- Kultur
- Personalie
Moralist
Rolf Hochhuth durfte nicht ins BE, aber immerhin in die »Urania« ...
Dringend nötig, einige Sätze zu Rolf Hochhuth zu schreiben. Sonst vergisst man womöglich, wer er ist: ein redlicher Moralist auf mahnendem Verfassungsgrunde. Sein Weltbild ist das der individuellen Courage, es paart sich mit einer Geschichtssucht und Recherchelust, die geradewegs ins Drama führten. Denn das Drama ist nicht Hochhuth selbst, sondern sein Werk. Obwohl es im Moment anders scheint: Hochhuth hat sich wie ein Kohlhaasverwandter gegen das Berliner Ensemble geworfen, gegen den Fakt, dass er hier nicht sein Stück »Sommer 14« aufführen darf. Obwohl es sein Recht sei, als Eigentümer der Immobilie. Böse Töne für eine feixende Journaille. Deshalb muss man über Hochhuth schreiben. Weil er mehr ist als Held dieser Posse, die damit endete, dass der Autor und Regisseur sein Stück wenigstens in der Berliner »Urania« spielen darf.
Hochhuth, Jahrgang 1931, ist Sohn eines Eschweger Schuhfabrikanten, aber er hat gesagt, sein Vater sei Hitler. Eine mutig selbstanklägerische Standortbestimmung – von daher diese Unbändigkeit, Geschichte der Vergangenheit zu entreißen, sie wie einen Dämon in die Gegenwart zu werfen, der uns prüft. Und nicht alle bestanden die Prüfung: »Der Stellvertreter« (1963), von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführt, wurde zum größten Skandal des westdeutschen Theaters. Die katholische Kirche als Nazi-Kollaborateur – was losbrach, machte Hochhuth weltberühmt. Dann das Stück »Juristen«, es stürze Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Filbinger, den Ex-Nazirichter. Immer schrieb Hochhuth Schauspiele, die eher knallende Traktate waren, aufgeteilt unter mehreren Stimmen, aber er schrieb mit zorniger Wucht. »Wessis in Weimar« wurde freilich erst durch Einar Schleefs Regie (1993) am BE zum Erfolg, gegen Hochhuths Protest, und das Anti-Ackermann-Stück »McKinsey kommt« schaffte es nicht über Brandenburg hinaus.
Er schrieb Kritisches zu Brecht, Großartiges über Jünger, ist ein glänzender Essayist, den immer die Scham trieb, zu ungebildet zu sein. So kam mit den Jahren zum großen Literaten jener komische Kauz, der Minderwertigkeitskomplexe und Selbstüberschätzung zu cholerischen Auftritten mixte. Wie leider eben am BE.
Hans-Dieter Schütt
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.