Wer warf den Brandsatz?

Scharfe Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

So turbulent ging es lange nicht mehr zu in einem Berliner Gerichtssaal. Aus Verteidigern wurden Ankläger. Am Pranger standen gestern Staatsanwaltschaft und das Gericht. Dabei scheint der Fall klar: Am 1. Mai, gegen 19.45 Uhr, warfen zwei Jugendliche aus einer gewaltbereiten Gruppe einen Molotowcocktail auf Einsatzkräfte der Polizei, die am Cottbusser Tor operierten.

Das flammende Geschoss traf eine junge Frau, die schwere Brandverletzungen erlitt. Polizisten griffen sofort zu und verhafteten den 19-jährigen Yunus K. und den damals 16-jährigen Rigo B. Beide sitzen seitdem in Untersuchungshaft, Yunus hat dort sein Abitur beendet, Rigo Prüfungen absolviert.

Jetzt sind sie des versuchten Mordes angeklagt – der schwerste Vorwurf, der jemals im Zusammenhang mit 1.-Mai-Gewalt erhoben wurde. Mit gemeingefährlichen Mitteln hätten sie versucht, einen Menschen zu töten, sagt Staatsanwalt Ralph Knispel. Doch die Verteidigerinnen der beiden Angeklagten kontern: So kurz und bündig die Anklage, so falsch ist sie. Es sind die Falschen, die da seit vier Monaten im Gefängnis sitzen, kritisieren Rechtsanwältin Ulrike Zecher und ihre Kollegin Christina Klemm. Sie fordern die Abberufung des Staatsanwalts, da er alle Regeln eines fairen Verfahrens missachtet habe. Und sie liefern dafür Beweise: Unmittelbar nach der Tat meldeten sich zwei Zeugen bei der Polizei und übergaben Fotos. »Das ist die Gruppe, aus der der Brandsatz in Richtung Polizisten flog«, erklärten sie. Den eigentlichen Anschlag hatten sie nicht fotografiert, waren sich aber sicher, die Täter fotografiert zu haben. Auch die Polizei hat keine Aufnahmen vom Geschehen. Doch zwei Uniformierte wollen Yunus und Rigo als Täter erkannt haben. Doch die beteuern: Wir waren am Rand der Demonstration und haben von dem Brandflaschenwurf gar nichts mitbekommen. Als wir verhaftet wurden, waren wir uns keiner Schuld bewusst, es war ein Schock.

Hätte einer von ihnen das Benzingeschoss geworfen, dann hätten sich an ihrer Kleidung Spuren finden müssen, denn Zeugen hatten beobachtet, dass ein Teil der brennbaren Flüssigkeit vorher ausgelaufen war. Laut Anklage hätten beide auf der Straße die Flasche mit Benzin gefüllt. Dazu hätten sie aber mindesten einen Rucksack bei sich haben müssen. So etwas wurde aber nicht bei ihnen gefunden. Somit reiht sich Ungereimtheit an Ungereimtheit. Für Staatsanwalt Knispel ist alles erklärbar. Es gab zwei Brandanschläge, der eine wurde von den Zeugen beobachtet, der andere von der Polizei.

Gerichtsverhandlungen um Mai-Gewalt laufen nach einem festgelegten Ritual ab. Sagen Polizisten aus, sie hätten die Täter genau erkannt, haben andere Aussagen oder Unschuldsbeteuerungen so gut wie keinen Wert.

Hier könnte es anders werden, denn die Verteidigung geht davon aus, dass Staatsanwaltschaft und Polizei den schnellen Erfolg suchten und es deshalb zu dem Fehlgriff kam. Und bei Prozessbeobachtern wurde auch der Verdacht laut, dass nur deshalb falsch ermittelt wurde, um V-Leute zu decken, die möglicherweise in den Fall verwickelt sind.

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