Professor rettete Kosmonautin das Leben

Valentina Tereschkowa feiert ihren 65. Geburtstag/Inzwischen gibt es 37 Raumfahrerinnen

  • Horst Hoffmann
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Heute feiert Valentina Tereschkowa, die erste Frau im All ihren 65. Geburtstag. Am 12. März ist es 40 Jahre her, dass in Moskau die erste Gruppe von fünf Kosmoskandidatinnen ausgewählt wurde.

Wir sind doch keine Militärkapelle, die auf Befehl Parademärsche spielt«, schimpfte Sergej Koroljow, der legendäre »Vater des Sputnik«, wenn der Kreml ihn zwang, Weltraumstarts auf bestimmte Termine zu legen. So geschehen 1957, als Chruschtschow forderte, zu Ehren des 40. Jahrestages der Oktoberrevolution einen zweiten Satelliten mit einem Lebewesen - der Hündin Laika - an Bord in die Erdumlaufbahn zu schießen. Oder 1963, als die erste weibliche Kosmonautin - Valentina Tereschkowa in »Wostok 6« - kurz vor der internationalen Frauenkonferenz in Moskau starten sollte. Koroljow, der sieben Jahre im GULAG zugebracht hatte, beugte sich.
Beim Unternehmen »Tschaika« (Möwe) - so der Codename von Valentina Tereschkowa - stimmten die Interessen der beiden Männer überein. Für Koroljow, weil es technisch kein Problem war, eine Frau in das Raumschiff zu setzen und weil er Antworten auf wissenschaftliche Fragen erwartete. Für Chruschtschow, weil eine solche Mission politisches Prestige versprach. Fünf Frauen, die alle Fallschirmspringerinnen waren, bestanden die Tests: die Englischlehrerin Shanna Jerkina (23), die Ingenieurstudentin und Weltrekordlerin im Fallschirmsport Tatjana Kusnezowa (20), die Luftfahrtingenieurin Valentina Ponomarjowa (28), die als einzige eine Pilotenlizenz und Flugerfahrungen besaß, die Maschinenbauingenieurin Irina Solowjowa (24) und die Textiltechnologin Valentina Tereschkowa (25).
Ihre Grundausbildung im Sternenstädtchen dauerte nur acht Monate, in denen ihnen jedoch nichts geschenkt wurde. Zunächst war ein Doppelflug zweier Frauen nach dem Vorbild der männlichen Kollegen Andrijan Nikolajew mit »Wostok 3« und Pawel Popowitsch mit »Wostok 4« im Gespräch. Doch dann fiel die Entscheidung für den Alleinflug einer Frau - Walentina Tereschkowa in »Wostok 6« - verbunden mit dem Rendezvous mit einem Mann - Waleri Bykowski in »Wostok 5«.
Die »Walja von der Wolga« war von Anfang an die Favoritin Chruschtschows, weil sie ihm am geeignetsten erschien, die Sowjetunion in der Weltöffentlichkeit zu vertreten. Die junge Frau hatte ein entbehrungsreiches Leben hinter sich. Ihr Vater, ein ausgezeichneter Traktorist, war in den ersten Tagen des Krieges an der Front gefallen; die Mutter musste sich mit ihren drei kleinen Kindern als Fabrikarbeiterin durchschlagen. Valentina konnte wegen der Nachkriegsnot erst ab dem zehnten Lebensjahr die Schule besuchen und qualifizierte sich von der ungelernten Arbeiterin zur Technologin.
Dennoch wäre es falsch, den Flug von Valentina Tereschkowa als reine Propagandaschau zu betrachten. Vielmehr beantwortete die Mission eine Reihe biomedizinischer Grundfragen. In einer Mitteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR heißt es dazu: »Das Unternehmen hat bewiesen, dass der Organismus der Frau hinsichtlich seiner Konstitution in keiner Weise dem des Mannes unterlegen ist. Ihre besonderen physiologischen Merkmale beschränken nicht ihre Fähigkeit, in den Weltraum zu fliegen. Der dreitägige Flug brachte keine Schädigung für die Hauptfunktionen des weiblichen Organismus mit sich, die mit dem Kindergebären zusammenhängen.« Das bewies nicht zuletzt die Geburt der kerngesunden Tochter von Valentina Tereschkowa und Andrijan Nikolajew am 8. Juni 1964. Jelena war das erste Kind, dessen Eltern vor seiner Zeugung im Weltraum weilten.
Doch zunächst blieben noch viele Fragen offen.Dennoch vergingen zwei Jahrzehnte, bis mit Swetlana Sawizkaja die erste Frau im freien kosmischen Raum arbeitete. Und erst mehr als drei Jahrzehnte später bewies Jelena Kondakowa mit ihren halbjährigen Raumflug, dass es keine spezifische biomedizinische Barriere für den Organismus der Frau gibt.
Die Öffnung der Geheimarchive und die Veröffentlichung der Erinnerungen von Zeitzeugen machten manche bisher unbekannten Einzelheiten bekannt. So berichtete Professor Boris Rauschenbach, einer der Stellvertreter Koroljows, dass es ihm nur mit großen Anstrengungen gelungen sei, bestimmte Tests der Raumschiffe vor dem Start durchzusetzen. Bei einer dieser Überprüfungen fand man einen verhängnisvollen Fehler im Lageregulierungssystem von »Wostok 6«. Die Sensoren reagierten genau verkehrt herum. Wäre das übersehen worden, so hätte das während des Fluges bei einer Beschleunigung oder Abbremsung tödliche Folgen gehabt. So rettete der Professor mit seiner »akademischen Arroganz«, die ihm einige vorwarfen, Valentina Tereschkowas Leben.
Pläne, mit »Woschod 4« eine dreiköpfige Frauencrew auf die Raumreise zu schicken und eine von ihnen aussteigen zu lassen, wurden nie verwirklicht. Von der 1969 aufgelösten Frauengruppe blieb nur die »Möwe« im Kosmonautenkorps.
Wenn bis heute von den 37 Raumfahrerinnen aus sechs Ländern nur drei Russinnen sind, so unterstreicht das die einst auf Propagandaeffekte und jetzt auf Geldgewinn orientierte Einsatzplanung durch Politiker und Militärs, in deren Führungsgremien es Frauen weder gab noch gibt.
Von unserem Autor erscheint im März das Buch: »Frauen im All - Visionen und Missionen der Raumfahrt«. 512 Seiten, 176 Abbildungen, Broschur. 18,90 EUR; Schwarzkopf &...

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