Räumliche Hördiagramme
Neue Installationen von Singuhr im Wasserspeicher in Prenzlauer Berg
Auch im zweiten Teil des Klangsommers im Wasserspeicher geht es international zu, wenngleich sich Geräuschkompositionen um die Herkunft ihrer Erzeuger kaum scheren dürften. »Unpacking« nennt der Italiener Paolo Piscitelli, der seit Mitte der 1990er mit Einzelausstellungen bis nach Texas, in Gruppenausstellungen bis nach China vorgedrungen ist, seine Installation für den großen Wasserspeicher in Prenzlauer Berg.
Umzugskartons sind dabei seine Requisiten. Sie versperren zu beiden Seiten den Eingang zum engen, äußeren Umgang und lenken so den Besucher in die übrigen vier Ringe. Dort hat Piscitelli an unregelmäßigen Orten Kartons zu massigen, deckenhohen Wänden von teils immenser Dicke getürmt, die in ihrer Linearität das Ebenmaß der Rund-Gänge brechen, sich rechtwinklig in Ecken einschmiegen oder einfach nur den Weg versperren – dann erhöhen sie für den Flaneur das Gefühl, sich in einem unentrinnbaren Labyrinth zu befinden. Die rund 1800 Kartons hat Piscitelli indes nicht nur dafür verbaut, sondern schafft sich aus ihnen gleichsam die Flächenraster für seine Schreibprojektionen.
Zum Ticken einer Uhr sieht man eine schattenhaft dunkle Hand zeitbeschleunigt mit schwarzem, grünem oder blauem Stift scheinbar zusammenhanglose Wörter und Schriftzüge auf eine Folie kritzeln und unmittelbar wieder fortwischen. Manchmal erscheinen die Lettern in Spiegelschrift, verformen sich wieselflink zu symmetrischen Ornamenten. Was jene Hände da in fast allen Weltsprachen niederschreiben, sind nach Aussage Piscitellis Buchtitel, die spontan der Erinnerung des Schreibers entspringen. Auf jeden Fall spielen sie mit dem Wort und seiner Vergänglichkeit ebenso wie mit dem Aneignen und Vergessen von Wissen. Dass die Projektionen meist nur einen winzigen Teil der Kartonfläche einnehmen, minimiert ihre Aussage zusätzlich.
Für das Projekt im kleinen Wasserspeicher haben sich Studenten des Royal College of Art, Music and Dance aus Den Haag und der Technischen Universität Berlin zusammengetan. Unter Leitung des Niederländers Edwin van der Heide, als studierter Sonologe nun Klang- und Medienkünstler mit Professorenstatus, schufen sie die Klanginstallation »Klangspeicher – global/local«. Zu sehen ist lediglich, was in etwa gleicher Leuchtdichte Neonröhren von der Raumarchitektur freigeben. Von überall her dringen jedoch Geräusche wie Wummern, Donnern, Grollen, Fauchen, Rascheln oder Knacksen auf den Besucher ein.
Drei Lautsprechersysteme senden sie aus; jene im Zickzack angeordneten 22 Lautsprecher von den Gewölbebögen bis zum Boden sind die einzigen sichtbaren Objekte in der Leere des Rundraums. Nicht nur im Kuppelsaal mischt sich, was die vier Studenten Wen-Chin Fu, Daan Johan, Nanda Milbreta und Nenad Popov unabhängig voneinander elektronisch komponiert haben und was nun per Computer in Teilen eingestreut und arrangiert wird. Dabei entsteht eine zwölfminütige Komposition, die an jedem Standort andere Akzente setzt. Von der Stille, in der nur die eigenen Schritte hallen, bis zu gewaltig schwellendem Klang wie bei einer Zugfahrt oder dem Fallen von Gegenständen reicht das Spektrum dieses sich im Raum fortpflanzenden Hördiagramms.
Bis 20.9., Mi.-So. 14-20 Uhr, Wasserspeicher, www.singuhr.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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