Die Sprache zu können ist nicht alles
Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde widmet Mitarbeitern eine Ausstellung
Freundlich blickt Henryka May auf der Fotografie dem Betrachter entgegen. Vor ihr liegt eine Erstausstattung: Bettzeug, Hand- und Geschirrtücher, Wasserkessel, Teller, Tasse, Kanne für Tee oder Kaffee, ein Stück Seife und ein Kleiderbügel. Das Bild hängt in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde und gehört zu der kleinen Ausstellung »Fotografische Spurensicherung«, die den Mitarbeitern der 1953 eröffneten Einrichtung für DDR-Flüchtlinge und Aussiedler gewidmet ist. Die gebürtige Polin Henryka May fand hier 1987 mit ihrer Tochter Monika eine erste Bleibe. Zwei Jahre später begann sie als Reinigungskraft, heute ist sie Leiterin des Magazins.
»Ende dieses Jahres muss das Aufnahmelager aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden«, erklärte gestern Norbert Kussin. Er leitet die Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler (ZAB), so der offizielle Name. Heute leben hier noch 67 Spätaussiedler, die meisten kommen aus Russland, Usbekistan, Kasachstan und Turkestan. »Das Aufnahmelager wird geschlossen, die Erinnerungsstätte bleibt aber bestehen«, betonte Bettina Effner, Leiterin der Erinnerungsstätte.
Neben den für den Alltag notwendigen Dingen zeugen ein Schachspiel und ein Satz Spielkarten davon, womit sich die Heimbewohner in ihrer Freizeit beschäftigten. An die Kinder erinnern Brettspiele, ein Plüschhase oder eine deutsch-russische Kinderbibel. In lateinischer und kyrillischer Schrift wird informiert: »Ab sofort steht Ihnen die neue Basketballanlage zur Verfügung«. Dazu dokumentieren 20 großformatige Aufnahmen der Berliner Fotografin Meike Gronau das Leben von Bewohnern und Mitarbeitern.
Dazu gehörte auch Diakon und Sozialarbeiter Andreas Techel. Er beruhigte manchen Aussiedler, der sich mit der neuen Sprache schwer tat: »Die deutsche Sprache zu können ist nicht alles.«
Ausstellung »Fotografische Spurensicherung«, Di.-So. geöffnet von 10 bis 18 Uhr, ZAB, Marienfelder Allee 66 – 80, Eintritt frei
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