Der »TIGER« auf dem Highway 295
Obamas Konjunkturprogramm ist weniger ambitioniert als Roosevelts »New Deal«
Die Konjunkturspritzen der US-Regierung werden gerne mit dem »New Deal« der 30er Jahre verglichen. Ein Vergleich, der nicht standhält.
Allmählich kommt das Geld aus dem vor einem halben Jahr beschlossenen 787-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm bei der Bevölkerung an. Es gebe Anzeichen, dass man die Wirtschafts-Talfahrt gebremst habe, sagte Präsident Barack Obama kürzlich. Nur die Arbeitslosigkeit lässt nicht nach. Die Quote stieg von 8,1 Prozent im ersten Quartal 2009 auf 9,4 Prozent im Juli. Etwa neun Millionen US-Amerikaner beziehen gegenwärtig Arbeitslosengeld, durchschnittlich rund 300 Dollar in der Woche.
Obama müsse mehr tun, fordern gewerkschaftliche Kritiker – und verweisen auf das große Vorbild Franklin Delano Roosevelt. Der einstige US-Präsident hatte in den 30er Jahren mit seinem Reformprogramm »New Deal« Millionen Arbeitslosen Jobs gegeben. Präsident Obama solle einen Blick zurück in die Geschichte werfen auf »effektive und erfolgreiche« Beispiele, wie man Arbeitsplätze schafft, appellierte der Gewerkschaftsverband AFL-CIO.
Zu sehen ist das noch heute etwa im Kumbrabow-Wald in West Virginia. Dort kann man preiswert Urlaub machen, in Gebirgsbächen angeln, zwischen Rottannen und Lorbeerbüschen Rehe und Truthähne beobachten, hin und wieder einen Adler sehen und nachts ganze Waschbärfamilien beim Wühlen in den Abfalltonnen. Übernachtet wird in Blockhäusern mit Holzofen und Wasserpumpe vor der Haustür. Gebaut wurden die Hütten Mitte der 30er Jahre von Arbeitern des »Civilian Conservation Corps«, des ersten Großprogramms im Rahmen des »New Deal«-Pro- gramms.
Roosevelt trat sein Amt 1933 inmitten der großen Depression an. Die Arbeitslosenrate lag bei fast 25 Prozent; der Automobilhersteller Ford hatte zwischen 1929 und 1931 drei Viertel der Belegschaft entlassen. Die Bilder von damals prägten sich ins amerikanische Bewusstsein ein: barfüßige Kinder mit zerlumpten Kleidern, Slumhütten am Stadtrand und Männer mit Schildern: »Ich will für Essen arbeiten«. Ihnen versprach Roosevelt einen »New Deal«, übersetzt in etwa: Die Karten werden neu verteilt. Arbeitsbeschaffung stand im Vordergrund. Für die freiwilligen Arbeitscamps meldeten sich Hunderttausende von jungen Männern, die in rund 1300 eigens angelegten Barackenlagern unterkamen. Der Lohn betrug 30 Dollar im Monat, 25 Dollar mussten an die Familie nach Hause geschickt werden. Man baute Brücken, begradigte Flüsse und legte Erholungsgebiete an. Die Ausrichtung war eher militärisch: Wer sein Bett nicht richtig machte, konnte beim Kartoffelschälen landen.
Die Auswirkungen von Roosevelts zweitem – und noch größerem – Konjunkturprogramm begegnen einem jeden Tag, ob man in Washington auf dem Nationalflughafen landet, in New York City über die Triborough-Brücke fährt oder im Postamt im kalifornischen Ventura Briefmarken kauft. Für die damals astronomische Summe von 10,5 Milliarden Dollar bauten achteinhalb Millionen Menschen unter der »Works Progress Administration« mehr als 70 000 Brücken und Viadukte, errichteten oder renovierten rund 40 000 Schulen und zehntausende Kilometer Straßen.
Auch im August 2009 sehen Auto- und Lastwagenfahrer auf dem Interstate-Highway 295 im Süden von New Jersey zwischen New York und Washington neue Straßenschilder mit der Aufschrift: »TIGER«. Es ist die Abkürzung für »Transportation Investment Generating Economic Recovery«, übersetzt: »Verkehrsinvestition, die wirtschaftlichen Aufschwung erzeugt«. Die Interstate 295 wird mit Mitteln aus Obamas Konjunkturprogramm in Stand gesetzt. Seine Firma werde während der Teer- und Reparaturarbeiten etwa 120 Leute beschäftigten, sagte ein Vertreter der Baufirma Pierson der Zeitung »Philadelphia Inquirer«. Richtig gegriffen hat das Programm freilich noch nicht. Obwohl langsam neue Arbeitsplätze entstehen, gehen die Entlassungen in vielen Industriezweigen weiter.
Und damals wie heute kritisieren konservative Politiker die angeblich zu hohen Regierungsausgaben. Dass Obama vorsichtiger vorgeht als Roosevelt, erklärt sich wohl auch aus den stark veränderten Umständen, wie der Historiker Howard Zinn dokumentiert: Anders als heute war Anfang der 30er Jahre in den USA eine radikale Arbeiterbewegung entstanden, die Druck auf die Regierung machte und durch den »New Deal« beschwichtigt wurde.
Vollbeschäftigung hat damals freilich nicht der »New Deal« gebracht. Die kam erst mit der großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg. 1941 erklärten die USA Japan und Deutschland den Krieg, zogen junge Männer ein. Die Rüstungsindustrie ließ die Fließbänder rollen.
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