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Halbbruder Paul war ein Nazi

In der Familiengeschiche des Kommunisten Horst Adam spielt das Speziallager Jamlitz eine Rolle

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Horst Adam kann viel erzählen. Er gehört zu den Nachfahren der sogenannten Millionen-Bauern. Sein Großvater war Dorfschmied von Schöneberg und besaß dort Acker. Während der Gründerjahre 1871 bis 1873 explodierten im damaligen Berliner Umland die Grundstückspreise. Bis zu 14 000 Reichsmark kostete nun ein Morgen, vorher gab es nur 100 Mark. Die Bauern, die verkauften, wurden über Nacht Millionäre und verheirateten ihre Töchter mit verarmten Adligen. Auch Horst Adams Großvater wurde reich. Er spendierte jedem seiner acht Kinder ein Haus. Das Haus von Horst Adams Vater stand in Neuruppin. Auf seiner Wanderschaft hatte der Kupferschmied ein Arbeitermädchen kennen gelernt und es geheiratet, als es schwanger wurde. 1893 kam der Sohn Paul zur Welt. Hier beginnt die Geschichte, um die es nun gehen soll und sie endet mit dem Tod von Paul Adam am 28. Februar 1947 im sowjetischen Speziallager in Jamlitz.

Horst Adam möchte diese Geschichte erzählen, weil er im ND über die Grabung nach jüdischen KZ-Opfern in Jamlitz gelesen hat. Die Suche soll noch eine Woche dauern. Bisher konnten die Archäologen die Gebeine von 753 erschossenen Häftlingen nicht finden.

Dass sich in Jamlitz ein Außenlager des KZ Sachsenhausen befand, wusste Horst Adam vorher noch nicht. Er hatte es nur vermutet, dass es da so etwas gegeben haben könnte, weil er von dem sowjetischen Speziallager Jamlitz wusste. Solche Speziallager hatte es schließlich auch in Sachsenhausen und Buchenwald gegeben.

Für seine Nachfahren schreibt Horst Adam gegenwärtig die Geschichte der Familie auf. Dabei beschäftigte er sich auch mit dem Schicksal seines Halbbruders Paul. Als dessen Mutter starb, hatte der Vater im fortgeschrittenen Alter noch einmal geheiratet und aus dieser Ehe 1927 den zweiten Sohn bekommen. Engen Kontakt hatte Horst zu seinem viel älteren Halbbruder nicht. Er sah ihn eigentlich nur bei Familienfeiern und ähnlichen Anlässen, fühlte sich jedoch zu ihm hingezogen. Das Gesellenstück des Halbbruders – eine Wärmflasche aus Kupfer – bewahrt er bis heute auf. Paul hatte ebenfalls den Beruf des Kupferschmieds erlernt. Eigentlich habe der Verwandte einen angenehmen Eindruck auf ihn gemacht, erzählt Horst Adam. Dabei war der Halbbruder ein Raufbold und Schläger und ein »strammer SA-Mann«, der auch in einer Neuruppiner SA-Siedlung wohnte, aber das begriff der Junge damals nicht.

Anders der Vater. Der war 1928 mit seiner Schmiede in den Konkurs geschlittert und hatte sich in einer stillgelegten Brauerei eine kleine Werkstatt eingerichtet. In den Eiskellern der Brauerei quälte die SA 1933 Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Regime-Gegner. Der Vater hörte die Schreie und wusste, dass sein ältester Sohn unter den Schlägern war. »Ich dachte damals schon: wenn das nicht mal ein schlimmes Ende nimmt«, erzählte er dem jüngeren Sohn Horst nach dem Krieg.

Horst stand 1945 als 17-Jähriger im letzten Aufgebot der Wehrmacht. Bei Nienburg bekam er einen Steckschuss in der Lunge und geriet in Gefangenschaft. Heimgekehrt nach Neuruppin fragte er seinen Vater nach dem Halbbruder. »Den Paul haben sie abgeholt«, lautete die Antwort.

Jetzt hat Horst Adam an das Standesamt Lieberose geschrieben und sich nach dem Schicksal seines Halbbruders erkundigt. Als Antwort erhielt er einen Auszug aus dem Totenbuch des Speziallagers und die Kopien einiger Seiten aus einem Buch, das Andreas Weigelt über das sowjetische Speziallager Jamlitz verfasste. »Umschulungslager existieren nicht«, so der Titel des Werkes.

Paul Adam verhungerte wahrscheinlich. Von den rund 10 000 Häftlingen, die zwischen 1945 und 1947 im Speziallager Jamlitz saßen, starben über 3000. Der Monat mit der höchsten Sterblichkeit war der Februar 1947. Der für die Lager zuständige Geheimdienst NKWD hatte zuvor die ohnehin schon schmalen Essensrationen noch einmal herabgesetzt. Hatten die Häftlinge anfangs auf dem Papier sogar noch mehr Verpflegung erhalten als ein Schwerstarbeiter in der sowjetischen Besatzungszone auf seine Lebensmittelkarte bekam, so gab es ab November 1946 nur noch 10 statt 15 Gramm Fett, statt 65 Gramm Fleisch oder Fisch nur noch 40 und die Brotration wurde auf 300 Gramm halbiert. Das schwächte die Insassen so sehr, dass schon einfache Krankheiten den Tod bedeuten konnten.

Für Horst Adam (»Ich bin Kommunist nach wie vor«) steht fest, dass sein Halbbruder Paul – der Nazi – kein unschuldiges Opfer war. Für den Oktober 1945 bespielsweise finden sich 72,5 Prozent der damaligen Häftlinge im Speziallager Jamlitz in die Kategorie »aktive NSDAP-Mitglieder« eingestuft. Es gab noch extra Kategorien etwa für Polizisten, SS, SA und die Leiter von Zwangsarbeiterlagern. Es traf auch Unschuldige. Horst Adam weiß es. »Das ist schlimm, aber das ist so. Geschichte ist kompliziert. Mich stören die Pauschalisierungen.« Die Speziallager hatten ihre Vorgeschichte in der Nazi-Zeit. Hätten die Hitlerfaschisten nicht den Zweiten Weltkrieg entfesselt, hätte es sie nie gegeben.

Wissen muss man, dass es gerade die unschuldigen Überlebenden des Speziallagers sind, die heute noch Zeugnis ablegen können – die harmlosen Jugendlichen, die unter dem Werwolf-Verdacht eingesperrt worden sind. Mit dem gelernten Elektriker Otto Maaß saß übrigens ausgerechnet ein Kommunist in Jamlitz, der sich nach dem Krieg darum bemüht hatte, Nazi-Täter des KZ-Außenlagers zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte im KZ-Außenlager Aufträge der SS ausgeführt und wusste deshalb Bescheid, welche Firmen da noch tätig waren. Doch ein betroffener Unternehmer wehrte sich mit einer Gegenanzeige. Das KZ diente dem Aufbau des 1943 geplanten Truppenübungsplatzes »Kurmark« für die Waffen-SS. Allein bis Januar 1945 gab es mindestens 7000 Todesopfer, steht in Weigelts Buch.

  • Schauspieler Gustav Gründgens saß ab September 1945 wegen seiner herausgehobenen Position als Generalintendant im sowjetischen Speziallager Jamlitz und organisierte da Aufführungen. Er gehört zu den wenigen Häftlingen, die von Jamlitz aus entlassen worden sind. Andere kamen erst lange nach der Auflösung des Lagers Jamlitz im Jahr 1947 aus anderen Lagern frei. Spanienkämpfer Ernst Busch hatte sich für Gründgens verwendet, weil der ihm 1942 das Leben gerettet habe.
  • Justus Delbrück arbeitete im Abwehr-Amt des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) und gehörte mit Karl-Ludwig von Guttenberg, Hans von Dohnanyi und Klaus Bonhoeffer zu einem Widerstandskreis. Die Gestapo verhaftete Delbrück 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler. Die Tätigkeit im OKW brachte Delbrück nach Jamlitz, wo er im Oktober 1945 starb.
  • Krankenpflegerin Auguste Jeschke beteiligte sich an der Ermordung von Kranken durch die Faschisten und saß in verschiedenen Speziallagern, darunter in Jamlitz. Sie starb 1953 im Zuchthaus Waldheim.
  • Die Kriminalbeamte Friederike Wieking trug ab 1940 fachliche Verantwortung für die Jugendschutzlager Moringen und Uckermark. Sie kam von Jamlitz ins Speziallager Buchenwald und wurde 1950 entlassen.
  • Der jüdische Kaufmannssohn Max Reschke war 1943 Ordner und 1944 Leiter des Berliner Deportationslagers Große Hamburger Straße. Deswegen wurde er im Juli 1945 verhaftet und saß auch in Jamlitz. Die Jüdische Gemeinde bemühte sich um seine Begnadigung. 1955 kam er frei.

(Quelle: »Umschulungslager...«)

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