Als Jiang Zemin von »Falun Gong« erfuhr
Vor zehn Jahren sah sich Chinas Regierung plötzlich von Zehntausenden belagert
Zu jener Zeit vor zehn Jahren zählte die Bewegung in China bereits über 70 Millionen Anhänger. Und Zehntausende von ihnen hatten sich in der Nähe des Regierungssitzes inmitten von Peking zur Meditation versammelt. Sie verstanden sich als Schule der Qigong-Bewegung, einer traditionellen chinesischen Atem- und Meditationstechnik, und wollten nach eigenen Aussagen auf den gesundheitsfördernden Charakter ihrer Übungen aufmerksam machen.
Wenige Tage zuvor erst hatte ein Professor in Tianjin öffentlich auf körperliche und mentale Gefahren der »Falun Gong« aufmerksam gemacht und ihre spirituellen und politischen Ambitionen zur Sprache gebracht. Die Anhängerschaft der »Falun Gong« fühlte sich angegriffen und ging zum Protest an die Öffentlichkeit, zunächst in den Provinzen. Doch als sich deren Führungen nicht imstande sahen, angemessen zu reagieren, mobilisierte die Bewegung binnen Stunden den Aufmarsch vor den Toren der Zentralregierung.
Erinnerung an 1989 wurde wach
Die Staatsführung reagierte – die Bilder von den Studentendemonstrationen auf dem Tiananmen-Platz 1989 vor Augen – unverzüglich. Sie verbot alle Aktivitäten der »Falun Gong«, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Wenige Monate später, am 22. Juli 1999, wurde auch die Bewegung selbst verboten. Bis heute geht der Staat mit aller Härte gegen die illegale Vereinigung vor.
Als sich vor dem Frühlingsfest 2001 mehrere junge Frauen als »Falun Gong«-Anhängerinnen auf dem Tiananmen-Platz selbst verbrannten, waren große Teile der Bevölkerung schockiert und verunsichert. Der offiziellen Propaganda kam diese Verunsicherung zugute: Heute spielt »Falun Gong« in der chinesischen Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle.
Im Ausland dagegen halten Proteste und Aktionen von Anhängern der Bewegung an – vor allem, wenn chinesische Politiker zu Gast sind. Hier wird auch immer wieder über Verfolgung in China berichtet, so dass sich der tatsächliche Einfluss von »Falun Gong« in der Bevölkerung schwer einschätzen lässt.
Der Gründer setzte sich in die USA ab
Qigong ist als Übung zur Entspannung und Pflege von Körper und Geist in China seit jeher sehr beliebt. Jung und Alt, Intellektuelle und Arbeiter – zum morgendlichen Qigong versammeln sich alle gern und ungestört im Wohngebiet oder im Park, um sich gemeinsam gesund zu halten.
Auch die »Falun Gong«-Schule, die Ende der 80er Jahre von Li Hongzhi, einem Verehrer buddhistischer und daoistischer Schriften, gegründet wurde, befasste sich zunächst mit Atem- und Meditationsübungen. Anfang der 90er Jahre stellte Li seine eigene Lehre vom Gebotsrad »Falun« vor, das kosmische Energien im Körper freisetzen könne. Zügig entwickelte Li seine Lehre weiter, bot Kurse an und baute ein Netz von Schulen und Zentren im Land auf, zum großen Teil mit staatlicher Unterstützung. Die Beliebtheit von Qigong auch unter Politikern – Deng Xiaoping soll ein Freund von Qigong gewesen sein – machte es schwer, neben den Entspannungsübungen Ansätze von wissenschaftlich verbrämten Psychostudien, gar einer Sektenbewegung zu erkennen.
Problematisch für die Mächtigen wurde »Falun Gong« erst, als daraus ein Sammelbecken von Unzufriedenen wurde. Bei den gemeinsamen Übungen ließ sich vortrefflich über Missstände im Alltag herziehen, und jeder trug aus seinem Erfahrungsbereich zur Diskussion bei. Dank hervorragender Strukturen konnte »Falun Gong« Zigtausende mobilisieren, und das alarmierte die Führung letztendlich. Denn Chinas Geschichte ist reich an Beispielen, bei denen Volksbewegungen unter dem Deckmantel harmloser Meditations- und Entspannungsübungen ganze Dynastien und politische Systeme ins Wanken brachten.
Li selbst setzte sich noch vor dem Verbot von »Falun Gong« in die USA ab. Von dort soll auch das meiste Geld für die Aktivitäten der Bewegung in aller Welt kommen.
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