Damit die Molle schön schäumt

Georg Grauert erfand den Zapfhahn mit automatischer Luftzuführung

  • Maria Curter
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Gründerzeit, in der die preußische Wirtschaft einen ungeheuren Aufschwung nahm und viele Unternehmen zu Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, war vorbei (1871–1873). Ihr folgte der so genannte »Gründerkrach«, ausgelöst durch eine internationale Börsenkrise im Mai 1873. Man schrieb das Jahr 1876. Berlin war seit fünf Jahren kaiserliche Metropole und zählte mittlerweile eine knappe Million Einwohner. 47 Brauereien hatten 1,73 Millionen Hektoliter Weiß-, Braun-, Bitter- und bayrische Biere produziert, aber »die Production zeigt zum ersten Male seit langer Zeit einen thatsächlichen Rückgang, sowohl in den Lagerbieren als im obergährigen«, stellt das statistische Jahrbuch für 1876 fest.

Die Krise schien also auch dieses Gewerbe nicht zu verschonen. Zwischen 1872 und 1875 stieg die Produktion kontinuierlich von 1,42 auf 1,88 Millionen Hektoliter. Und das »Berliner Städtische Jahrbuch« für 1872 merkt an: »Die große Vermehrung des Consums erklärt sich hauptsächlich durch den gestiegenen Wohlstand und Genuß der arbeitenden Klassen«, aber »die Qualität der Erzeugnisse gab zu vielen Klagen Anlaß, wie der aufgekommene Name: Dividendenjauche für Bier bezeugt.« Obwohl in Bayern etwa ein Drittel mehr Bier pro Kopf (287 Liter) als in Berlin (191 Liter) getrunken wurde, erfand der Kaufmann Georg Grauert in Berlin einen neuen »Abziehhahn mit automatischer Luftzuführung« und erhielt dafür am 18. Februar 1876 ein Patent.

Seine Erfindung bestand in folgendem: Durch den Abziehhahn am Fass wurde ein Schlauch, der mit einem Ventil versehen und mit dem Hahn verbunden war, in das Fass geführt. Beim Öffnen des Bierhahnes öffnete sich das Ventil am Schlauch, und mit dem Ausfließen des Gerstensaftes strömte gleichzeitig Luft in das Fass, wodurch darin ein Druck entstand. Beim Schließen des Hahnes verschloss sich das Ventil wieder.

Diese so genannte Bierdruckpumpe war in Bayern noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts verboten. Georg Grauert, am 3. Mai 1845 in Neuruppin geboren, war bis 1875 Repräsentant der Firma »Adolf Toepfer, Einrichtungen für Haus, Küche und Hotels, Fabrik von geruchlosen Closets, Eisschränken und hauswirtschaftlichen Maschinen« in der Leipziger Straße 60 (Mitte). Im darauf folgenden Jahr gründete er in der Leipziger Straße 66/67 sein eigenes Unternehmen – die »Gewerbe-Halle Georg Grauert, Fabrik hauswirtschaftlicher Maschinen und Gegenstände für den häuslichen Komfort«.

Er warb für Hilfsmaschinen für die Rüschenfertigung und die Konfektion, für Haus- und Küchengeräte, eiserne Öfen sowie transportable Kochherde. Zwischen 1885 und 1887 hatte die Gewerbe-Halle ihren Sitz in der Mohrenstraße 33 (Mitte). Ab 1888 firmierte er als »Georg Grauert, Fabrik hauswirtschaftlicher Maschinen« in der Alexanderstraße 28 (Mitte). Ein Jahr später zog der Kaufmann und Fabrikbesitzer in die unmittelbare Nähe der 1887 gegründeten Schaarschuhschen Brauerei (ab 1917 Engelhardt-Brauerei) nach Stralau (Friedrichshain-Kreuzberg) an die heutige Ecke Kynaststraße/Alt-Stralau 67 in einen Fabrikneubau. Er selbst bewohnte die auf dem Grundstück errichtete Villa, die 1998 abgerissen wurde. Ab 1896 bis zu seinem Tod gehörte er der Stralauer Gemeindevertretung an.

Am 14. April 1897 starb er und wurde vier Tage später, am 18. April, auf dem Evangelischen Dorfkirchhof Alt-Stralau beerdigt. Die Firma übernahm sein Teilhaber und ehemaliger Buchhalter Albert Bahrfeldt. Ob Grauerts Erfindung schuld daran war, dass es am Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin an fast jeder Ecke die mittlerweile berühmten Kneipen gab, ist nicht verbürgt. Sein Prinzip des Bierzapfens ist bis heute üblich. An Stelle der Luft verwendet man Kohlendioxid. Die Qualitätskontrolle des Bieres erfolgte in vergangenen Jahrhunderten durch »Bierkieser«. Dafür wurde eine Holzbank mit dem frisch Gebrauten begossen. Der Bierkieser setzte sich darauf und aß und trank drei Stunden lang. Wenn er sich dann erhob und an der Bank kleben blieb, war das Bier gut.

Sowohl Ägypter, Griechen als auch die alten Sachsen und Dänen liebten das Bier ungemein und rechneten den Bierrausch zu den vorzüglichsten Freuden. Doch das »Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände« von 1864 warnte: »übermäßiger Genuß erzeugt eine aufgeschwemmte Körperbeschaffenheit und nicht selten eine eigenthümliche geistige Indolenz« (Trägheit).

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