Chance auf zwei Linksbündnisse – die SPD zaudert
Im Saarland stehen die Zeichen auf Rot-Rot-Grün, in Thüringen bremst die SPD einen solchen Wandel durch eine arrogante Forderung
Am lautesten tönte FDP-Chef Guido Westerwelle nach den Wahlergebnissen vom Sonntag: Seine Partei werde es »nicht zulassen«, dass Rot-Rot-Grün bei der Bundestagswahl am 27. September eine Chance habe. Angetörnt durch ihren Wiedereinzug in den Thüringer Landtag und hohe Stimmenzuwächse in Sachsen und im Saarland setzen die Wirtschaftsliberalen darauf, dass die CDU sich nach ihren herben Verlusten noch deutlicher für sie als Koalitionspartner nach der Bundestagswahl in vier Wochen positionieren wird. Auch in der Union meldeten sich am Tag nach den drei Landtagswahlen vor allem die anti-roten Teufelsaustreiber zu Wort. Ihr Sprecher Roland Koch, hessischer Ministerpräsident, erklärte die CDU zum Garanten von »Stabilität« und warnte die SPD vor einem »Durcheinander in Koalitionsverhandlungen« mit der LINKEN, für die das Land »keine Zeit« habe.
Die Sozialdemokratie verspürt derweil laut ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier »Rückenwind«. Schwarz-Gelb sei nicht gewollt, sagt er mit Blick auf die Bundestagswahl, und im übrigen müssten die Landesparteien »eigenverantwortlich« entscheiden, mit welchen Partnern sie Bündnisse eingehen wollen.
Dies scheint im Saarland noch recht übersichtlich zu sein: Dort hat die regierende CDU ein Minus von 13 Prozent eingefahren, während die LINKE sich mit im Umfragenvorfeld unerwarteten 21,3 Prozent dicht an die SPD (24,5 Prozent) herankämpfte. Da auch die Grünen mit fast sechs Prozent ihren Anteil hielten, ist Rot-Rot-Grün erstmals eine realistische Option in einem westlichen Bundesland. SPD-Landeschef Heiko Maas deutete seine Präferenz für eine solche Koalition mit den Worten an, diese könne auf »sehr viel Übereinstimmung« gründen. Nicht anders sieht es die LINKE. Allerdings haben die saarländischen Grünen sich noch nicht festgelegt.
Demgegenüber ist die Lage in Thüringen verzwickter – aufgrund einer voreiligen Festlegung des SPD-Spitzenkandidaten und -Landeschefs Christoph Matschie. Zwar hatte die SPD – unisono mit der LINKEN und den Grünen – für eine Abwahl des CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus und einen Politikwechsel im Land geworben, zugleich hatte Matschie es aber abgelehnt, in ein Kabinett des Spitzenkandidaten der LINKEN Bodo Ramelow einzutreten. Nun brach die CDU mit einem Minus von zwölf Prozent ein, blieb aber mit 31,2 Prozent stärkste Kraft im Land. Die LINKE erzielte mit 27,4 Prozent einen deutlichen Neun-Prozent-Vorsprung vor der SPD. LINKE und SPD haben so immerhin eine hauchdünne Mehrheit im Landtag, ergänzt durch die Grünen ergäbe es sogar eine ansonsten komfortabel genannte Koalition für nachhaltige Reformen – freilich mit der LINKEN in der pole position.
Was ansonsten eine parlamentarische Selbstverständlichkeit in der Bundesrepublik ist, will Matschie in solchem Fall aber nicht gelten lassen: dass die stärkste Fraktion den Regierungschef stellt. Das hat er reflexhaft am Tag nach der Wahl wiederholt und dieses Amt stattdessen für sich reklamiert. Auch der SPD-Bundeschef Franz Müntefering beanspruchte das Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen wie im Saarland für seine Partei.
Sollte die SPD an dieser Bedingung festhalten, bliebe für sie als zweite Alternative in Thüringen nur die Juniorpartnerschaft bei der CDU; jede andere Konstellation scheidet aus. Dann aber müsste sie alle ihre Versprechen einmotten – die nach 2000 Kita-Stellen ebenso wie die nach mehr Demokratie und einem erhöhten Druck auf Mindestlöhne und gleiche Renten über den Bundesrat.
Bodo Ramelow nennt es darum »politische Geisterfahrerei«, dass der SPD-Landeschef am Montag nach der Wahl zunächst nichts Besseres auf dem Zettel hatte, als eine Einladung von Althaus zu einem Sondierungsgespräch anzunehmen. Er betont, dass Thüringen dringend eine reformorientierte Landesregierung benötige und die SPD dem Rechnung tragen müsse, was in jedem anderen Fall gelte. Hätte etwa die FDP in Hessen oder anderswo von der CDU gefordert, eine Koalition nur unter der Voraussetzung einzugehen, dass sie den Ministerpräsidenten stelle, wäre allenfalls schallendes Gelächter die bundesweite Reaktion gewesen. Tatsächlich kann man auch auf Pressekonferenzen staunen, mit welchem Ernst manche Journalisten dreimal nachfragen, warum die LINKE (nicht etwa die SPD) sich denn so bockig zeige.
Indes hat die LINKE ihre Wahlerfolge vom Wochenende zwar mit Freude, nicht aber überheblich ausgewertet. Der – man kann ihn so nennen – triumphale Wahlsieger von der Saar und Parteivorsitzende der LINKEN, Oskar Lafontaine, erklärte seine Partei anders als die Konkurrenten nicht zum alleinigen Gewinner, sondern sagte gestern knapp und zurückhaltend, sie »gehört zu den Gewinnern dieses Sonntags«. Auch über die Zwickmühle der SPD äußerte er sich eher milde: Er freue sich, wenn sie durch die LINKE die Chance für eine neue Machtoption bekomme. Es sei an der SPD, sich strategisch neu zu entscheiden.
Ach ja, Sachsen: Stanislaw Tillich (CDU) will mit SPD, FDP und Grünen seine Amtsfortsetzung ausloten. Das östlichste Bundesland bleibt vorerst von jeder »Gefahr« eines Linksbündnisses verschont. Die nächste droht erst wieder in Brandenburg, wenn am 27. September der Landtag zugleich mit dem Bundestag gewählt wird.
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