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Die Bürgermeisterin, die eine Idylle regiert
Landtags-Vizepräsidentin Gerlinde Stobrawa (Linkspartei) kandidiert erneut bei den bevorstehenden Wahlen
Wenn sie gelegentlich dazu kommt, durch Bad Saarow zu spazieren, grüßen sie die Leute. Manche drücken ihr auch die Hand. Gerlinde Stobrawa (Linkspartei) regiert nun schon im sechsten Jahr das Örtchen am idyllischen Scharmützelsee. Bei den jüngsten Kommunalwahlen votierten 63 Prozent der zur Urne gegangenen Bewohner für sie und machten sie damit wieder zu ihrer ehrenamtlichen Bürgermeisterin.
So trägt sie politische Verantwortung für ein von ganz oben mit vielen landschaftlichen Vorzügen bedachtes Fleckchen Erde – mit dem See, den der gute Fontane bekanntlich das »Märkische Meer« nannte, dem weitläufigen Kurpark, Golfplatz, dem Thermal-Bad, das aus einer 175 Meter tiefen und 1927 erschlossenen Chlor-Kalzium-Quelle allerhand Krankheiten zu mildern oder zu heilen vermag, dem bis vor kurzem altertümelnden und inzwischen sanierten Bahnhof, Badestränden und Hafen, dem Theater am See und dem SaarowCentrum, in dem Gastronomie, Bibliothek und Ausstellungsräume Platz gefunden haben. Übrigens befindet sich hier auch das kleine Büro der Bürgermeisterin. Es gibt allerdings auch viele Einwohner, die mit ihren Anliegen nicht hierher, sondern gleich zu ihr nach Hause kommen.
Seit Anfang vorigen Jahrhunderts zog es viel Prominenz hier her – auf Zeit oder auf Dauer: Gorki, die Boxer Max Schmeling und Axel Schulz, Anny Ondra, Victor de Kowa und viele andere aus der Gilde der Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten, Architekten, Sport-Asse. Admiral Waldemar Verner (NVA, SED) und Generalleutnant Jörg Schönbohm (Bundeswehr, CDU) gehörten ebenfalls dazu. Nach 1945 fanden es auch die russischen Truppen hier als durchaus angenehm und besetzten über Jahrzehnte bis zum Abzug Mitte der Neuziger das Zentrum.
Die guten alten Traditionen auf neue Weise zum Nutzen des Ortes zu beleben, daran arbeiten Bürgermeisterin und Gemeindeamt mit sechs Linkspartei-Ratsfrauen und Ratsherren, dazu fünf der CDU, zwei der SPD und drei der Freien Wählergemeinschaft Scharmützelsee (FWS). Ab 1995 wurden Fördermittel sowie Eigenkapital der Gemeinde dazu benutzt, die heutige Infrastruktur zu schaffen. »Dann tat die Gemeinde wohl Kluges, denn sie privatisierte nicht, sondern wurde selbst zum Unternehmer, und zwar in Gestalt von drei GmbH, die derzeit bei immer mal einigen Höhen und Tiefen ganz ordentlich arbeiten«, schildert Gerlinde Stobrawa. Auf diese Weise wurde die Linkspartei-Politikerin Vorsitzende von drei Aufsichtsräten, nämlich der Kur GmbH, die im Wesentlichen die Therme führt, die Schifffahrts-GmbH, die die gemeindeeigene Flotte auf dem Scharmützelsee steuert, und die Gastro GmbH, die für vier Restaurants zuständig ist.
Die Arbeit des Gemeinderates und der GmbH sowie vieler anderer scheint Stobrawa der Hintergrund dafür zu sein, dass viele Leute auf die Gemeinde aufmerksam wurden, hier her gekommen sind und erheblich investierten.
In solchem Sinne sei Bad Saarow ein gutsituierter Ort, der sich dem Anspruch stellt, offen zu sein für jedermann. Darauf achtet die Bürgermeisterin besonders, wie sie betont. Man vermag im Fünf-Sterne-Hotel zu übernachten, aber auch in der Ferienwohnung, zu Golfen, Segeln, Tennis zu spielen, zu Reiten und zu Surfen, aber auch per Rad oder mit Wanderstock und Rucksack sich den Scharmützelsee und seine Umgebung zu erschließen. Dies sei die Grundidee der Infrastruktur.
Der heimische »Förderverein Kurort Bad Saarow« bietet in der Zusammenarbeit mit der Gastronomie zudem allein im diesjährigen Kultursommer seit dem 25. Juli bis zum 13. September 75 Veranstaltungen an, von Konzert bis Theater und Ausstellungen, manches jeden Tag.
Als wichtig sieht Stobrawa an, sich immer wieder in anderen Gemeinden danach umzuschauen, welche Fördermittel möglich sind und woher man sie bekommt. Zugleich gehe es darum, die Einnahmen des eigenen Ortes zu verbessern, um auch daraus wieder etwas zu machen, etwa durch den Kurbeitrag oder die Zweitwohnsitz-Steuer. Auch ein kleiner Kinder-Spielplatz für 25 000 Euro müsse schließlich erwirtschaftet werden. Viel kümmere sich die Gemeinde auch um das heimische Gewerbe, deren Ansiedlungs-Gebiet jetzt erweitert werden muss. Steigende Einnahmen aus der Gewerbesteuer ermöglichen ebenfalls, mehr für die Lebensqualität in der Gemeinde und für ihre Gäste zu tun.
Nach Ansicht der Bürgermeisterin gelingt das durch einen sogenannten Kurort-Rahmenplan, der die Visionen wie auch die kurz- und mittelfristigen Aufgaben festschreibt und nach dem bislang zehn Jahre gearbeitet wurde. Die Fortschreibung des nächsten wird derzeit wieder parteiübergreifend vorbereitet, im September soll er beschlossen werden. Er gilt dann für die nächsten zehn Jahre, unabhängig davon, welche Bürgermeister regieren. Dadurch haben Gemeinde, Gewerbe, aber auch alle anderen Beteiligten – abseits parteipolitischer Profilierungsversuche und Zusammensetzungen von Gremien – eine ordentliche Planungssicherheit. Was ja in heutigen Zeiten eine Menge bedeutet. Auf diese Weise kommen pro Jahr etwa 30 000 Kurpatienten und Urlauber nach Bad Saarow. 115 000 Übernachtungen registriert die Statistik übers Jahr.
Gerlinde Stobrawas Terminkalender ist »bis oben hin« gefüllt. Selbst die Enkel spötteln hin und wieder, dass sie einen Termin bräuchten, wenn sie die Oma sehen wollen. Nicht selten ist sie zwischen 6 und 23 Uhr unterwegs. Bürgermeisterin, Abgeordnete im Landtag und dessen Vizepräsidentin zu sein, kostet mehr Kraft und Mühe, als man sich wohl gemeinhin vorstellen kann. »Man muss aufpassen, dass ein paar Tage für den Urlaub übrig bleiben.« 70 000 Kilometer ist ihr chauffierter Dienstwagen im Jahr unterwegs, damit sie all ihre Termine wahrnehmen kann, natürlich nur solche landauf und landab und ausschließlich in Brandenburg.
Zur Landtagswahl am 27. September wird Gerlinde Stobrawa wieder kandidieren. Sollte sie das Mandat bekommt, wäre sie die dienstälteste Linkspartei-Abgeordnete der Fraktion, da Lothar Bisky und Heinz Vietze nicht mehr antreten werden.
Nicht nur deshalb, weil Gerlinde Stobrawa europapolitische Sprecherin ist, liegt ihr all jenes am Herzen, was Europa betrifft. Die Krümmung der Gurke und der Banane, ein zu beschließendes Gesetzeswerk über die Rolle der Bedeutung der Drahtseilbahn, auch wenn weit und breit gar keine vorhanden ist? »Altes Vorurteil, Ausläufer«, kontert sie. Nahezu alles, was man in Brüssel beschließt, sei vorher in der Landesregierung erörtert und darüber im Bundesrat votiert worden. Erst danach darf die Bundeskanzlerin in Brüssel zustimmen oder ablehnen, »Nein, nein, Europapolitik wird zuerst in den Landesregierungen gemacht und müsste in den Landtagen debattiert werden. Wenn nicht dort etwas bewegt wird, darf man sich dann nicht beschweren«, sagt Gerlinde Stobrawa.
Gerlinde Stobrawa (60) war Lehrerin, stellvertretende Direktorin einer Schule, Bezirksvorsitzende der Pionierorganisation. Von 1986 bis 1988 studierte sie an der Parteihochschule »Karl Marx«. 1989/90 wurde die nunmehrige Diplomgesellschaftswissenschaftlerin zur 1. Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Frankfurt/Oder berufen. Die Mutter zweier Kinder wurde 1990 für die PDS Abgeordnete des Landtages und ist seit 2005 dessen Vizepräsidentin.
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