Kreative Kriminologie
Knastkunst-Ausstellung in der NGBK wagt sich an die Sinnfrage des Gefängnisses
Gefängniskunst ist in den letzten Jahren ein beliebtes Sujet geworden. Es verbindet den Kitzel des Gefährlichen und Fremden mit der moralischen Attraktivität des sozialen Engagements, kann sich aber gleichzeitig sowohl den ästhetischen als auch den sozialen Leistungsprinzipien entziehen. Die Ausstellung »Knast sind immer die anderen« in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Kreuzberg widmet sich diesem von Erfolgsdruck weitgehend befreiten Feld mit den Mitteln der künstlerischen und der wissenschaftlichen Reflexion.
Heide Hinrichs etwa zeigt Zeichnungen von Grundrissen amerikanischer Gefängnisse, die wie komplexe Ornamente aussehen. Sie installiert gleich im Eingangsbereich der NGBK auch einen Schilderwald, auf dem die verständliche Forderung »Free« zu lesen ist. Angelika Böck hat Gefangene dazu ermuntert, eine Idealfigur zu erfinden und in dieser Rolle aus dem Gefängnis auszubrechen. Doreen Uhlig holt die Klavierübungen des in der JVA Neustrelitz inhaftierten M. B. nach draußen. Das Klavier – mit einem Liniengeflecht umgeben, das den Zellengrundriss wiedergibt – klimpert automatisch Mozarts »Rondo alla Turca« inklusive der M.B. unterlaufenen Vorspielfehler.
Sehr eindrucksvoll ist die Regal-Landschaft »Gitterware«, die Nadin Reschke in der Mitte des Galerieraumes installiert hat und die in Gefängniswerkstätten hergestellte Produkte wie etwa Räuchermännchen in Polizisten- und Richtergestalt (JVA Zwickau), echte Richterroben (JVA Celle) oder Schachfiguren aus Zinn (JVA Chemnitz) zum Kauf anbietet. Ein echter Knüller ist der als Produkt der JVA Heilbronn ausgewiesene Wein, der unter dem Label Staatsdomäne Hohrainhof in den Handel kommt. Wo Staatsdomäne Hohrainhof drauf steht, ist also Knast drin.
Ein Kunstobjekt mit Gebrauchswert innerhalb der Gefängnismauern stellten im Jahre 1980 Inhaftierte in Berlin-Rummelsburg mit einem Monopolyspiel her. Die Straßen sind nach eher schwer erhältlichem Obst, noch schwerer erhältlicher (Pepsi-/Coca-)Cola und den die Westsehnsucht symbolisierenden Popstars Elvis Presley und Bill Haley benannt.
Hat die Ausstellung durchaus unterhaltenden Charakter, so laden einige im Katalog veröffentlichte Essays zu einer vertieften Auseinandersetzung ein. Ulf Aminde schreibt etwa über die Täuschungen und Enttäuschungen, die Mitmachprojekte von Künstlern und Gefangenen prinzipiell mit sich bringen. Doreen Uhlig thematisiert die Irritationen, die die Zusammenarbeit mit dem eingesperrten Pianisten M.B. bei ihr, bei ihm und dem jeweiligen Umfeld ausgelöst haben.
Bernd Sprenger schließlich eröffnet ein Panorama von Alternativen zum Gefängnissystem. Er stellt die Thesen der »Kritischen Kriminologie« vor, die nicht danach fragt, mit welchen Strafen bestimmte Delikte bedacht werden sollten. Vielmehr regt sie an, darüber nachzudenken, wie viel Strafe und wie viel Verbrechen eine Gesellschaft »braucht«, um funktionieren zu können. »Justice Reinvestment« ist der Versuch, Geld nicht mehr in neue Gefängnisbauten zu stecken, sondern in Sozialprojekte in Ballungszonen der Kriminalität. »Justice Mapping« ist das geeignete quantifizierende Instrument dafür.
Der New Yorker Eric Cadora trug die Wohnorte von verurteilten Straftätern in den Stadtplan ein und ermittelte so die vielversprechendsten Orte für Sozialprojekte. In verschiedenen US-Staaten haben dort getätigte Projekte laut Sprenger zu einem beachtlichen Rückgang der Kriminalitätsrate geführt. Die Ausstellung unterstreicht, dass die aus der Gesellschaft ausgelagerten Straftäter-Entsorgungszonen durchaus stärkere Aufmerksamkeit auch der vermeintlich nicht Betroffenen verdient.
Bis 27.9., täglich 12-19 Uhr, Do.-Sa. bis 20 Uhr, Eintritt frei, NGBK, Oranienstr. 25
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