Terrorprozesse endeten im Nichts
Am 9. August 2006 wurden in Großbritannien angeblich gewaltige Anschläge verhindert – doch was wurde aus den Tatverdächtigen?
An jenem 9. August 2006, so behaupteten die britischen Behörden, sei unvorstellbares Grauen in letzter Minute verhindert worden. Die Terrorwarnstufe wurde anschließend auf den höchsten Wert gesetzt. Zum Beispiel wurden alle Flüge von Deutschland nach Großbritannien gestrichen. Scotland Yard und Metropolitan Police vereitelten nach eigenen Angaben alle Mordpläne und nahmen 25 Tatverdächtige fest.
Von denen wurden später nur acht überhaupt angeklagt. Am 8. September vergangenen Jahres wurde einer der Angeklagten freigesprochen, bei vier von ihnen sahen sich die Geschworenen nicht in der Lage, einen Urteilspruch zu fällen.
Im April dieses Jahres platzte ein weiterer Mammutprozess aufgrund unzureichender Beweise gegen drei Angeklagte, die der Mithilfe an den Anschlägen am 7. Juli 2005 in London beschuldigt wurden. Vier Jahre Arbeit steckten in dem Verfahren, tausende Aktenseiten waren verfasst worden. Dennoch endete das Verfahren mit einem Freispruch. Vorgeworfen wurde den Angeklagten, dass sie das verheerende Attentat in London mit geplant haben, das am 7. Juli 2005 52 Menschen das Leben kostete. Vier Selbstmordattentäter hatten während der Rushhour Anschläge auf U-Bahnen und einen Doppeldeckerbus verübt.
Bereits im vergangenen Jahr war ein Prozess zu diesen Attentaten geplatzt. Chefankläger Neil Flewitt hatte letztlich nur Indizien. Im Revisionsprozess wurden Waheed Ali, Sadeer Saleem und Mohammed Shakil freigesprochen.
Nach den gescheiterten Verfahren stellen sich generelle Fragen zur Ermittlungsarbeit von Scotland Yard. Stolz war das vermeintliche Beweisstück präsentiert worden: Überreste eines Handys, gefunden mitten in den Trümmern der Edgware Road. Rundum war alles zerstört worden, aber Forensiker konnten in der SIM-Karte sogar noch die Verbindungsdaten auslesen. Im Telefonverzeichnis waren Abkürzungen gespeichert. Die Namen »SHAXMOB« wiesen die Beamten Mohammed Shakil zu, »SADS« sei Sadeer Saleem. Ermittler rekonstruierten, an welchen Orten sich die Mobilfunktelefone befunden hatten.
Doch es gelang ihnen nicht zu beweisen, dass es auch tatsächlich die Angeklagten waren, die diese Telefone bei sich trugen und benutzten und nicht andere, dritte Personen. Diese Lücke in der Beweiskette führte letztendlich zum Freispruch. Damit aber dürften weltweit noch weitere Prozesse neu aufgerollt werden müssen.
Die Angeklagten sollen wie einst die »Rucksackbomber« Shehzad Tanweer, Mohammed Iqbal, Mohammed Sidique Khan und Hasib Hussain – also die Attentäter vom Juli 2005 – militärische Trainingscamps in Afghanistan bzw. Pakistan besucht haben. 2001 waren der bei den Anschlägen getötete Khan und der Angeklagte Ali in Kaschmir und Afghanistan; 2004 trafen sie sich mit dem gestorbenen Tanweer und dem Angeklagten Saleem in Pakistan und einem weiteren, nicht bekannten Ort.
Dies bestritten die Angeklagten nicht. Vielmehr überzeugten sie das Gericht davon, dass ihre militärische Ausbildung in diesen Lagern nicht mit Terrorismus gleichzusetzen sei. Nach Angaben der »New York Times« hätten sie Richtern und Geschworenen einleuchtend erklärt, dass sie zwar den Dschihad unterstützten. Dies bedeute aber nicht, dass sie Teil des Plots gewesen seien, der den Tod nach London brachte. Trotzdem wurden Waheed Ali und Mohammed Shakil zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie geplant hatten, ein Trainingscamp der Taliban in Pakistan zu besuchen.
Dennoch oder auch deswegen muss mit zeitlichem Abstand zu den Anschlägen die Frage gestellt werden: Was wurde aus den jeweils Angeklagten? Was wurde gemeldet, was angeklagt, und was konnte wem tatsächlich nachgewiesen werden? Welche Probleme tauchten bei den Ermittlungen auf? Die Ergebnisse der Prozesse werfen gerade zur Ermittlungsarbeit ernste Fragen auf. Die technischen Möglichkeiten stehen offenbar in krassem Gegensatz zu dem, was am Ende der Prozesse übrigblieb und selbst das erscheint oft bei genauerem Hinsehen fragwürdig. Die britische Regierung aber hat eine öffentliche Untersuchung bislang nicht bewilligt.
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