Die Dinge und ihr Dahinter
In den Kunst-Werken schärft Ceal Floyers Konzeptkunst die Sinne
Alltagsgegenstände in ungewohntem Kontext mit neuer Bedeutung und neuer Sichtweise zu versehen ist eines der Arbeitsprinzipien von Ceal Floyer. Seit 1992 beteiligt sich die 1968 in Pakistan geborene und in London ausgebildete Britin an Gruppenausstellungen, hatte eigene Ausstellungen von Paris bis New York, von Tel Aviv bis Toronto. Jetzt zeigt das KW Institute for Contemporary Art an der Auguststraße unter dem Titel »show« die erste umfassende Soloexposition der in Berlin lebenden Konzeptkünstlerin auf deutschem Boden. Über vier Etagen präsentiert die Schau 16 Werke verschiedenen Formats, von der Großinstallation über das Kleinobjekt bis zum Video. Alle setzen sie den so sensibel wie nachdenklich mitvollziehenden Besucher voraus.
Im Hallenanbau der Kunst-Werke, die 1990 aus einer einstigen Margarinefabrik hervorgingen, passiert man zuerst das Werk »Double Act«: Ein Spot projiziert einen roten Theatervorhang und läuft nach unten weiß aus; die vermeintliche Bühne wird damit als Illusion entlarvt.
Im Hauptraum formieren sich 50 weiße Holzsockel zur weitflächigen Installation »Things«, die wie etwa die Hälfte der Arbeiten speziell für KW entstand. Statt der erwarteten Plastiken auf den Sockeln enthalten sie innen Lautsprecher, aus denen nach dem Zufallsprinzip das Wort »things« erklingt, wie es aus 50 Popsongs herausgeschnitten wurde: Die Halle wird so beim labyrinthischen Gang durch die Installation zum von jedem Standpunkt aus anders erfahrbaren Klangraum. Im lichtlosen Keller visualisiert ein Filmprojektor die aufsteigenden Blasen in der Wassermarke »Apollinaris«, spielt mit den Spuren, die Apollon als Gott des Lichts hinterlässt. Doppelbödig geht es auch im ersten Geschoss zu. Dort spannt sich bis zum Reißen ein schwarzes Gummiband gut zehn Meter über die Längswand. An der Querwand steht jenes Kippbild aus Hase und Ente auf der Spitze, mit dem der Philosoph Ludwig Wittgenstein die Trüglichkeit unserer Wahrnehmung bewies. Die Anordnung als Raute fügt dem Doppelwesen eine weitere Figur zu: das rein grafische Symbol zwischen den Tierskizzen.
Im Raum daneben hängen übereck, Trichter an Trichter, zwei Megaphone; »Secret« beraubt sie so ihrer Funktion, ist auch als Protest gegen propagandistische Vereinnahmung deutbar. Der winzige Kassenbon auf weißer Wand, »Monochrome Till Receipt (White)«, regt zur Lektüre der ausgewiesenen Lebensmittel an: Alle, von der Milch bis zum Rettich, sind sie weiß, sollen im Kopf des Betrachters real werden. »Wish you were here« weckt Urlaubsgefühle: Der Drehständer für Ansichtskarten ist bereits leergeschrieben. »Watercolour« zeigt auf einem Monitor, wie sich unter Pinselgeräusch Wasser rot, grün, blau färbt, je nach Zusatz und mit kurzem Farbübergang.
Im zweiten Geschoss formen sich für »Long Distance Diptych« zwei Ferngläser zu Projektoren, die zwei sich berührende Lichtflecke auf der gegenüberliegenden Wand erzeugen. Objekt und erzeugte Wirkung haben bei der Entfernung nur noch physikalische Relation zueinander. Drei Seiten der dritten Etage sind für »Works on Paper« mit 1800 bunten Zettelchen beklebt. Floyer hat über Jahre fremde Schriftproben beim Kauf von Farbstiften oder Kugelschreibern gesammelt. »Ich bin eine Sexbombe« steht gekritzelt, »Hallo Du da« und »Küssen« – woran auch immer der Schreiber gerade denkt oder was er sich wünscht.
Auch manch abstraktes Kunstwerk ist entstanden. Im Treppenhaus erinnert »15 Minutes Ago«, mit dem Geräusch einer rückwärts tickenden Uhr, an die Vergänglichkeit von Zeit.
Bis 18.10., Di.-So. 12-19, Do. bis 21 Uhr, KW, Augustr. 69, Mitte, Infos unter www.kw-berlin.de
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