In bestimmten Fragen sehr konsequent
LINKE sieht »hervorragenden Auftakt« für Bundestagswahlkampf
Fast wäre aus dem Gruppenbild mit Dame im Anschluss an die Pressekonferenz der LINKEN im Berliner ND-Gebäude nichts geworden. Oskar Lafontaine, Bodo Ramelow, Dietmar Bartsch und André Hahn hatten vor der Plakatwand für die sich dicht drängenden Kameras schon Position bezogen, als Katharina Schwabedissen aus Nordrhein-Westfalen noch ziemlich einsam hinter ihrem Stuhl auf dem Podium am Franz-Mehring-Platz stand. In letzter Minute besannen sich die schon in die Kameras lächelnden Herren – und holten die Sprecherin der NRW-LINKEN in ihre Mitte. »Habt Ihr's?«, fragte der Partei- und Fraktionschef und beendete das Shooting kurzerhand. Ein paar Diskussionen im Hinausgehen, ein Interview auf dem Flur – Lafontaine ist Profi und konnte sich freilich gewiss sein, den größten Rattenschwanz an Journalisten hinter sich herzuziehen.
Bodo Ramelow stand derweil im Saal und versuchte noch ein paar erklärende Worte. Schließlich ist er es, an dem sich seit dem Sonntagabend die meisten Fragen festmachen. Ein linkes Bündnis ist in Thüringen zum Greifen nahe. Die LINKE hat ein hervorragendes Ergebnis weit vor der SPD eingefahren – aber die will nur mit der LINKEN gemeinsam regieren, wenn der Ministerpräsident nicht Ramelow heißt. Ramelow war zuvor binnen Kurzem wieder unter Strom geraten. So bescheiden lächelnd der Thüringer Ministerpräsidentenkandidat der LINKEN zunächst zwischen Parteichef Oskar Lafontaine und dem sächsischen linken Spitzenkandidaten André Hahn auch seinen Platz auf dem Podium eingenommen hatte – nach wenigen Minuten war sein Adrenalinspiegel wieder sichtbar gestiegen. Den Parteichef korrigiert er, weil es in Thüringen keine Rot-Rote sondern nur eine Rot-Rosa-Option gebe. Den Journalisten erklärt er die bislang 28-Stimmen-Übermacht von Schwarz-Gelb im Bundesrat, bemüht ein ums andere Mal das schon häufig strapazierte Bild von der schwarzen Traurigkeit in Thüringen – und erinnert den Erfurter SPD-Frontmann mit immer lauter werdender Stimme, den CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus vor der Wahl als Geisterfahrer bezeichnet zu haben. Dass Matschie nach der Wahl mit Althaus womöglich »auf die Piste« gehen wolle, sei für ihn »eine politische Geisterfahrt«, sagt Ramelow offenbar letztlich doch ein wenig überrascht, dass Matschie und Althaus sofort am Morgen nach der Wahl mit Sondierungsgesprächen begonnen haben.
Soviel steht fest, auch Ramelow wird die SPD zu solchen Gesprächen einladen. Schließlich müssten die Wähler »noch vor der Bundestagswahl erfahren, was sie bekommen, wenn man in Thüringen SPD wählt«, sagte er ein wenig bissig und erklärte erneut: »Ich biete der SPD den Politikwechsel an.« Wählerauftrag, Ergebnissse, inhaltliche Schwerpunkte, die Stasi-Manie der politischen Konkurrenz – Ramelow lässt nichts aus und versichert, auf jeden Fall in Thüringen zu bleiben – »auf der Regierungsbank oder auf der Oppositionsbank«. Ramelows Gesichtsausdruck dabei könnte Matschie das Fürchten lehren – und in den Erfurter Landtag nach Althausschem Mehltau turbulentes Treiben einziehen, wenn der linke Ministerpräsidentenkandidat seinen Fast-Koalitionspartner mit schöner Regelmäßigkeit an die eigenen Wahlversprechen erinnert.
Bedeutend gelassener reagierte der Saarländer an Ramelows Seite. Kunststück. Noch bis zum Sonntag der BILD-Zeitung als Spalter und Schreckgespenst geltend, nennt die ihn in der Montagausgabe fast liebevoll »Lafo«. Lafontaine erklärte vor der Presse die LINKE zu den Gewinnern des Wahlsonntags, würdigte kurz und knapp die Ergebnisse der Seinen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Thüringen und natürlich daheim – und bezeichnete die Bundestagswahl als »längst noch nicht gelaufen«. Die Ämterverteilung zwischen Merkel und Westerwelle könne wiederum völlig verfrüht sein.
Seine Adressen an die einstigen Genossen erfolgten nur auf Nachfrage. Im Saarland freue er sich, so Lafontaine mit breitem Grinsen, »dass wir der SPD eine neue Machtperspektive vermittelt haben«. Generell müsse sich seine frühere Partei selbst wieder Machtoptionen schaffen und die Schuld an ihrer Situation nicht bei anderen Parteien suchen, sondern die eigenen Fehler analysieren. Die Haltung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan, ein zertrümmerter Sozialstaat, zerstörte Leistungsgesetze – für die LINKE sei die Chance zur Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten derzeit gleich Null und »wir sind bekanntlich in bestimmten Fragen sehr konsequent«, erklärte Lafontaine. Und amüsierte sich »mit menschlichem Verständnis« köstlich über SPD-Chef Franz Müntefering, der die »Welle Lafontaine« gebrochen sieht, weil der Ex-SPD-Chef nun doch nicht Ministerpräsident im Saarland geworden sei.
So viel Humor schien Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch allerdings nicht aufbringen zu wollen, wiewohl er von Satire sprach. »Das geht so nicht«, sagte er zu Münteferings Einlassung, geißelte die Arroganz der SPD-Führung und hob Lafontaines Rolle im Wahlkampf besonders hervor. Zuvor hatte Bartsch den Einzug der LINKEN in den elften Landtag und die hohe Wahlbeteiligung gewürdigt und mit den Landtagswahlen einen »hervorragenden Auftakt« für die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes gesehen.
Verständlicherweise sieht das André Hahn aus Sachsen ein wenig differenzierter. Hat doch die LINKE dort nicht so abgeschnitten, wie sich das die sächsischen Genossen gewünscht hätten. Freilich, Hahn erinnert, dass die absolute Mehrheit der CDU im Freistaat schon 2004 auch durch das Zutun der Genossen gebrochen worden war und die Christdemokraten in Dresden am Sonntag das schlechteste Ergebnis seit 1990 eingefahren haben. Nur sei es ob fehlender Partner – »die SPD hat ja fast gebettelt, weiter an Tillichs Regierung teilnehmen zu dürfen« – in Sachsen nicht gelungen, eine Wechselstimmung wie in Thüringen und im Saarland zu erzeugen, resümierte Hahn. Das bleibe die Aufgabe der Linkspartei vor der nächsten Landtagswahl.
Bis zu der allerdings dauert es noch fünf Jahre. Anders ist das in Nordrhein-Westfalen – da wird am 9. Mai 2010 ein neuer Landtag gewählt. Dafür gerüstet sieht sich die LINKE im bevölkerungsreichsten Bundesland durchaus nach den Kommunalwahlen am Sonntag. Nicht nur, so Katharina Schwabedissen, dass die noch junge Partei flächendeckend in allen Kreisen und kreisfreien Städten vertreten ist – auch die Verdreifachung des Stimmenanteils macht den Genossen in NRW Mut.
Doch erst stehen in vier Wochen in Schleswig-Holstein und Brandenburg zeitgleich mit der Bundestagswahl die nächsten Bewährungsproben für die LINKE an. Und Ko-Fraktionschef Gregor Gysi hat vorige Woche versprochen, dass er dann mit Lafontaine auch zügig über die künftige Parteispitze beraten will. Eigentlich ist nach Statut ab 2010 nur noch ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende möglich. Aber vielleicht entscheiden die Genossen sich doch anders – und also für eine Doppelspitze, auch um womöglich irgendwann die übermächtige männliche Dominanz beim Führungspersonal zu überwinden. Das hätte den Vorteil, dass Gruppenbilder ohne Dame fürderhin auch nicht aus Versehen passieren können.
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