Die Tarifmauern sollen fallen
Am Montag beginnen die Verhandlungen für die 50 000 Angestellten des öffentlichen Dienstes
Ihren Humor haben die Arbeitnehmervertreter nicht eingebüßt. »Bis jetzt haben wir keine Absage bekommen«, frotzelt Astrid Westhoff, die Verhandlungsführerin der Gewerkschaften ver.di, GdP, GEW und IG Bau für den öffentlichen Dienst. Am kommenden Montag sollen die Tarifverhandlungen mit dem rot-roten Senat für die rund 50 000 Angestellten des Landes beginnen – ursprünglich war der Termin bereits für Anfang Juni geplant, damals sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) keine 24 Stunden vorher ab.
Dass äußerst komplexe und zugleich schwierige Gespräche bevorstehen, ergibt sich indes aus der Ausgangslage: Denn der Anwendungstarifvertrag, bei dem die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seit 2003 auf Gehalt verzichteten und der Senat im Gegenzug Entlassungen vermied, endet am 31. Dezember. Es steht außer Frage, dass die finanziellen Einbußen auslaufen, das haben die Tarifpartner seinerzeit so beschlossen.
Darüber hinaus fordern die Gewerkschaften jedoch, dass das Land Berlin endlich wieder Anschluss an die anderen Bundesländer findet, was das Lohnniveau angeht. »Wir fordern die Rückkehr in den Flächentarifvertrag«, sagt Astrid Westhoff. Welche Auswirkungen dies für die Lohntüten der Kita-Erzieherinnen, Polizisten und Verwaltungsangestellten hätte, haben die Gewerkschaften ausgerechnet: um 5,9 Prozent erhöhte Monatsentgelte bedürfte es, damit Berlin auf einer Höhe mit anderen Kommunen stehen würde. Die Ausgangsforderung der Gewerkschaften für die Verhandlungen sei dies jedoch nicht, wie fälschlicherweise berichtet wurde, betont Westhoff. Das sei eine Fehlinformation – genau wie das Gerücht, Streiks seien für den Fall geplant, dass der Senat mit seinem Angebot unter einem Prozent Lohnzuwachs bleibt.
»Sicher gibt es eine Angebotshöhe, die die Kollegenschaft als Provokation auffassen würde«, sagt zwar Eberhard Schönberg, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Aber eine Situation wie 2008, als sich die Tarifauseinandersetzungen über viele lange Monate hinzogen, wollen die Arbeitnehmervertreter diesmal vermeiden. »Wir wollen eine Lösung, die ohne sowas auskommt«, sagt Schönberg gegenüber ND. Er appelliert insbesondere an die LINKE, sich dafür einzusetzen, die Abkoppelung der Beschäftigten zu beenden und endlich Anschluss an das moderne Tarifrecht zu finden.
Auf dem Verhandlungszettel der Gewerkschaften gibt es zudem weitere Punkte, die sie durchsetzen wollen: »Ostberlin muss in das Tarifgebiet West einbezogen werden«, fordert Westhoff. 20 Jahre nach der Wende müsse auch die Tarifmauer fallen. Schließlich dürfe es keine Beschäftigten zweiter Klasse geben.
Weil in den kommenden Jahren knapp 30 Prozent aus Altersgründen aus dem öffentlichen Dienst scheiden müssen, soll das Land auch wieder mehr Azubis übernehmen. Dies ist gegenwärtig nur selten der Fall. Alles in allem hoffen die Gewerkschaften auf zügige Verhandlungen und ein ernst gemeintes Angebot, sind diesbezüglich aber eher skeptisch. »Ich bin aber bereit, mich positiv überraschen zu lassen«, sagt Westhoff.
Während die Gewerkschaftsseite betont, die Hausaufgaben für die Gespräche gemacht zu haben, ist von Arbeitgeberseite keine Information zu erhalten. »Wir äußern uns im Vorfeld nicht«, lässt der Verhandlungsführer des Senats, Innensenator Ehrhart Körting (SPD), über seine Sprecherin mitteilen – mehr nicht.
Öffentlicher Dienst in der Hauptstadt
- In Berlin gibt es insgesamt noch 105 000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, deren Anzahl bis 2011 auf rund 100 000 zurückgeführt werden soll: 50 000 sind als Angestellte oder Arbeiter im Landesdienst beschäftigt. Dazu kommen etwa 55 000 Beamte.
- In einem Solidarpakt, der bis Ende 2009 gilt, hatten die Landesbediensteten angesichts der schwierigen Berliner Finanzsituation seit 2003 auf im Schnitt zehn Prozent ihres Einkommens verzichtet. Entsprechend wurde die Arbeitszeit gesenkt und Kündigungsschutz garantiert.
- Erst für das Jahr 2008 gab es eine Gehaltsaufbesserung in Form einer Einmalzahlung von 300 Euro. Für diesen Juni bis Dezember 2009 erhalten die Beschäftigten als Ergebnis monatelanger Streikaktionen im vergangenen Jahr monatlich 65 Euro mehr.
- Der Abstand zum Lohnniveau anderer Kommunen in Deutschland beträgt nach Gewerkschaftsangaben inzwischen 5,9 Prozent. dpa/ND
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