Politische Selbstaufgabe

Schavans Runder Tisch zu Studentenprotesten: Bildungspolitik als Inszenierung des Stillstands

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.
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Gestern in Berlin: Bundesbildungsministerin Annette Schavan lud Hochschulorganisationen, Uni-Rektoren, Studierendenvertreter und Kultusminister zu einem Runden Tisch. Im Mittelpunkt standen die Probleme bei der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge im Zuge der sogenannten Bologna-Reform. Knapp drei Wochen nach den bundesweiten Schüler- und Studierendenprotesten war das Treffen bei der CDU-Ministerin der Gipfel – an theatralischer Pose. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Politikerin, die nach der Föderalismusreform am Katzentisch der Politik sitzt, auf der politischen Bühne weiter mitspielen will.

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Die Aufgabe von Politik besteht darin, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, Regeln für gesellschaftliche Konflikte zu formulieren und – wenn möglich – Alternativen zum Bestehenden zu entwickeln. Auch wenn die Dinge nicht geordnet werden können, sollte zumindest das Bemühen um die gute Ordnung der Gesellschaft erkennbar sein.

Im Hochschulsystem versagt die Politik schon beim ersten Punkt! Und das ist nicht erst mit der dilettantischen Umsetzung der Bologna-Reform deutlich geworden, gegen die kürzlich die Studenten auf die Straße gingen. Vor zehn Jahren waren die Hoffnungen der damaligen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) in den Bologna-Prozess groß. Das Studium sollte internationaler, die Zahl der Studienabbrecher verringert, die Studierenden auf akademische Berufe vorbereitet werden und nicht noch nach 20 Semestern als Taxifahrer weiter ihre Runden drehen. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Die Zahl der Studienabbrecher ist gestiegen, Studenten klagen über inhaltlich überfrachtete Studienfächer und die Unternehmen stellen nach wie vor lieber diplomierte Akademiker statt Uni-Abgänger mit Bachelor-Abschluss ein.

Das Scheitern der Bologna-Reform hat eine mehr als dreißigjährige Vorgeschichte. Die sozialliberalen Bildungsreformen der 1970er Jahre führten zu einem Bildungsschub. Von da an drängte es die Kinder der Mittelschichten, der mittleren Beamtenkaste und Angestellten, in die höheren Bildungsanstalten. Ende der 1970er gab es bereits eine Million Studenten in der Bundesrepublik. Der Ausbau der Hochschulen hielt damit allerdings nicht Schritt. Zwischen konservativ und sozialdemokratisch geführten Bundesländern bestand ein Zielkonflikt: Erstere wollten das Rad der Zeit zurückdrehen und hätten gerne die Universität wieder zum exklusiven Club der oberen Klassen gemacht, letztere die Hochschulen weiter offenhalten. Da aber auch die Sozialdemokraten nicht mehr Geld für die Unis ausgeben wollten, entschieden sich Bund und Länder vor 30 Jahren, das Problem auszusitzen. Faktisch bedeutete dies, die Entscheidung über das Bewältigen des Studentenbergs den Hochschulen und ihren Akteuren selbst zu überlassen.

Seitdem wird an Deutschlands Universitäten ein ganz spezielles sozialdarwinistisches Experiment durchgeführt: Der Zugang zum Studium erfolgt nicht über rationale Zulassungskriterien wie Eignungsgespräche bzw. -test, sondern über einen Numerus clausus, der sich an Abiturnoten orientiert, die für die Studierfähigkeit eines Abiturienten nur bedingt aussagekräftig sind; die Auswahl der »Besten« im Studium funktioniert weitgehend über ein Kriterium: Durchhaltevermögen! Erfolgreich ist, wer sich durch das bürokratische Dickicht aus Studien- und Prüfungsordnungen am besten durchschlägt – rund 40 Prozent derer, die ein Studium aufnehmen, brechen es vorzeitig ab!

Der Zustand ist für alle Akteure an den Hochschulen – Studenten wie Lehrende – gleichermaßen unbefriedigend. Ihre Handlungsspielräume sind jedoch eingeschränkt. Alternativen zur herrschenden Hochschulpolitik können sie entwickeln, doch von der Politik, die diese umsetzen müsste, werden sie im Stich gelassen.

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Berlin vor einer Woche: Der Referent stellte gleich am Anfang seines Vortrages klar: »Über die Ziele sind wir uns mit der GEW einig, nur darüber, welcher Weg der richtige ist, um diese Ziele zu erreichen, gibt es teilweise unterschiedliche Meinungen.« Die Ziele, das sind: die Öffnung der Hochschulen auch für Nicht-Abiturienten, Abbau sozialer Hürden beim Hochschulzugang und eine Erhöhung der Studierendenquote. Ähnlich hatte sich bereits der Vorredner geäußert: Wenn 83 Prozent der Akademikerkinder, aber nur 23 Prozent der Kinder aus Nichtakademikerfamilien ein Studium aufnähmen, sei dies eine »soziale Ungerechtigkeit«.

Die beiden Redner: das waren Frank Ziegele und Klaus Niederdrenk. Ersterer ist Geschäftsführer des als neoliberaler Think Tank verschrienen und dem Bertelsmann-Konzern nahe stehenden »Centrum für Hochschulentwicklung« aus Gütersloh, letzterer ist Mitglied des Wissenschaftsrats. Zwischen den beiden hatte Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, auf der GEW-Tagung über alternative hochschulpolitische Ansätze ins gleiche Horn gestoßen. Die Studierquote in Deutschland sei mit 38 Prozent zu niedrig. Wie Ziegele und Niederdrenk plädierte auch die HRK-Chefin für einen deutlichen Ausbau des Bafög.

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Das Maß der Einigkeit zwischen unterschiedlichen Lagern in der Hochschullandschaft ist nicht ungewöhnlich. Die mangelnde soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems in Deutschland mag für die einen ein Ausdruck an mangelnder sozialer Demokratie sein, für die Wirtschaft ist das schlichtweg ein Wettbewerbsnachteil. Das Studierpotenzial sei in den mittleren und oberen Schichten weitgehend ausgeschöpft, meint etwa der Leiter der internationalen PISA-Studien der OECD, Andreas Schleicher. Wenn es Deutschland nicht gelinge, die Studierquote in den unteren sozialen Schichten zu erhöhen, drohe der Wirtschaft ein akademischer Fachkräftemangel.

Die herrschende Bildungspolitik allerdings focht diese Kritik nicht an. Schavan rüffelte Schleicher ob seiner Kritik an der niedrigen Studierendenquote und verwies auf das Berufsbildungssystem in Deutschland. Das Beispiel zeigt: Die Distanz zwischen den gesellschaftlichen Systemen und der Politik nimmt beständig zu. Von außen provozierte Änderungen wie die Bologna-Reform wurden dazu genutzt, dass an bundesdeutschen Hochschulen im Prinzip alles so blieb, wie es schon immer in den letzten Jahrzehnten war. Das kommt einem politischen Offenbarungseid gleich – nicht einmal das Bemühen um die gute Ordnung der Gesellschaft ist erkennbar, Politik wird lediglich inszeniert!

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