Provokationen inbegriffen

Die neue Spielzeit der Sophiensäle will viele künstlerische Handschriften zeigen

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigenwillige künstlerische Handschriften, Experimente und Diskussionen sollen die Spielzeit 2009/2010 in den Sophiensälen bestimmen. Es soll um erdachte Formen künftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens gehen. Gegenwärtig geltende Werte werden in Gegenwelten zu überprüfen sein. Ein anderer Schwerpunkt liegt im Erinnern und seinen Formen. Hier geht es ebenso politisch zu, denn es wird u.a. eine Rolle spielen, was wer wann vergessen oder nicht vergessen lassen will. Verschiedene so genannte Formate bieten Zuschauern die Möglichkeit, mit den Künstlern im Gespräch zu sein – darunter Spielstand oder Diskussionsrunden mit Waffeln und Polar, bis hin zu »BeinaheBestellern«. Es wird also auch Literatur im Programm sein. Das kündigen Heike Albrecht und Kerstin Müller aus dem Spielort in der Sophienstraße in Mitte an.

Die Theaterreise im wahrsten Sinne des Wortes beginnt mit der Gruppe 400asa Sektion Nord im September. Zu ihrer Inszenierung »Der Sumpf. Europa Stunde Null«, die sich um ein misslungenes Massenspektakel von 1990 dreht, gelangen die Theaterbesucher mit einem Bus an Orte des damaligen Geschehens. Jochen Roller und Florian Feigl bleiben mit ihrer Performance »void« um Mechanismen des Kunstmarktes derweil in der Sophienstraße. Im Oktober folgt hier die fünfte Ausgabe des Festivals »Freischwimmer – Plattform für junges Theater«. Die Auseinandersetzung gilt dem Wort »Schock«. Die jungen Künstler kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der auch schon traditionelle »Italienische Theaterherbst« in Berlin bringt im November die Gruppe muta imago mit der Produktion »Lev« in die Sophiensäle. Sie entsteht nach dem Tagebuch des im Zweiten Weltkrieg am Gehirn verletzten Lev Zasetsky. Er war Patient des renommierten Psychiaters Alexander Lurja. Das Stück wird davon erzählen, wie »Lev« darum kämpft, sein Gedächtnis wieder zusammen zu setzen.

»Woran ich merke, was für ein Viech ich bin« heißt die Arbeit von Two Fish im Dezember, in der es darum geht, wie man fortwährend an der Sicht auf sich und andere bastelt. Mit »Judith/Salome« widmet sich außerdem Ulrich Rasche dem Tod von Menschen als notwendiges Übel in so genannten Krisengebieten. Im Februar geht es mit »Vrenelis Gärtli« vom theater konstellationen weiter, in der Menschen vergeblich nach einer schönen Ordnung suchen. Außerdem inszeniert Michael Laub mit Remote Control Productions in »Death« ein Gruppenporträt. Um die in der Krise wirtschaftliche Höhenflüge erlebende Unterhaltungsindustrie geht es im März in der Koproduktion mit Monica Gintersdorfer und Knut Klaßen. »Sueño y crisis – drei Träume hinter Gittern« heißt im April die Arbeit, mit der sich die junge Kompanie Volumen Express and her friends vorstellt. Dieses Projekt mit dem Hintergrund der argentinischen Wirtschaftskrise 2001 untersuche die Auswirkungen auf persönliche Schicksale und mache Mut, kündigen die Sophiensäle an.

Die Schwerpunkte des Tanzprogramms der Bühne liegen im Oktober, November, Januar und August. Es beginnt mit glamourösen Posen von Frédéric Gies und endet mit einer Expedition »Nach Hause« von Martin Nachbar. Des weiteren wird es auch wieder Musik und Musiktheater mit drei neuen Aufführungen geben, in denen u.a. die Pioniere der elektronischen Musik von sich hören lassen. Internationale Gäste werden im Dezember zum Festival »Sololala« erwartet.

Alles in allem verspricht die neue Spielzeit der Sophiensäle ein aufregendes Programm – Provokationen mit künstlerischen Mitteln inbegriffen. Außerdem setzt das Haus in neun Fällen die Förderung von Nachwuchskünstlern fort. Es wird auch Wiederaufnahmen aus der Spielzeit 2008/2009 geben. Das ist gut. Denn die Gastspiele der Gruppen sind an diesem Ort immer viel zu kurz. Zum »Vorstart« der neuen Spielzeit gibt es außer den Aufführungen zum Festival »Tanz im August« (ab 16.8.) als »work in progress« die Tanz-Film-Produktion »Die andere Seite« von Christina Ciupke und Lucy Cash (15.-17.8.) sowie die Wiederaufführung von »Betrügen« der Regisseure Gintersdorfer und Klaßen (22., 23.8.).

Weitere Termine unter www.sophiensaele.com

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