Hoffnung aufs Paradies

SCHWARZBUCH DES DSCHIHAD

  • Julius Waldschmidt
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 29. August 1966 starb der Ägypter Saiyid Qutb am Galgen, verurteilt wegen Verschwörung im Staate Nassers. In den Augen seiner Gefährten ein Märtyrer, nach dem Urteil von Gilles Kepel ein »Vordenker des modernen Islamismus«. Das Buch des Franzosen, düster als »Schwarzbuch« getitelt, ist dem »Aufstieg und Niedergang« des Islams gewidmet. Man liest darin, dass Saiyid Qutb Weisungen des Propheten für sich als »gnadenlosen Dschihad gegen die Gottlosen und Heuchler« übersetzte. Im Glossar wird »Dschihad« als Bemühen interpretiert, den Islam »in sich selbst, in der Gesellschaft oder in der Welt mit allen Mitteln zu verbreiten«.
Auch ohne Tiefenpsychologie ist vorstellbar, wie solche Appelle unter Menschen wirken können, die ökonomisch unfrei und sozial diskriminiert leben. Was sagt jenen die Beschwörung von »Menschenwürde, Freiheit, Toleranz« aus dem Munde eines deutschen Kanzlers? Wenn sie kaum täglich warm essen können, erst kilometerweit laufen müssen zur nächsten Wasserstelle, ihre Kinder nicht zur Schule schicken können? Muss ihnen nicht die Hoffnung auf die Gärten des Paradieses als Entgelt erscheinen für irdisches Leid? Nur mühsam dringt zu gedemütigten, enttäuschten Menschen die Erkenntnis, dass man mit Kalaschnikows und Molotow-Cocktails keinen Quadratkilometer lebenswertes Leben zu erobern vermag.
Kepels Buch, in intensiver Arbeit entstanden, beleuchtet akribisch die regionalspezifischen Erscheinungsformen in der arabischen Welt, in der Türkei, in Iran, Pakistan, Malaysia, auf dem Balkan und vor allem in und um Afghanistan. Die arabesk anmutende Vielfalt der Details mag verwirren. Überschaubare Textstruktur sowie Anmerkungen und Namensregister (80 Seiten!), bieten Orientierung.
Der arabische Nationalismus, dessen glänzender Wortführer Nasser Opfer des Schwarzen Septembers im Jahre 1970 wurde, hatte wohl ausgedient, als Irans Islamische Revolution siegte, als im Dezember 1979 die Sowjetarmee in Afghanistan einrückte und die Große Moschee von Mekka Zielort immer bedrohlicherer Pilger-Demonstrationen gegen die »Hüter der Heiligen Stätte«, die saudischen Erdöl-Herrscher, wurde. Kepel datiert die Spaltung der islamistischen Bewegung auf den 3. Mai 1993, als in Saudi-Arabien ein »Komitee zur Verteidigung legitimer Rechte« (gemäß der Scharia) auftrat, dessen prominente Anhänger sofort verfolgt wurden und dennoch Aktivitäten gegen das Regime auslösten.
Die Entwicklung der Dinge dürfte erklären, warum man - selbst aus begüterten Kreisen - »Freiwillige« nach Afghanistan schickte und dort Koran-Schulen errichten ließ, ja, einen jordanisch-palästinensischen Dschihad-Prediger wie Abdullah Azzam unterstützte. »Den saudischen Machthabern, mit denen Bin Laden und Azzam vertraut waren, kam der Dschihad in Afghanistan als Beschäftigungsmaßnahme für potenzielle Unruhestifter sehr gelegen«, so Kepel. Sein Buch verdient Aufmerksamkeit, mag man auch mancher Wertung widersprechen wollen. Dem Fazit ist zuzustimmen, dass sich jetzt entscheidet, »ob die Fahne des Dschihad wieder wehen wird oder ob die Völker einen eigenen Weg zur Demokratie finden«.


Gilles Kepel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Piper Verlag, München/Zürich. 532S., geb., 29,90 EUR
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