Die Ruhe vor der Schulreform
Mehr Schüler, weniger Sonderschüler: Marzahn-Hellersdorf stellt Pläne fürs neue Schuljahr vor
Als »Ruhe vor dem Sturm« bezeichnete gestern Stefan Komoß (SPD), Schulstadtrat in Marzahn-Hellersdorf, die Entwicklungen, die im nächsten Schuljahr auf Schüler und Eltern zukommen. »Die Eltern der neuen sechsten Klassen müssen sich schon jetzt entscheiden, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind schicken möchten«, sagte er.
Denn ab dem Schuljahr 2010/11 soll es statt drei nur noch zwei Schulformen geben – Haupt-, Real- und Gesamtschulen sollen abgeschafft und durch integrierte Sekundarschulen ersetzt werden, das Gymnasium als Schulform aber bestehen bleiben. Welche Veränderungen dies auf Bezirksebene bringt, erläuterte Komoß.
Zwar könne man noch nicht sagen, wie die neue Schulform angenommen wird. Jedoch erwartet Komoß, dass sich die Anteile der Schüler, die in Marzahn-Hellersdorf in Zukunft das Gymnasium bzw. die Sekundarschule besuchen nicht grundlegend von dem aktuellen Verhältnis von gut einem Dritteln Gymnasiasten und zwei Drittel Haupt-, Real- und Gesamtschüler unterscheiden wird.
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist im Berliner Vergleich in mehrfacher Hinsicht besonders. Anders als für alle Westberliner Bezirke prognostiziert die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung hier deutlich steigende Schülerzahlen für die Grundstufen, Etwa 20 Prozent mehr Grundschüler werden bis zum Schuljahr 2016/17 erwartet. Aus diesem Grund will der Bezirk alle 27 Grundschulen und fünf Gymnasien erhalten, eines davon soll – wie es die Schulreform vorsieht – zu einer Ganztagsschule umgewandelt werden.
Daneben hat Marzahn-Hellersdorf im Vergleich einen besonders hohen Anteil an Haupt- und Sonderschülern. 13 Prozent der Schüler besuchen eine Haupt-, elf Prozent eine Sonderschule – fast doppelt so viele wie anderswo in Berlin. Das soll sich ändern, denn: »Für Sonderschulabsolventen gibt es kaum Berufsperspektiven«, so Komoß. Der Stadtrat will die Anzahl der Sonderschüler im Bezirk deshalb deutlich verringern.
Anfangen will er mit den Sonderschulen für lernbehinderte Kinder. So wurde etwa die Strittmatter-Schule zu diesem Schuljahr aufgelöst und die Kinder auf die umliegenden Grundschulen verteilt. Die speziell ausgebildeten Lehrer der ehemaligen Sonderschule werden zukünftig für die Betreuung der förderbedürftigen Kinder in den normalen Grundschulen eingesetzt. Damit setzt der Bezirk das Projekt INKA, ein integratives Konzept für Schüler mit Lernschwierigkeiten, um.
Ilja Seifert, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbandes und behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, begrüßte das Vorhaben als »Schritt in die richtige Richtung«. Es müsse jedoch an den Ergebnissen gemessen und kritisch begleitet werden. Der Verband wendet sich grundsätzlich gegen die Aussonderung von Schülern und fordert wie auch die Erziehungsgewerkschaft GEW Berlin »eine Schule für alle«.
Beschlossen hat der Bezirk überdies eine zweite Gemeinschaftsschule im Ortsteil Marzahn, die als Modellprojekt alle Schulformen vereint, sowie eine Reihe von Baumaßnahmen, um die Schulgebäude für die Umwandlung zu integrativen Schulen fit zu machen. Mit der Johannes Falk Oberschule wird zum Juli 2010 ein Hauptschulstandort ganz geschlossen.
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