraktikern oder unter deren Aufsicht ausgeübt werden darf, erst ab Ende der 1980er Jahre. Inzwischen praktizieren bundesweit schätzungsweise 4000 Osteopathen – und treffen offenbar bei vielen Menschen einen Nerv. »Das Interesse ist stark gestiegen«, sagt Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland (VOD). Martina Schulz gab ihrer Osteopathin noch vor dem ersten Treffen per Fragebogen Auskunft zu Vorerkrankungen, früheren Verletzungen oder der Einnahme von Medikamenten. Beim Ersttermin wurde sie dann eine Stunde lang eingehend im Stehen, Liegen und Sitzen untersucht. Die Osteopathie geht davon aus, dass Einschränkungen in der Beweglichkeit, die sich manuell ertasten lassen, wie etwa eine Wirbelblockade, andere Körperregionen und Organe beeinträchtigen können. »Bei der Untersuchung kristallisiert sich für jeden Patienten ein roter Faden heraus«, erläutert Fuhrmann. »Dann gilt es, den Körper wieder in Balance zu bringen.« Mit manuellen Techniken versuchen Osteopathen, Blockaden zu lösen. Danach, so eine Grundannahme, heile sich der Körper selbst.

Bei Martina Schulz verschwanden die Beschwerden beim ersten Termin. »Die Osteopathin hat das per Händedruck reguliert«, erzählt sie. »Der Erfolg war sofort da.« Worauf die schnelle Heilung beruhte, weiß die Patientin nicht. »Das ist mir auch egal«, sagt sie. »Hauptsache, es hilft.« Sinnvoll sein könne das Verfahren etwa bei Migräne, Magen- und Verdauungsproblemen, bei Tinnitus oder nach Sportverletzungen, sagt Fuhrmann. Keinen Sinn mache es zur Therapie von Krebs, bei akuten Infektionen oder bei Autoimmunerkrankungen. »Der Osteopath muss seine Grenzen kennen«, betont sie. »Sehe ich nach drei Behandlungen keinen Effekt, muss ich mich kritisch hinterfragen.« Dies dürfte im Interesse vieler Patienten liegen, schließlich zählt Osteopathie nicht als Kassenleistung.

Zwar betont Fuhrmann, dass viele Osteopathen eng mit Schulmedizinern zusammenarbeiten. Aber die meisten Ärzte bewerten das Verfahren sehr skeptisch. »Die Wirksamkeit ist überhaupt nicht belegt«, sagt Josef Beuth, Leiter des Instituts zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren der Universität Köln. Es gebe keine guten Studien.

Dass Knochen oder Muskeln andere Körperregionen beeinflussen können, hält der Mediziner zwar für möglich. So könne eine verspannte Kiefermuskulatur Tinnitus verursachen oder ein eingeklemmter Rückennerv ins Bein ausstrahlen. Für eine grundlegendere Beeinflussung von Organen durch den Bewegungsapparat fehle aber der Nachweis.

Beuth versteht jedoch das Unbehagen, das viele Patienten aus den Arztpraxen hin zu Alternativtherapien treibt. »Es ist ein grundlegendes Problem, dass die Medizin keine Zeit mehr dafür hat, auf den Patienten einzugehen«, betont er. »Dadurch verkommt sie zu einer reinen Minutenmedizin. Da haben Heilpraktiker oder Osteopathen einen Vorteil.« Deshalb rät der Experte auch nicht grundsätzlich von dem Verfahren ab: »Als komplementäre Maßnahme neben der etablierten Medizin kann das für manche Menschen sinnvoll ein.«

*Name von der Redaktion geändert

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