IM »Billard« nicht versenkt

Peter Wittstock bleibt trotz MfS-Akte Bürgermeister in Milower Land / Die Bürger wollen ihn

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Unerhörtes geschah in der havelländischen Gemeinde Milower Land. Der Bürgermeister Peter Wittstock (parteilos) wird als IM »Billard« enttarnt. Seine Berichte für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tauchen auf. Ein Abwahlverfahren kommt in Gang, doch es scheitert. Die Bürger entscheiden am vergangenen Sonntag mehrheitlich, dass Wittstock im Amt bleiben soll: Fast 1100 sind dafür und nur knapp 900 dagegen.

Damit bestätigt Wittstock im Grunde sein Ergebnis vom November 2003. Damals hatte er in der Stichwahl um das Bürgermeisterposten 1259 Stimmen erhalten. Sein Konkurrent Günter Geib (CDU) bekam 848 Stimmen. Eine der versuchten Abwahl vorausgegangene Kampagne blieb also praktisch nahezu wirkungslos.

Das schlägt ein. Selbst das ZDF interessiert sich. Ein Kamerateam fuhr hin, befragte Leute auf der Straße und drehte mit dem Bürgermeister. Der Beitrag soll am Wochenende gesendet werden. »Das ist eine schwere Hypothek für das Ansehen der Gemeinde«, schimpft CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski, der dort wohnt und in der Gemeindevertretung sitzt. Milower Land könne jetzt getrost als Stasi-geführte Gemeinde bezeichnet werden. Allerdings räumt Dombrowski ein, das Hauptproblem sei ohnehin nicht die Vergangenheit des Bürgermeisters, sondern seine Leistung im Amt. Wittstock habe sich mit allen Mitarbeitern überworfen und seine Arbeit nicht gemacht. Das Verhältnis zu den Gemeindevertretern sei zerrüttet.

Peter Wittstock erzählt indes, wie ihm von Anbeginn Steine in den Weg gelegt wurden. Außerdem sagt er zu dem Abwahlverfahren: »Es ist zu vermuten, dass es einen Zusammenhang mit der verlorenen Kommunalwahl gibt.« Denn bei der Kommunalwahl im September 2008 büßten CDU und FDP ihre vormalige Mehrheit in Milower Land ein. Seitdem herrscht ein Patt zwischen ihnen auf der einen Seite sowie SPD und Wählergemeinschaft WGM auf der anderen. Zünglein an der Waage ist nun der Bürgermeister. Weil Wittstock bis zur Wende SED-Bürgermeister von Milow war, musste zumindest der Verdacht naheliegen, dass sich bei der Stasi-Unterlagenbehörde etwas über ihn finden lassen könnte.

Wittstock arbeitete bis 1980 als Schmied bei einem Zweigbetrieb von Carl Zeiss. Sein Lohn betrug 700 Mark monatlich, doch mit Arbeit nebenbei kam er auf 1000 Mark. Dann wechselte er in die Premnitzer Stadtverwaltung. Der Job als Stadtinspektor brachte ihm aber bloß 800 Mark ein. Wie Wittstock erzählt, bot man ihm einen Ausgleich an: 200 Mark monatlich für Berichte über die politische Stimmung. »Du wärst blöd, wenn du das nicht machst«, soll man ihm geraten haben, denn als Zuständiger für die Zivilverteidigung wäre er sowieso verpflichtet, mit Polizei und MfS zu kooperieren.

13 Monate ging das in Premnitz, dann wurde Wittstock das erste Mal Bürgermeister in Milow und er sollte schließlich auch Personeneinschätzungen verfassen. »Dorfklatsch« gab er weiter: wer Westfernsehen schaut etwa oder »intime Sachen« über eine Frau mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr. Diese Informationen hätten den Leuten schaden können, gesteht Wittstock. Einmal seien ihm moralische Zweifel gekommen, doch da sei es zum Aussteigen zu spät gewesen. »Ich war 29 Jahre alt, ich habe unterschrieben. Das war mein Fehler.«

Der Bürgermeister findet, dass heute nur belastendes Material aus seiner Akte gezogen wird. Dabei habe er zum Beispiel gefragt, warum man Leute zur Wahl nötige, ob 93 Prozent nicht ausreichen. Er habe die schwierige Versorgungslage gerügt, auf fehlende Südfrüchte hingewiesen.

Nach der Wende machte sich Wittstock selbstständig, bis ihn Leute ansprachen, ob er nicht wieder Bürgermeister sein wolle. Er habe das doch früher gut gemacht. Als »rote Socke« habe er da ohnehin gegolten. Möglicherweise kandidiert Peter Wittstock erneut, wenn seine Amtsperiode im November 2011 endet. Das hat der 57-Jährige noch nicht entschieden. Es hänge auch von der Gesundheit ab. Er wünscht sich, dass die Medien nicht nur über das Stasi-Thema berichten, sondern vielleicht darüber, was Milower Land für Jugend und Tourismus tut.

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