Da hatte ich's begriffen, dieses Wunder Leben
ND im Club – vor der Wahl: Peter Sodann, Kandidat der LINKEN für den Bundespräsidenten
ND: Peter Sodann, Sie sind Kandidat der LINKEN für die Bundespräsidenten-Wahl am 23. Mai, aber in erster Linie Theater- und Filmschauspieler, waren Ex-TV-Kommissar, Schauspieldirektor in Magdeburg, Intendant in Halle, und gemeinsam mit anderen selbstlosen Enthusiasten sind Sie Betreiber einer einzigartigen DDR-Bibliothek, die schon über 300 000 Exemplare hat ...
Sodann: ... und Werkzeugmacher bin ich!
Sie hatten schon früh einen politischen Traum – zwar nicht den, Bundespräsident zu werden, aber doch immerhin Bürgermeister.
Ein richtiges sozialistisches Dorf wollte ich bilden, mit schönen Straßen, weiten Feldern, kein Matsch mehr auf elendigen Straßen. Dazu eine Kneipe, mit einem Raum, wo gesoffen wird, einem zweiten, wo es etwas gesitteter zugeht, einem dritten, ganz hinten, wo ich privat meine Freunde begrüße. Wer zu viel getrunken hätte in meiner Kneipe, der dürfte, eine Etage höher, gleich übernachten.
Klingt wie blanker Kommunismus.
Stimmt. Klappte also nicht.
Ebenso wenig wie der Traum vom Sport-Studium.
Erst mal ging ich zur Arbeiter-und-Bauern-Fakultät und lernte, dass es nicht nur Tarzan gibt, sondern auch Heinrich Heine. Bei der Bewerbung an der DHfK wurde mir zum Verhängnis, dass ich nicht schwimmen konnte. Als Kind war ich drei Mal in den Mühlengraben gefallen, mein Großvater hat mich zwar gerettet, aber ich hatte von nun an eine Wasserphobie. Um einen Teich zu überqueren, weiß ich aus lauter Angst nur ein einziges Mittel: ihn auszutrinken.
Sie studierten ein bisschen Jura, dann erst Schauspiel, in Leipzig. Also vorm letztendlichen Beruf fanden da einige Dinge statt, die nicht funktionieren wollten ...
Und jetzt noch diese Kandidatur.
Sie betreiben das gern: lauter Einübungen ins Scheitern?
Naja, sind so Träume manchmal. Aber warum soll man nicht träumen.
Was in den letzten Monaten über den Kandidaten Sodann geschrieben wurde – haben Sie das alles gelesen?
Sie spielen darauf an, dass es viel Unfreundlichkeit und Häme war.
Und Unverständnis, dass einer als junger Mann von der SED wegen einiger Kabarett-Auftritte eingesperrt und dann aber Gefolgsmann der Nachfolgepartei wird.
Es geht um eine Idee, die steht höher als die Idioten, an die man geraten kann. Ich sage gern ein bisschen hochtrabend: Stellen Sie sich mal vor, Christus hätte an seiner Idee nicht festgehalten! Und er hatte doch fortwährend Grund, aus Enttäuschung über die Menschen in den Sack zu hauen.
Um welche Idee geht es?
Wie haben wir früher gern gesagt? Egalité, Fraternité, Pfefferminztee. Es geht um die Idee: Das Land gehört niemandem und die Früchte – allen. Das ist die Idee, die zum Beispiel ein Herr Ackermann mit seiner Macht und seiner Gier böswillig beleidigt.
Ihre Mitkandidatin Gesine Schwan sagte in der »Zeit« Sätze, die wir Sie zu kommentieren bitten. »Ich habe riesigen Respekt davor, was Politiker tun, um die derzeitige Krise zu bewältigen.«
Ich habe gar keinen Respekt.
»Ein Bundespräsident ist unglaublich wichtig, denn er kann dazu beitragen, dass die Gesellschaft ihren Zustand ausgewogen reflektiert.«
Ausgewogen reden? Das nenn ich labern.
»Ich würde als Bundespräsidentin Finanzmanager zu einem Gespräch am Runden Tisch einladen.«
Wenn Manager das Geld von anderen Leuten verbraten, sollte es möglich sein, dass sie nicht nur am Runden Tisch landen, sondern auch im Knast – wie jeder beliebige Räuber auch.
Das ist der Traum des »Tatort«-Kommissars Ehrlicher, der immer nur Mittelständler verhaftete?
Stimmt, ich möchte gerne einen von ganz oben dingfest machen.
Ackermann verhaften. Offenbar bleibt es also Ihre Lieblingsparole.
Diesen Satz, von dem so viele meinten, er sei mir aus Versehen und unüberlegter Poltrigkeit passiert, den wiederhole ich gern.
Der CSU-Generalsekretär hat solche Äußerungen zum Anlass genommen, um Sie als verantwortungslos, volksfern zu bezeichnen.
Dann sollte er sich mal schleunigst unters Volk begeben.
Sind Sie ein Populist?
Plötzlich! Immer gibt es Leute, die geben vor, in welchem Zusammenhang man sich zum Volk bekennen darf. Wer sich zum Ruf »Wir sind das Volk!« bekannte – galt der auch als Populist?
Ein Schauspieler-Kollege von Ihnen, Walter Sittler, der für die SPD in jener Bundesversammlung sitzen wird, die den Präsidenten wählt – er sagte, Sodann verwechsele wohl die Kandidatur mit einem tollen Rollenangebot.
Ach, Gottchen. Wenn er meint ...
Sie selber warnen, man solle Schauspielern nicht unbedingt vertrauen.
Eben.
Das trifft doch dann aber auch auf Sie zu.
Deshalb betone ich, dass ich auch ein Werkzeugmacher bin.
Wie entstand eigentlich der Name Ihres TV-Kommissars Ehrlicher?
Indem ich in den ersten Gesprächen über die Figur sagte, wisst Ihr, Leute, dass müsste ein Mensch sein, der anders ist als andere Kommissare, nämlich ehrlicher.
Sind die anderen Kommissare alle verlogen?
Alle nicht. Aber einige tendieren zum Superhelden. Die glauben doch schon selber, dass sie nicht nur gute Schauspieler, sondern auch gute Polizisten sind.
Ehrlicher ist eine kollektive Erfindung. Und Bruno, der Vorname?
Ich hatte einen Lebenslehrer, der hieß Bruno. Ein Neulehrer damals nach dem Krieg. Er war Kommunist – und früher bei den Naturfreunden. Er öffnete mir den Blick: Da, sagte er, der Pilz, das Gras, der Baum und ganz oben die Gestirne, man kann vom Gras in den Himmel schauen und wieder zurück – da mit einem Male hatte ich's begriffen, das Wunder Leben. Man wird fortan etwas demütiger. Wenn einem als junger Mensch so ein Lehrer begegnet, bei dem man am allerwenigsten daran denkt, dass der ein Lehrer ist – dann hat man schon viel Glück gehabt im Leben.
Glück kann man nicht suchen.
Doch, solche Menschen muss man suchen. Das ist man sich schuldig. Der Mensch ist ein soziales Wesen, kein Eremit.
Noch einmal zu Ihrer Haft in der DDR. Hatten Sie nach dieser Erfahrung nie das Bedürfnis, in den Westen zu gehen?
Etwa eine Woche lange spielte ich mit dem Gedanken. Aber es geschah wieder so ein Begegnungswunder. Ich kam nach dem Knast in einen Betrieb und traf dort auf einen Parteisekretär und Brigadier, der war ein wunderbarer Anarchist. Wir freundeten uns an. Ich sage ja: Es kommt immer auf die Menschen an, die man trifft.
Sie sollten noch ein weiteres Mal verhaftet werden?
Ja. Ich hatte mich an den Staatsrat gewandt, wegen der miserablen Zustände im Betrieb, der war im Grunde pleite. Nicht nur eine Überprüfungskommission kam, sondern auch die Stasi, die hielt mich für einen Saboteur. Eine zweite Überprüfungskommission kam, die milderte alles ab, was an Vorwürfen gegen mich erhoben wurde. Und dann kam noch ein Ingenieur, der mich bat, ein weiteres Mal den Staatsrat einzuschalten, denn ich hätte vollkommen recht, er hätte Beweise, aber könne sich die Beschwerde nicht leisten, er habe schließlich Familie. Da ging ich zu meinem anarchistischen Parteisekretär, Otto, soll ich noch mal hinfahren? Weeßte, sagte der, wenn du wirklich Schauspieler werden willst, fährste lieber nicht. Der Anarchist als Diplomat.
Fuhren Sie?
Nee.
Wollten Sie je wieder in die SED eintreten?
Ich wurde gefragt, und ich wäre auch wieder eingetreten. Aber die erfüllten meine Bedingung nicht: Ich wollte mein altes Parteidokument wiederhaben, das sie mir abgenommen hatten, als ich eingesperrt wurde. Auf diese Weise wollte ich meine Gerechtigkeit finden. Aber zu diesem Eingeständnis von Schuld war die Partei nicht fähig. Und dann sollte ich noch einen Bericht schreiben, in dem ich alles bereue. Weil ich das nicht machte, blieb ich draußen, und darauf bin ich bis heute stolz.
Sie reisen seit einem guten halben Jahr als Kandidat durchs Land. Hat es sich gelohnt?
Wenn ich manchmal abends ins Bett gehe und ganz nüchtern bin, dann denke ich an den dummen Satz: Warum tust du dir das an? Aber sofort korrigiere ich mich, denn ich halte diesen Satz für blöd. Ich dachte immer, man kann der Welt ein wenig zu ihrem Glück verhelfen, nur muss man eben, wenn man das glaubt, auch etwas tun, sich also etwas antun: Mühe, Konflikte, mit Menschen reden, sich also erheben, das heißt bei mir: die Stimme erheben, nur eben nicht über die Menschen hinweg.
Was haben Sie erreicht?
Wenn einer wie Ackermann sagt, also wenn der Sodann Bundespräsident wird, dann kann man’s ja mit der Angst kriegen – wenn der das sagt, dann habe ich schon was erreicht. Meine Sätze sind in der Welt, seine auch, die Leute können sich Urteile bilden.
Ist das schon Demokratie?
Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Werdegang, es ist Urteilsbildung, ja.
Gelingt Ihnen das Loslassen?
Nein. Man kriegt was in die Gene gelegt, gegen das kommt man nicht an. Ich wurde als kleiner Mensch geboren, hatte immer das Gefühl, mich gegen Größere, Mächtigere wehren zu müssen. Da blieb mir nur übrig, mich mit einer großen Klappe zu verteidigen.
Daraus ist ein Beruf geworden.
Nein, der Beruf bestand hoffentlich aus dem, was hinter der großen Klappe steckte.
Was ist nach der Wahl am 23. Mai?
Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Häme vorbei sein wird, und sich alle freuen, dass ich nicht Präsident werde. Dass ich kandidierte: Mal sehen, wozu's nütze war oder auch nicht.
Um nicht immer nur mit dem Namen Ehrlicher zu spielen: Cui Bruno? Danke, Herr Sodann!
Gespräch: Wolfgang Hübner, Hans-Dieter Schütt
GYSI TRIFFT – SODANN
Am Tag nach der Präsidentenwahl, am 24. Mai, 11 Uhr, heißt es im Deutschen Theater Berlin: »Gregor Gysi trifft Zeitgenossen«. Diesmal zu Gast: Peter Sodann
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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