Gelöbnix-Demo bleibt verboten
Erneut Bundeswehr-Aufmarsch am Reichstag / Militärgegner rufen Oberverwaltungsgericht an
Weil es offenbar so schön war im vorigen Jahr, hat die Bundeswehr-Generalität auch für 2009 beantragt, mit gut 1000 Soldaten inklusive Marschmusikanten und Militärpolizisten namens Feldjäger sowie rund 2100 Gästen den Rasen vor dem Reichstag für ein Gelöbnis zu besetzen. Man sucht die symbolkräftige Nähe zur Regierung und zu den Abgeordneten des höchsten deutschen Parlamentes, die ja verantwortlich dafür sind, was die Soldaten fern der Heimat tun oder eben auch lassen.
Das Militär hat von ganz oben den Zuschlag bekommen. Und wird am Montag, dem 20. Juli, am 65. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, zum zweiten Mal an diesem Orte etwa 400 Rekruten geloben lassen, der Bundesrepublik treu zu dienen und »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes« tapfer zu verteidigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beabsichtigt, höchstselbst das Wort zu nehmen und wie bereits jüngst im Bundestag den Kämpfern anzudeuten, dass ein Einsatz in Afghanistan gefährlich, aber alternativlos sei und dass die Bundeswehr-Krieger »vor dieser Aufgabe nicht weglaufen« werde.
Das Spektakel soll um 19.30 Uhr beginnen. Rekruten und Gäste treffen sich bereits um 17.30 Uhr am Bendlerblock, dem Militärministerium in der Stauffenbergstraße, und werden hernach in Bussen zum Reichstag transportiert. Hier will ein Bündnis mehrerer antimilitaristischer Gruppen seinen Protest ansetzen. »Es führen viele Wege zum Gelöbnisort auf dem Platz der Republik«, hieß es. Offenkundig will man versuchen, weitläufig Zufahrtsstraßen zu blockieren. Unter dem Motto »Die Bundeswehr zum Rückzug zwingen« plante man 17 Uhr eine Kundgebung am Potsdamer Platz – »inmitten von Büros der Kriegsindustrie« –, dann auf verschiedenen Wegen eine FußgängerInnen-Demo sowie eine von RadfahrerInnen und SkaterInnen. Die abschließende Kundgebung hatte man für die Kreuzung Scheidemann-/Yitzak-Rabin-Straße angemeldet.
Diese Demonstrationen bleiben nach einer gestrigen Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts verboten. Bereits zuvor berichtete das Gelöbnix-Bündnis von drastischen Auflagen der Polizei. Sie laufen darauf hinaus, dass der Protest während des Zeremoniells weder sicht- noch hörbar sein wird. »Die Durchführung der angemeldeten Aufzüge wird untersagt«, heiße es im Bescheid. Die Versammlung sei »ortsfest« zwischen Potsdamer Platz und Vossstraße durchzuführen. Der Ort sei ohne Bezug zum Gelöbnisort, klagt Gelöbnix und setzte einen Anwalt an die antimilitaristische Sache, der nun vor das Oberverwaltungsgericht ziehen wird. Eine Entscheidung wird für Montag erwartet. Bisher hatten Gerichte bis zum Bundesgerichtshof stets entschieden, dass die Bundeswehr, sofern sie sich in der Öffentlichkeit bewegt, damit leben muss, kritische Begleitung optisch wie auch phonetisch wahrzunehmen, sofern der Ablauf des Zeremoniells nicht beeinträchtigt wird.
Polizei und Feldjäger errichten traditionsgemäß eine weiträumige Bannmeile. Zwar sei, so die Bundesregierung, die Veranstaltung öffentlich, in der Praxis wären allerdings Kontrollmechanismen eingerichtet, die eine Teilnahme von Extremisten unterbinden und die Würde der Veranstaltung sichern solle. Nur handverlesene Gäste werden an diesem Tage auf dem Platz der Republik geduldet, dazu die Soldaten. Öffentlich sei das Gelöbnis durch Familien der Rekruten, Abgeordnete, Minister, Fernsehkameras.
Bei Gelöbnix schüttelt man den Kopf. Dass sich die Bundeswehr auf Kriegskurs befindet, sei nicht zu übersehen, hieß es zum Hintergrund des Protestes. Immer weniger Freiwillige gingen zum Militär – trotz Krise und Arbeitslosigkeit –, immer mehr Bürger könnten nicht nachvollziehen, was deutsche Soldaten am Hindukusch zu suchen hätten. Der Einsatz etwa in Afghanistan laufe darauf hinaus, kapitalistische Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Das Gelöbnis selbst sei ein militaristischer Anachronismus. Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigte, sei das Truppenzeremoniell der Gelöbnisse in der Öffentlichkeit, also außerhalb von Truppenübungsplätzen und Kasernen, »insbesondere von der Wehrmacht übernommen« worden, wird von der Linkspartei-Fraktion in der Begründung einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung festgehalten. Die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei wollen die Veranstaltungen boykottieren und stattdessen die antimilitaristischen Proteste unterstützen. Der Konflikt zwischen Gelöbnix und Politik hatte sich in den vergangenen Wochen zugespitzt, wofür ein in der Szene kursierender, überaus umstrittener Flyer sorgte, in dem dazu aufgefordert worden war, Soldaten zu verhauen, je höher der Dienstgrad, desto mehr Prügel. Wer aufrufe, andere anzugreifen, sei ein Verbrecher, äußerte dazu Innensenator Ehrhart Körting (SPD).
Gelöbnix entgegnete: »Die behauptete Gewaltbereitschaft, die AntimilitaristInnen derzeit unterstellt wird, ist die Kehrseite der tatsächlichen Gewalt, die von der Bundeswehr ausgeübt wird.« Proteste gegen das Gelöbnis seien genauso wie Sabotage von Kriegsgerät ein Beitrag gegen Gewalt.
Chronik
1996: Beim ersten öffentlichen Gelöbnis Proteste vor dem Schloss Charlottenburg. Hunderte Demonstranten durchbrechen die Absperrungen.
1998: Lautstarke Proteste und dichte Rauchwolken als Rekruten – geschützt von 2500 Polizisten – vor dem Roten Rathaus zum Gelöbnis antreten.
1999: 430 Rekruten sind am Bendlerblock angetreten, als etwa 20 junge Leute auf den Platz stürmen. Einige reißen sich die Kleidung vom Leib, andere spannen Schirme auf. Auf einem ist zu lesen »Tucholsky hat recht« – eine Anspielung auf Kurt Tucholskys Ausspruch »Soldaten sind Mörder«.
2001: Zwei Protestiererinnen geben sich als Töchter des Verteidigungsministers Scharping (SPD) aus, erreichen in einer Limousine mit Chauffeur den Antretplatz im Bendlerblock, ketten sich an und schalten eine Sirene an.
2004: Ein studentisches Paar hat Akkreditierungen für den Bendlerblock erhalten, weil es Rituale erforschen will. Plötzlich rennt es unter der Fahne, auf die geschworen werden soll, hindurch und ruft antimilitaristische Parolen.
2008: Das Gelöbnis findet erstmals vor dem Reichstag statt. Der wird zur Sicherheitszone, in die die Gegner mit Tröten hineintönen. dpa/ND
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